Politik

Bayern hat gewählt. (Foto: Bilderbox)

09.10.2023

Quo vadis, Bavaria?

Bilanz eines konfrontativen Wahlkampfs

Die Wähler haben gesprochen. Die CSU kann ihre Bayern-Koalition fortsetzen. Sie blieb allerdings noch hinter dem Wert von 2018 zurück und fuhr das schlechteste Ergebnis seit 1950 ein. Sie hat jetzt die dritte Phase ihrer langen Erfolgsgeschichte seit ihrer Gründung 1945 erreicht: Auf 15 Jahre der Konsolidierung folgten fast fünf Jahrzehnte absoluter Regierungsmacht in Bayern. Seit dem Ende von Edmund Stoibers Amtszeit befindet sich die Partei im Sinkflug. Sie hat nicht verhindert, dass nunmehr zwei Parteien rechts von ihr fast ein Drittel der Stimmen errungen haben. Die Freien Wähler können sich als Regierungspartner weiter profilieren. Die in Teilen rechtsextreme AfD wird Oppositionsführer im Landtag. Sie konnte ihren Anteil von 10,2 auf 14,6 Prozent steigern. Zur Einordnung: Die NPD kam 1966 auf 7,4 Prozent, die Republikaner schafften 1990 gerade mal 4,9 Prozent.

Der populistische Wahlkampf 

Das ist das Ergebnis eines von Populismus und Polemik geprägten Wahlkampfes. In ihren Glanzzeiten hat die CSU mit einer konstruktiven sach- und wertorientierten Politik erfolgreich den sozialen Zusammenhalt in Bayern gesichert und damit nicht nur die Grundlagen für den heutigen Wohlstand geschaffen, sondern auch den Aufstieg von Parteien am rechten Rand abgewehrt. In meinem Buch „CSU in der Krise – eine Volkspartei am Scheideweg“ habe ich diesen Erfolgsweg dokumentiert und daraus Lösungsvorschläge für die Schicksalswahl abgeleitet. Sie wurde freilich mit einer Strategie der Konfrontation und des „weiter so“  bestritten.

Kulturkampf gegen Minderheiten

Mangels Kommunismus hat die CSU wie die Freien Wähler und die AfD einen hybriden Kulturkampf gegen den „Wokismus“ inszeniert, also gegen das Engagement von Minderheiten gegen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus, für mehr Gleichberechtigung, Klimaschutz und Tierwohl. Sie ist damit einer Obsession erzkonservativer Republikaner gefolgt, die selbst Donald Trump mittlerweile als lächerlich bezeichnet hat. Wieso eine weiblichere Sprache, rücksichtsvolles Autofahren, weniger Fleischverzehr und mehr Klimaschutz die Freiheit der Mehrheit in Deutschland bedrohen sollten, erschließt sich nicht. Zum einen wollen die  meisten Deutschen ohnehin wenig bis kein Fleisch essen. Sogar zwei Drittel sind für ein Tempolimit auf Autobahnen, gegen Werbung für schädliche Kindernahrung und bereit zu Einschränkungen für den Klimaschutz. Doch vor allem ist ein derartiger Kulturkampf mit den Grundrechten unserer Verfassung nicht vereinbar, weil er Meinungs- und Medienfreiheit ebenso verletzt wie die Gleichberechtigung der Frau und die Zukunft der Jugend. Liberal-konservativ ist ein solcher Kreuzzug gegen eine plurale Gesellschaft jedenfalls nicht.

Spaltung der Gesellschaft

Der Wahlkampf war ein Kampf „Wir gegen die.“ Wir: Das sind die fleißigen Bürger, das sind die normalen Leute, die mit gesundem Menschenverstand. Die: Das war nicht etwa die AfD, die eine andere Republik will, sondern die Grünen. Deren Weltbild, die Schöpfung zu bewahren und eine gute Zukunft für unsere Kinder und Enkel zu sichern, passe angeblich nicht zu Bayern. Dabei hatte sich die CSU schon im Grundsatzprogramm von 1976 zu einem qualitativen statt zu einem quantitativen Wachstum bekannt. Ökologie sollte Vorrang vor wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Interessen haben, wenn die Lebensgrundlagen bedroht sind. Alfons Goppel war Vorreiter im Kampf für die Nachhaltigkeit, für Franz-Josef Strauß waren die fossilen Energien ein Verbrechen an der Menschheit und Edmund Stoiber hat sich die Ziele der Rio-Konferenz zum Klimaschutz zu Eigen gemacht.

