Politik

Immer mehr MVZ eröffnen in Bayern Standorte. Haben sie nur das Wohl der Patienten im Blick – oder stecken dahinter vor allem finanzielle Interessen? (Foto: dpa/SZ Photo/Wolfgang Filser)

02.05.2025

Profit versus Patientenwohl?

Immer mehr Unternehmen kaufen sich in Arztpraxen ein – das wirft Fragen auf

Samstagmorgen, beim Frühstück löst sich ein Stück Füllung aus dem Zahn. Ausgerechnet am Wochenende! Doch ein Blick ins Internet zeigt, dass es in München inzwischen mehrere Zahnarztpraxen gibt, die ganz regulär auch samstags geöffnet haben. Ein toller Service. Dahinter steckt praktisch immer ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), was der Gesetzgeber seit 2004 erlaubt.

Immer mehr dieser MVZ eröffnen in Bayern Standorte. Entweder als fachbereichsübergreifende Einrichtung oder – was seit 2015 möglich ist – als Facheinrichtung für Zahn-, Augen-, Labor- oder Röntgenmedizin. Anders als bei Einzelpraxen gibt es bei den MVZ keine Beschränkung, wie viele Filialen sie bilden. Und so machen sie inzwischen mehr als ein Achtel der ambulanten Gesundheitsversorgung im Freistaat aus. Tendenz steigend.

Charakteristisch ist die Trennung von Inhaberschaft und ärztlicher Behandlung. Träger der Einrichtungen kann ein Arzt sein, muss aber nicht. Es können auch Krankenhäuser, gemeinnützige Organisationen, Kommunen oder Praxisketten dahinterstehen. Das medizinische Personal ist beim Träger angestellt.

In der Theorie ist das Kettenmodell eine Antwort auf den Ärztemangel und ein ineffizientes Gesundheitssystem, das immer teurer wird. Doch die Kritik ist groß. Sie richtet sich vor allem gegen die Praxisketten, die von Investoren betrieben werden.

Welche das sind, lässt sich nicht so leicht herausfinden. Ein Blick ins Impressum der Internetseite hilft wenig. Laut einer Studie der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) von 2022 steckt hinter 10 Prozent aller Praxisketten im Freistaat ein Investor. Man kann davon ausgehen, dass die Zahlen inzwischen deutlich gestiegen sind. Denn allein im Untersuchungszeitraum von zwei Jahren stellte die Studie einen Anstieg um 72 Prozent fest.

Satte Gewinne lagern in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands

Im Gesundheitssektor ist viel Geld im Umlauf, das finanzkräftige Fonds anlockt. Der bayerischen Landeszahnärztekammer zufolge versteuern mittlerweile etwa zwei Drittel der in Deutschland tätigen Zahnmedizinketten ihre Gewinne in Steuerparadiesen wie den Cayman Islands.

Das Geld wird zum Teil als Dividende an die Anleger ausgeschüttet, zum anderen Teil in den Kauf weiterer Praxen gesteckt. Zwar soll laut Gesetzgeber immer ein in der Einrichtung tätiger Arzt die Leitung innehaben und in medizinischen Fragen weisungsfrei arbeiten können. Aber wer kontrolliert das in der Praxis?

Wolfgang Ritter, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbands, klagte vor Kurzem über Pharmaunternehmen, die in München onkologische Praxen übernehmen, Laborketten, die Hausarztsitze aufkaufen, und Augenarztpraxen, die unnötige Operationen vornehmen. Alles aus Profitdenken. Sein Fazit: „Hier droht unser aller Tod.“

Seit Jahren fordern der Hausärzteverband, die KVB und weitere Verbände eine stärkere Regulierung der von Investoren betriebenen Ketten. Der Hauptvorwurf: Der Profit steht im Vordergrund und nicht die Gesundheitsversorgung. Die ärztlichen Interessenvertretungen kritisieren, dass sich die Ketten nur die Rosinen herauspickten, also die Standorte in Großstädten und nur die lukrativen Behandlungen. Auf dem Land herrsche dagegen weiter eine Unterversorgung, wenig einträgliche Behandlungen würden vernachlässigt.

Behandlungskosten sind deutlich höher

Dazu kommt die Honorarstruktur: Die umfangreiche KVB-Studie ermittelte in den Investorenketten um 8,3 Prozent höhere Behandlungskosten je Patient als in Einzelpraxen, bei Augenheilkunde, Internisten und Gynäkologie liegen die Zahlen sogar noch weit darüber.

Der bisherige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wollte diese Einrichtungen noch ganz verbieten. Doch selbst wenn die Ampel-Koalition nicht vorzeitig gescheitert wäre, hätte er das gegen einen der Koalitionspartner nicht durchsetzen können: „Leider sind die entsprechenden Vorstöße an Einwänden der FDP gescheitert“, bestätigt der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Andreas Hanna-Krahl. Die FDP plädierte in einem Positionspapier 2023 für die Beibehaltung der Trägervielfalt. Diese sichere „den Wettbewerb, die flächendeckende Versorgung und eine bestmögliche Versorgungsqualität“.

Das sieht auch der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren so. Die Kritik an den von Investoren finanzierten Ketten sei „nicht nachvollziehbar und frei von jeglicher Evidenz“, sagt die Vorsitzende Sibylle Stauch-Eckmann der Staatszeitung. Sie verweist auf mehrere Studien. Und auf einheitliche Qualitätskonzepte in den größeren Praxen, längere Öffnungszeiten, regelmäßige Weiterbildungen des angestellten medizinischen Personals, moderne Geräte und mehr digitale Prozesse. Das ärztliche Berufsethos, aber auch der Gesetzgeber gewährleisteten, dass auch in den Investorenpraxen immer die Gesundheit im Vordergrund stehe. 

Dennoch hat die neue Bundesregierung eine stärkere Regulierung angekündigt. Ein Gesetz solle „Transparenz über die Eigentümerstruktur sowie die systemgerechte Verwendung der Beitragsmittel“ schaffen. So steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. „Überfällig“ nennt der bayerische Hausärztechef Ritter diesen Schritt. Die KVB will sich dagegen zu den Aussagen im Koalitionsvertrag nicht äußern. Ein Sprecher erklärt, das seien „zunächst einmal Absichtserklärungen“. (Thorsten Stark)
 

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