Diese zwei Monate zwischen Mitte März und Mitte Mai wird Geschäftsführer Florian Heiss nicht so schnell vergessen. Da war erst der sechswöchige Shutdown, also die von der Corona-Pandemie erzwungene Schließung seines Radcenters in Memmingen – ausgerechnet in der Zeit rund um Ostern, für Fahrradhändler wie ihn die „absolute Hochsaison-Phase“, wie es Heiss formuliert. „Haufenweise Ware“ hatte er damals noch in seinem Lager. Weshalb ihn schlimmste Befürchtungen plagten: Was tun, wenn die Türen zu seinen 3000 Quadratmeter großen Verkaufsräumen noch länger geschlossen bleiben müssen? Wie sollte er seine Mountainbikes, Rennräder, Pedelecs, Trekkingräder, Speed-Bikes und all die anderen Zweirad-Modelle verkaufen, die nun mal absolute Saisonartikel sind, also vorzugsweise im Frühjahr und zu Beginn des Sommers nachgefragt werden? Zwar versuchte sich Heiss, nach eigenen Angaben größter Fahrrad-Fachhändler im Allgäu, mit einem Hol- und Bringservice sowie dem Ausbau seines Online-Shops über Wasser zu halten. „Aber damit“, erinnert er sich, „konnten wir die Umsatzeinbrüche nicht kompensieren. Und ich hab befürchtet, dass uns zum Jahresende eine ordentliche Summe fehlen wird.“
Doch es sollte anders kommen. Denn ab 27. April durften die bayerischen Fahrradhändler wieder öffnen – und damit begann ein Kundenansturm, wie ihn selbst Routiniers wie Florian Heiss, der das von seinem Vater gegründete Radcenter seit 16 Jahren leitet, kaum je erlebt haben dürften. Normalerweise, sagt der Geschäftsführer, sei der Samstag der umsatzstärkste Tag in der Woche. Nicht so in jener Phase zwischen 27. April und 16. Mai: „Da war praktisch jeder Tag ein Samstag – und noch mehr.“ Plötzlich wollten unzählige Leute ein neues Fahrrad. „Wir können heuer nicht in den Urlaub fahren, dann kaufen wir uns stattdessen zwei schöne E-Bikes“ – solche Sätze hörten Heiss und seine rund 70 Mitarbeiter*innen immer wieder. Schon nach zweieinhalb Wochen hatte das Memminger Radcenter den Shutdown-Rückstand aufgeholt. „Dann konnten wir erst einmal durchatmen, weil wir die Saison im Sack hatten“, sagt der Geschäftsführer, und man hört ihm die Erleichterung darüber immer noch an.
Leere Lager bei den Fahrradhändlern
Ab Mitte Mai ließ der Run zwar etwas nach, lag jedoch immer noch deutlich über dem Vorjahresniveau. Und bis dato liege man im Vergleich zu 2019 bei einem Umsatzplus von rund 40 Prozent, sagt Heiss: „Das wird sich zwar bis zum Jahresende wieder etwas relativieren, ist aber trotzdem extrem.“
So wie dem Allgäuer Rad-Experten erging es vielen Fahrradhändlern. „Das Fahrrad ist der Profiteur der Corona-Krise“, jubelte vor wenigen Wochen der deutsche Zweirad-Industrie-Verband in einer Pressemitteilung. Auch das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo bilanzierte Mitte August als Ergebnis seiner Konjunktur-Umfrage: „Die deutschen Fahrradhändler gehören zu den größten Gewinnern der Corona-Krise.“ Nahezu alle Geschäftsleute in der Branche seien mit ihrer aktuellen Geschäftslage zufrieden. Überwiegend positive Rückmeldungen erhielten die Wirtschaftsforscher außerdem aus den Bereichen Bau- und Heimwerkbedarf, Nahrungs- und Genussmittel, Möbel- und Einrichtungshäuser sowie aus dem Handel für Computer und Unterhaltungselektronik.
Und der Online-Handel? Dort habe man zwar während des Shutdowns einen regelrechten Boom registriert, heißt es vonseiten des Ifo-Instituts, vor allem bei Gütern des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Drogerieartikel, Tiernahrung und Baumarktsortimenten. Davon profitierten allerdings hauptsächlich Branchen-Giganten wie Amazon, die Otto-Gruppe und Zalando. Bei mehr als der Hälfte der befragten Unternehmen im E-Commerce seien die Umsätze hingegen gesunken, auch wegen Lieferengpässen bei den Paketdiensten.
Ähnlich zwiespältig dürfte das Resümee bei den IT-Dienstleistern ausfallen. Das vermutet Thorsten Höpfl, Vorstand der Firma Nasdo mit Hauptsitz in Schwabach, die hauptsächlich für kleine und mittelständische Unternehmen Lösungen in Sachen Informationstechnologie entwickelt. IT-Dienstleister, die sich vor allem auf Bereiche wie Hardware und Homeoffice spezialisiert hätten, profitierten von der Corona-Pandemie, sagt er. Andere dagegen, die beispielsweise ihren Schwerpunkt auf Warenwirtschaftssysteme gelegt hätten, müssten mit Einbußen rechnen. Höpfl spricht aus Erfahrung, schließlich haben die 41 Nasdo-Mitarbeiter etliche Projekte rund um das Thema Warenwirtschaft betreut: „Das ist jetzt eher zurückgegangen. Dafür ist der Bereich rund um das Thema Homeoffice durch Corona förmlich explodiert.“ Nicht nur die Einrichtung von Homeoffice-Arbeitsplätzen ist dabei gefragt, sondern auch andere Dienstleistungen wie digitales Dokumentenmanagement sowie die Installation und Einrichtung von Chats und Videokonferenzen. Diesem Umstand sei es zu verdanken, dass Nasdo wohl weiter zulegen könne wie geplant, sagt Thorsten Höpfl: „Wir gehen davon aus, dass wir um die fünf Prozent Zuwachs haben werden, eher mehr.“
Aber selbst unter den Fahrradhändlern haben nicht alle Grund zum Jubeln, berichtet Florian Heiss. Weil die Produktion in Asien zum Teil wochenlang lahmgelegt war, kam es zu Lieferengpässen. Die Folge: Manches Geschäft stand im Sommer nahezu ohne Waren da und musste etliche Interessenten wieder wegschicken. „Kleinere Händler, die nur mit einem oder zwei Herstellern zusammenarbeiten, hatten oft das Nachsehen“, sagt der Allgäuer Radexperte. „Größere haben mehr Leistungsstärke, um das zu kompensieren. Unser Glück war, dass wir größere Bestände hatten und Ware nachdisponieren konnten.“ Inzwischen aber seien viele Lager leer. Und weil in diesem Jahr die Produktionskapazitäten phasenweise lahmgelegt waren, fehle es an Warenzulauf. „Dieses Thema wird uns 2021 definitiv weiter begleiten“, ahnt Heiss. „Wie man dieses Loch kompensiert, das wird die Herausforderung.“ (Brigitte Degelmann)
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