Auch sei diese Bundesregierung die schlechteste Regierung, die Deutschland jemals hatte. Es gehört viel Chuzpe zu dieser Behauptung. Die CSU war in 16 Jahren Merkel-Regierung maßgeblich daran beteiligt, der Ampel einen historischen Scherbenhaufen zu hinterlassen – mit einem unnötigen Atomausstieg, zögerlichem Ausbau der erneuerbaren Energien, hoher Abhängigkeit von russischem Gas, fataler Naivität gegenüber Putins Imperialismus, einer maroden Bundeswehr, einem verfassungswidrigen Klimaschutzgesetz, einer wachsenden Bürokratie, einer vernachlässigten Infrastruktur mit katastrophalem Zustand der Bahn und traurigem Mittelmaß bei der Digitalisierung.  Die gegenwärtigen Energieprobleme samt Inflation und Wirtschaftsschwäche gehören zum Erbe dieser Regierungszeit. Natürlich muss eine Opposition auch die gravierenden Fehler der Ampel kritisieren. Sie sind vor allem einem führungsschwachen Kanzler und einer destruktiven Klientelpartei FDP zu verdanken, die um ihr parlamentarisches Überleben kämpft. In Bayern vergebens. Doch wo waren die eigenen Vorschläge der Union?

Die CSU gab sich als Garant für ein bequemes „weiter so“ in einer heilen Welt. Im Wahlkampf sollten nur gute Nachrichten verbreitet werden. Der Bevölkerung sollte suggeriert werden, dass die gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit ohne Zumutungen und Anstrengungen der Bürger bewältigt werden könnten. Es störte nicht weiter, dass das Bundesverfassungsgericht, aber auch Wissenschaft, Wirtschaft und zwei Drittel der Bevölkerung das anders sehen. Ehrlichkeit ist eine Währung in der Politik, schreibt Theo Waigel in seinen Erinnerungen. Wer die Menschen „mitnehmen“ will, muss ihnen auch unbequeme Wahrheiten anstelle von Symbolen und Illusionen zumuten. Die Grünen, die das ernst nehmen, wurden als Verbotspartei diffamiert und dämonisiert.

Freie Wähler und AfD sind Nutznießer des Populismus

Die  CSU hat das Feindbild und den Kulturkampf ihrer konservativen Konkurrenten in Bayern übernommen und sich ihrer Themen und  Sprache bedient. Nahezu wortgleich führt das „bürgerliche Lager“ von CSU, Freien Wählern und AfD, wie es Alexander Dobrindt genannt hat, eine Phantomdiskussion über angebliche Umerziehungsfantasien, Fleischverbote und Genderzwang. Alle drei Parteien behaupten wahrheitsfrei eine Unterdrückung der Mehrheit der „normalen“ Menschen, die bei der AfD schlicht „das Volk“ heißt. Doch nicht einmal die AfD hat es gewagt, Migranten mit Ungeziefer zu vergleichen. Auch das Unwort „Klima-RAF“ hat die CSU erfunden, ebenso den 300.000-Euro-Heizhammer für Wärmepumpen. Natürlich lebt ein Wahlkampf auch von plakativen Zuspitzungen, pointiertem Eigenlob und deutlicher Kritik an den politischen Gegnern. Aber Fake News und Diffamierung  haben auch hier nichts verloren. Wer die Kampfbegriffe der AfD übernimmt, leistet dem Rechtspopulismus Vorschub.

Das gilt erst recht, wenn man Brandmauern proklamiert, die man selbst wieder einreißt: Auf keiner Ebene sollte es eine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Doch die von der CSU geführte EVP hat sich schon im Juli dieses Jahres mit allen rechten und ultrarechten Parteien im Europäischen Parlament zusammengetan, die Europa zerstören wollen. Gemeinsam sollte so im Vorfeld der Europawahl ein wesentlicher Baustein des Green Deal, das Gesetz zur Renaturierung, verhindert werden.

Gehen auch Bayerns Glanzzeiten zu Ende?

Dieser Wahlkampf ist vorbei. Die CSU kann weitere fünf Jahre in Bayern regieren, mit einem gestärkten Koalitionspartner im Rücken.  Ob Bayern stark und stabil bleibt, hängt jetzt entscheidend davon ab, wie sie die Klima-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik des Landes in den kommenden fünf Jahren gestaltet. Dafür gibt es in den Programmen der CSU keine neuen Impulse. Das Grundsatzprogramm enthält auf 90 Seiten 62 Mal die Feststellung: Das lehnen wir ab. Das Regierungsprogramm zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass das Wort „Frau“ nicht vorkommt. Mit einem schlichten „weiter so“ werden die größten Herausforderungen in der Geschichte des Freistaats nach dem Zweiten Weltkrieg aber nicht zu meistern sein.

Der Klimawandel ist keine vorübergehende Krise, sondern eine ständig fortschreitende Katastrophe. Er gefährdet die Zukunft unserer Kinder und Enkel ebenso wie den Wohlstand und den demokratischen Konsens in unserer Gesellschaft. Das Bundesverfassungsgericht hat die Politik gewarnt: Je langsamer und je weniger wir heute in den Klimaschutz investieren, umso größer wird die Reduktionslast für künftige Generationen. Auch mit der Botschaft des Christentums, die Welt nicht zu zerstören, die Papst Franziskus mit seinem Schreiben „Te Deum“ jetzt wieder erneuert hat, ist eine Politik des Mittelweges nicht zu vereinbaren. Neu ist das nicht. Die zeitlosen Feststellungen im Grundsatzprogramm von 1976 sollten Richtschnur sein, um Bayerns Zukunft zu sichern.

