Politik

Jens Spahn auf dem Weg zum CDU-Parteitag. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

26.02.2018

Provokation und Pragmatismus

Merkel überrascht mit ihrer Ministerliste: Kann Jens Spahn als Nachfolger von Hermann Gröhe Anerkennung als Problemlöser gewinnen? Wer sonst noch ins Kabinett kommt

Hermann Gröhe (57) ist als Gesundheitsminister kein beliebter oder sonderlich bekannter Spitzenpolitiker geworden - trotz stattlicher Bilanz des CDU-Manns. Gelingt es seinem Parteifreund und designierten Nachfolger Jens Spahn (37), sich an der Spitze des Gesundheitsressorts stärker zu profilieren? Vor allem mit der Pflege in Deutschland ist jeder künftige Gesundheitsminister für ein Megathema verantwortlich.

Auch Gröhe brachte wichtige Pflegereformen auf den Weg, gestützt auf Vorarbeiten seiner Vorgänger. So setzte er ein neues System in der Pflegeversicherung um, das weg führen sollte von der Minutenpflege und mehr Leistungen für Demenzkranke brachte. Daneben eine Krankenhausreform und rund 25 weitere Gesetze. Doch all das tat er ziemlich geräuschlos und pragmatisch. Dass es unterm Strich teure Reformen waren, fiel angesichts der konjunkturbedingt sprudelnden Einnahmen der Krankenkassen nicht immer auf. Was ist von einem Gesundheitsminister Spahn zu erwarten?

Es mag Kalkül von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sein, ihren schärfsten Kritiker zum Gesundheitsminister zu machen. Schließlich gilt das Ministerium als Schwarzbrot-Ressort und der Bereich insgesamt angesichts der starken Stellung der Selbstverwaltung von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen als schwer steuer- oder gar reformierbar. Doch Spahn hat sich vor seinen zweieinhalb Jahren als Finanzstaatssekretär sechs Jahre lang als faktensicherer gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion für den Bereich empfohlen. Seither hat er vor allem durch konservative gesellschaftspolitische Positionen auf sich aufmerksam gemacht, was ihm als Gesundheitsminister künftig schwer fallen dürfte.

Spahn ist in der Gesundheitspolitik kein unbeschriebenes Blatt

Der Koalitionsvertrag - ein Ja beim SPD-Mitgliederentscheid zur GroKo vorausgesetzt - setzt einen Rahmen mit Potenzial. Da ist vor allem die angekündigte Konzertierte Aktion Pflege. Die Altenpfleger sollen besser und einheitlich bezahlt, in großem Stil sollen mehr von ihnen gewonnen werden. Die Pflegelücke, die die Bertelsmann-Stiftung schon vor sechs Jahren auf 500 000 Pflegekräfte bis 2030 geschätzt hat, ist heute bereits teils Realität. Wenn Spahn das Ressort übernimmt, gibt es aus Sicht von Experten eine große Frage: Gelingt ihm eine spürbare Linderung der Schwierigkeiten, ohne dabei in erster Linie die Betroffenen und Angehörigen zur Kasse zu bitten - und kann er die Politik dabei als Problemlöser ins Licht rücken?

Auch die Schwestern und Pfleger in den Krankenhäusern ächzen unter ihrer Be- und oft Überlastung. Union und SPD wollen eine kleine Revolution - und den Kliniken die Krankenpflege anders als bisher extra vergüten. Gelingt das? Führt das Projekt zu spürbaren Entlastungen - und um welchen Preis für die Beitragszahler?

Sicher ist: Die Krankenkassenbeiträge sollen künftig wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden. Das hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Noch im vergangenen Jahren bezeichnete Spahn diese Parität in einem Interview als "Chimäre". Denn die Arbeitgeber zahlten Milliarden für die Lohnfortzahlung bei Krankheit. Das passte zu seinem wirtschaftsliberalen Image. Aus der Wirtschaft waren da schon Forderungen gekommen, auch diesen Posten paritätisch zu finanzieren, wenn dies mit den Kassenbeiträgen geschehen sollte.

Gegen Tabus und Verkrustungen im Gesundheitssystem zu argumentieren, war für Spahn bereits als Gesundheitsexperte seiner Fraktion eine regelmäßig praktizierte Übung. Er kritisierte die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Stets auf die Expertise von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen zu setzen, "klappt derzeit nicht besonders gut", befand der CDU-Mann 2015 in einem Interview. Drei Jahre zuvor hatte er die Trennung in gesetzliche und private Krankenversicherung infrage gestellt. Provokation dürfte Spahn in führender Verantwortung künftig schwerer fallen.
(Basil Wegener, dpa)

Die CDU und ihre künftigen Minister 
Sechs Ministerposten hat die CDU zu vergeben, falls die SPD-Mitglieder einer Neuauflage der großen Koalition zustimmen. Kurz vor dem Bundesparteitag hat die Kanzlerin und Parteivorsitzende Angela Merkel am Sonntagabend Klarheit in den Personalien geschaffen. Die SPD will ihre sechs Minister nach dem 4. März benennen, falls die Basis Ja zu einer neuen GroKo sagt. Bei der CSU ist die Bekanntgabe für den 5. März geplant, Parteichef Horst Seehofer ist als Bundesinnenminister bereits gesetzt.

