Politik

Die Jobcenter entscheiden über Qualifizierungsmaßnahmen. (Foto: dpa/Chromorange, Michael Bihlmayer)

29.09.2025

Qualifizierungsmaßnahmen beim Bürgergeld: Intransparente Milliardenausgaben

Viel Geld fließt in Qualifizierungsmaßnahmen für Bürgergeldempfänger – bei der Überwachung der Kursqualität gibt es Nachholbedarf

Mit der Einführung des Bürgergelds sollte das Fördern im Vordergrund stehen und weniger das Fordern wie beim Vorgänger Hartz IV. So wurden viele Qualifizierungsmaßnahmen geschaffen. Nur: Wie viel bringen die Milliardenausgaben wirklich?

Insgesamt beziehen knapp 5,4 Millionen Menschen Bürgergeld, fast die Hälfte davon sind Ausländer. Von den knapp 1,8 Millionen Personen im erwerbsfähigen Alter, die arbeitslos sind und Bürgergeld beziehen, nahmen laut der Bundesagentur für Arbeit Stand Mai 2025 etwa 455 000 an sogenannten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil. Davon kommen rund 108 000 aus der Ukraine sowie den Top 8 der Asylherkunftsstaaten. Zu diesen Maßnahmen gehören etwa berufliche Weiterbildungen, das Nachholen eines Berufs- oder eines Schulabschlusses, die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen und eine Berufseinstiegshilfe speziell für junge Menschen. Insgesamt kostete das den Staat im vergangenen Jahr fast 3,7 Milliarden Euro.

Die Erfolgsquote schwankt stark

Ob man an einer Maßnahme teilnehmen darf und an welcher, darüber entscheidet die Agentur für Arbeit oder das jeweilige Jobcenter in Absprache mit den Bürgergeldempfängern. Auf einem Internetportal der Agentur für Arbeit finden sich unzählige Angebote verschiedenster Träger – allein in Bayern gibt es im Bereich der Heranführung an den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt mehr als 13 600 Treffer: vom Kurs, der PC-Grundlagen vermittelt, über den Deutsch-Einzelsprachkurs für Elektrotechniker bis zum individuellen Coaching zum Wiedereinstieg in den Beruf für Menschen ab 50. Die Träger der Angebote brauchen eine Zulassung der Arbeitsagentur.

Wie viele Leistungsempfängerinnen und -empfänger im Anschluss an solche Maßnahmen nicht mehr vom Bürgergeld abhängig waren, ist nicht so leicht zu beantworten. Nach Angaben der Agentur für Arbeit schwankt die Erfolgsquote stark, je nach Art des Kurses. Immerhin 72,8 Prozent der Absolventen von Maßnahmen, die speziell an eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung heranführen, gelang das Ziel am Ende.

Bei vorbereitenden und begleitenden Maßnahmen zur beruflichen Weiterbildung lag die Quote dagegen nur bei 16,7 Prozent. Die Arbeitsagentur betont, dass hierbei aber auch nicht die direkte Arbeitsvermittlung im Vordergrund stand, sondern die erfolgreiche Weiterbildung. Nicht erfasst wird außerdem, ob nach der Vermittlung in einen Job tatsächlich keine Sozialleistungen mehr gezahlt werden müssen – zum Beispiel Wohngeld.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Kritik an dem System, etwa von der Gewerkschaft GEW, Bildungsinstitutionen und dem Bundesrechnungshof: So manche Kursbeschreibung verspreche mehr, als der tatsächliche Kurs dann halten könne. Die Überwachung der Angebote funktioniere nur in der Theorie, in der Praxis wisse die Agentur für Arbeit oft nicht, wie gehaltvoll ein Kurs wirklich ist. Dazu kommt, dass immer nur die Bildungsträger zertifiziert werden, nicht aber die jeweiligen Dozentinnen und Dozenten der Kurse.

Die Agentur für Arbeit verweist auf ein internes Trägermanagement sowie „interne Prüfdienste, die mit der Qualitätssicherung betraut sind“. Festgestellte Mängel würden auch bei der Zertifizierung neuer Kurse berücksichtigt. Eine konkrete Zahl, wie oft eine Zusammenarbeit mit einem Anbieter bereits wegen Qualitätsbedenken oder Kritik beendet wurde, kann die Agentur allerdings nicht nennen.

Peter Aumer, fachpolitischer Sprecher der CSU-Landesgruppe für Arbeit und Soziales im Bundestag, fehlt es beim Monitoring der Kurse generell an Transparenz und der Vergleichbarkeit der gewonnenen Ergebnisse. Es werde auch nicht erfasst, wie die Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt langfristig wirken.

Armin Grau, Sprecher für Arbeit und Soziales der Grünen-Bundestagsfraktion, sieht die neue Bundesregierung in der Pflicht: Vor dem Scheitern der Ampel-Koalition habe man noch an Reformen zur Verbesserung der Qualität des Systems gearbeitet, die man dann nicht mehr umsetzen konnte. „Vergabe und Zertifizierung der Angebote sind zu kompliziert und bürokratisch, während Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gering sind.“

Die jeweiligen Jobcenter, die die Bildungsangebote einkaufen, müssten die konkreten Inhalte der Maßnahmen vor Ort prüfen, statt nur Formalitäten, fordert Grau. Sie bräuchten zudem mehr Freiheiten bei der Beurteilung, welche Angebote wirklich zu den von ihnen betreuten Menschen passten. „Und ganz wichtig: Die Teilnehmenden selbst müssen standardmäßig befragt werden, wie sinnvoll sie eine Maßnahme fanden.“

Immer wieder hört man von Leistungsempfängern, die in unpassende Angebote gesteckt werden. „Wenn ein arbeitslos gewordener Ex-Manager zu einem Computerkurs eingeladen wird und lernen soll, wie man ein Bewerbungsschreiben oder einen Lebenslauf schreibt, ist das so unnötig wie ein Kropf“, sagt dazu Bernd Rützel (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag.

„Viele Maßnahmen waren reine Beschäftigungstherapie, was insbesondere von gut gebildeten Menschen als Demütigung empfunden worden ist“, kritisiert auch Gerrit Huy, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der AfD-Bundestagsfraktion. Das führe nur zu Frustration und erhöhe keinesfalls die Vermittlungsfähigkeit.

Frustrierte Kursteilnehmer

Wer sich einer Maßnahme verweigert, kann mit einer Kürzung seines Bürgergelds sanktioniert werden – um bis zu 30 Prozent. In Deutschland gab es laut Agentur für Arbeit 35 239 erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit mindestens einer Kürzung. Die meisten davon wurden wegen Meldeversäumnissen bestraft.

Die AfD-Abgeordnete Huy sähe das Qualifizierungssystem gerne eingedampft: „Es hängen sehr viele Bildungsträger am Tropf der Bundesagentur für Arbeit“, erklärt sie. Deren Beschäftigte sollten lieber an Schulen oder Volkshochschulen arbeiten. Dort fehle es an qualifizierten Kräften.

So weit will die Bundesregierung nicht gehen. Allerdings steht auch für Schwarz-Rot die rasche Vermittlung in Arbeit im Vordergrund. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, den sogenannten Passiv-Aktiv-Transfer gesetzlich zu verankern und auszuweiten, also öffentlich geförderte Arbeit, bei der Arbeitgeber einen Zuschuss erhalten, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen. Eine Option für die Jobcenter, mit der man auch das Budget für Qualifizierungsmaßnahmen entlasten könne, sagt CSU-Mann Aumer. „Wir rücken damit wieder das Prinzip von Fördern und Fordern stärker in den Vordergrund.“ (Thorsten Stark)
 

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