Wirtschaft und Wohlstand im Freistaat sind durch den hausgemachten Mangel an kostengünstiger Energie in akuter Gefahr. Es drohen Standortverlagerungen, die Drosselung der Produktion, Betriebsaufgaben und die Verlegung von Investitionen in den Norden oder ins Ausland. Zentrale Forderungen der Wirtschaft sind der rasche und massive Einsatz der erneuerbaren Energien, der schleunigste Ausbau der Netze und der zügige Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, wie ihn jetzt auch der CSU-Parteitag verlangt hat.

Sozialer Zusammenhalt?

Auch der soziale Zusammenhalt steht auf dem Spiel. Eine Gesellschaft ist immer so stark, wie sie mit Schwächeren umgeht, sagt Markus Söder. Das reiche Bayern ist auf vielen Feldern Spitze. Leider auch bei der beschämenden Altersarmut, beim verfassungswidrigen Lohnrückstand von Frauen und bei der fortdauernden Benachteiligung von Kindern aus sozial schwachem Elternhaus. Beim Ausbau der Kitas und der Ganztagsbetreuung gehört der Freistaat zu den Schlusslichtern. Frauen unter diesen Rahmenbedingungen für mehr Arbeit zu gewinnen, ist pure Illusion.

Der Fachkräftemangel in Industrie, Mittelstand und Dienstleistungen kann nur durch gezielte Zuwanderung, eine Qualifizierungsoffensive und bessere Löhne und Arbeitsbedingungen behoben werden. Mit dem Anspruch der CSU, eine christliche und soziale Volkspartei zu sein, die die Interessen aller Gruppen der Gesellschaft vertritt und die soziale Kluft nicht weiter vertieft, sind diese Defizite nicht vereinbar. Wenn die männerdominierte Partei mit einer immer älteren Wählerschaft nicht endlich jünger, weiblicher und moderner wird, läuft sie Gefahr, weiter zu erodieren.

Anders als das Regierungsprogramm  der CSU greift das Programm der Freien Wähler viele der Defizite auf, die ich schon früher aufgezeigt habe: Ausbau der Windkraft, Reduzierung des Flächenverbrauchs, Beseitigung des Lohnrückstandes der Frauen, Aufwertung von systemrelevanten Frauenberufen im Sozial-, Erziehungs-, Gesundheits- und Pflegebereich, Schaffung eines flächendeckenden Netzes für den Schutz von Gewalt bedrohten Frauen und Kindern, Vergabe von Landesaufträgen nur an Unternehmen mit Tariflohn, gesetzlichen Bildungsurlaub, Einwanderungsgesetz nach kanadischem Vorbild, Wahlrecht ab 16 Jahren. Die Koalitionsvereinbarung wird zeigen, wie die CSU mit diesen Vorschlägen der Freien Wähler umgeht, aber auch mit den rechtspopulistischen Anwandlungen ihres Vorsitzenden.

Ein Hauch von Weimar

Endlich erkennt auch die CSU, dass die Demokratie in Gefahr ist – nicht durch die Grünen, sondern durch die AfD. Zu Recht warnt Markus Söder vor einem „Hauch von Weimar“. Die Weimarer Republik ist daran gescheitert, dass die Konservativen die braune Gefahr fatal unterschätzt haben. Hitlers Ermächtigungsgesetz haben am 23. März 1933 nur die Sozialdemokraten abgelehnt. In seinem Buch über die letzten hundert Jahre deutscher Geschichte stellt der Historiker Horst Möller fest, dass es für die Demokratie problematisch ist, wenn sich politische Entscheidungen fast nur noch nach Stimmungen richten, aber sach- und wertorientierte Grundüberzeugungen keine ausschlaggebende Rolle mehr spielen. Ein populistischer Wahlkampf hat den rechten Rand weiter gestärkt und damit die Demokratie geschwächt. Der Konservatismus steckt in der Krise. In Europa radikalisieren sich immer mehr Parteien der rechten Mitte. Die durch Kriege und Klimawandel wachsende Migration wird das noch befeuern. Lösungen wird es nur im demokratischen Konsens auf europäischer Ebene geben. Die CSU steht am Scheideweg. „Wir müssen die AfD ernster nehmen“, sagte Söder beim letzten Parteitag vor der Wahl. Es ist höchste Zeit.
(Rudolf Hanisch)

(Der Beitrag stammt vom Autor des Buches „CSU in der Krise – eine Volkspartei am Scheideweg“. Er war 2005 bis 2009 Vorstandsvize der BayernLB und zuvor unter Ministerpräsident Edmund Stoiber Staatskanzleichef.)

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