So schaut die CDU-Liste aus:

HELGE BRAUN (45):
Die Kanzlerin hält große Stücke auf den Arzt aus Hessen, der von sich sagt, dass er eigentlich immer gut gelaunt ist. Braun war schon mehrfach als Krisenmanager im Hintergrund gefragt. 2002 zog er erstmals in den Bundestag ein, 2005 scheiterte er. Bei der Wahl 2009 eroberte er das Mandat zurück - und wurde Staatssekretär im Bildungsministerium. In der vergangenen Wahlperiode war er als Staatsminister bei der Bundeskanzlerin zuständig für die Bund-Länder-Beziehungen und koordinierte für Merkel die Bewältigung der Flüchtlingskrise.
Braun ist kein politischer Lautsprecher, er zieht eher im Stillen die Strippen. Damit scheint der Anästhesist wie gemacht für die Schlüsselrolle, die er nun spielen soll: Braun wird Nachfolger von Peter Altmaier als Chef des Kanzleramts. Dort könnte er sein Steckenpferd, die Digitalisierung, weiter zentral koordinieren. Wegen seiner besonnenen Art ist Braun auch in der SPD geschätzt.

PETER ALTMAIER (59):
Der Saarländer gilt als einer der engsten Vertrauten von Angela Merkel. Der bisherige Kanzleramtschef und geschäftsführende Finanzminister gilt quasi als gesetzt für das Wirtschaftsressort. In der CDU gibt es viel Knatsch darüber, dass Merkel das Finanzressort der SPD überlassen hat. Viele sehen das Wirtschaftsministerium nur als "Trostpreis", obwohl die CDU es nun erstmals seit mehr als fünf Jahrzehnten wieder besetzt. Merkel zeigt sich mit Hinweis auf den legendären Minister Ludwig Erhard "schon ein bisschen verwundert", dass das Wirtschaftsministerium nichts mehr zähle. Kritiker meinen, das Ressort habe schleichend an Bedeutung verloren, auch wenn es bei vielen wichtigen Themen mitmischt. Die Frage wird sein, was Altmaier aus dem Amt macht.
Der Genussmensch kann auf eine lange politische Erfahrung verweisen, er war auch schon Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, Parlamentarischer Innenstaatssekretär und Umweltminister.

JENS SPAHN (37):
In den vergangenen Jahren hat er sich als Kritiker Merkels in den eigenen Reihen und als konservativer Politiker profiliert. Nach sechs Jahren als gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion und zweieinhalb Jahren als parlamentarischer Finanzstaatssekretär soll er nun Gesundheitsminister werden. Spahn blickt aber auch über den fachpolitischen Tellerrand hinaus. Das wurde deutlich, etwa als er vor rund einem Jahr ein Islamgesetz forderte oder jüngst beim Wiener Opernball die Nähe zu Österreichs jungkonservativem Kanzler Sebastian Kurz suchte, der für einen harten Flüchtlingskurs steht.
Häufiger wird Spahn mit Schwulenfeindlichkeit konfrontiert. Unpassende Bemerkungen konterte er immer wieder lässig. Wenige Tage vor Weihnachten heiratete er seinen Lebenspartner, den Journalisten Daniel Funke. Verwurzelt ist Spahn im Münsterland, wo er Abitur machte, einem Kreisverband der Jungen Union vorsaß und zehn Jahre Mitglied in einem Stadtrat war.

URSULA VON DER LEYEN (59):
Die derzeitige Verteidigungsministerin ist weder bei Parteikollegen noch unter den Soldaten sehr beliebt. Dafür kann die Niedersächsin umso besser mit Kameras, hat einen Riecher für populäre Themen und gilt als Frau mit dem ausgeprägtesten Machtwillen in der CDU. Sie soll im Amt bleiben.
Die Politik wurde von der Leyen in die Wiege gelegt: Sie ist Tochter des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht. Sie hat ein Medizinstudium mit Doktortitel in der Tasche, ist Mutter von sieben Kindern und legte als politische Quereinsteigerin eine Blitzkarriere hin. Zwölf Jahre dauerte ihr Weg vom CDU-Ratsmitglied der niedersächsischen Kleinstadt Sehnde in die Bundesregierung. Nach ihrer Zeit als Familien- und Arbeitsministerin ist sie seit 2013 die erste Verteidigungsministerin der Bundesrepublik. Ihr Umgang mit den Skandalen in der Truppe hat an ihrem Image gekratzt.

JULIA KLÖCKNER (45):
Die rheinland-pfälzische Landes- und Fraktionschefin ist seit mehreren Jahren eine Hoffnungsträgerin der CDU. Sie ist seit 2012 stellvertretende Bundesvorsitzende. In der Partei genießt sie Respekt unter Kollegen, ihr Wort hat Gewicht. Dort wird davon ausgegangen, dass sie das Agrarressort übernimmt. In der Landwirtschaft kennt sie sich aus - nicht nur, weil sie von 2009 bis 2011 Parlamentarische Staatssekretärin unter Agrarministerin Ilse Aigner (CSU) war. Bei den Jamaika-Sondierungen und den Koalitionsverhandlungen mit der SPD war sie Chefunterhändlerin der CDU für den Agrarbereich.
Für die Landtagswahl 2011 wechselte Klöckner von Berlin nach Mainz. Ihr Ziel, in die Staatskanzlei einzuziehen, verfehlte sie 2011 und auch 2016. Im Wahlkampf warb Klöckner für Aufnahme- und Entscheidungszentren an deutschen Grenzen und war damit der CSU näher als Merkel. Sie hat konservative Ansichten, sieht ihre politische Haltung aber zugleich als modern an.

Anja Karliczek (46):
Quasi aus dem Hut gezaubert hat Merkel die neue Bildungs- und Forschungsministerin Anja Karliczek. Die Hotelmanagerin aus dem nordrhein-westfälischen Ibbenbüren solle sich vor allem um berufliche Bildung kümmern heißt es. Ob dies dem Ministerium gerecht wird, das angesichts eine Digitalisierungsoffensive an Schulen und der geplanten Lockerung des Kooperationsverbotes von Bund und Ländern in der Bildung zusehends zu einem Schlüsselressort wird, bleibt abzuwarten.
Karliczek war bisher eine der fünf Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion. Die 46-Jährige sitzt seit 2013 als direkt gewählte Abgeordnete des münsterländischen Wahlkreises Steinfurt III im Parlament. Bisher hat sie sich eher mit Finanzthemen befasst: Reform der Lebensversicherungen, betriebliche Altersvorsorge, Bund-Länder-Finanzausgleich.

ANNETTE WIDMANN-MAUZ (51):
Die Baden-Württembergerin ist seit 2009 parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium und soll nun Staatsministerin für Integration im Kanzleramt werden. In Tübingen wurde sie am 13. Juni 1966 geboren, in Balingen (Zollernalbkreis) ging sie zur Schule. Dort lebt sie bis heute mit ihrem Mann. Sie studierte an der Universität Tübingen Politik- und Rechtswissenschaften, machte aber keinen Abschluss.
1998 zog sie in den Bundestag ein. Von 1995 bis 2015 war Widmann-Mauz Vorsitzende der Frauen Union der CDU Baden-Württemberg, seit drei Jahren ist sie Bundesvorsitzende der Frauen Union. Bei der Bundestagswahl 2017 gewann sie mit 35,7 Prozent der Erststimmen zum fünften Mal das Direktmandat im Wahlkreis Tübingen-Hechingen. Widmann-Mauz gilt als durchsetzungsstark. Mit ihrer forschen und fordernden Art eckt sie aber auch an. Zu ihren Hobbys zählt sie Wandern und Radfahren, Skifahren und Schwimmen.

MONIKA GRÜTTERS (56):
Die Kulturstaatsministerin hat schon vor der Wahl keinen Hehl daraus gemacht, dass sie gern wieder in ihr Büro im Kanzleramt einziehen würde. Dort ist sie seit 2013 im Rang einer Staatssekretärin für Kultur und Medien zuständig. Seit gut einem Jahr steht sie zudem an der Spitze der als besonders schwierig geltenden Berliner CDU.
Die gebürtige Münsteranerin hat Germanistik und Kunstgeschichte studiert und arbeitete für verschiedene Wissenschafts-, Kunst- und Kulturinstitutionen. 1995 zog sie ins Berliner Abgeordnetenhaus ein, zehn Jahre später in den Bundestag. Zunächst Obfrau der Fraktion für Kultur- und Medien, übernahm sie 2009 den Vorsitz im Kulturausschuss, ehe Kanzlerin Merkel sie zur obersten deutschen Kulturfrau berief. Die alleinstehende Katholikin engagiert sich auch in der Kirche. Sie liest viel, geht gern in die Oper und liebt die Berge.
(dpa)

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