Politik

Der neue Bundestag hat sich diese Woche konstituiert - einige Abgeordnete sind unfreiwillig nicht mehr dabei. (Foto: dpa)

27.10.2017

Rausgeflogen – und jetzt?

Was machen eigentlich Bundestagsabgeordnete, die nicht wiedergewählt wurden? Wir haben uns umgehört

Arbeitslos von heute auf morgen: ein Alptraum. Abgeordnete müssen vor jeder Wahl damit rechnen. Genau 100 haben bei der Bundestagswahl ihr Mandat verloren, zehn von ihnen aus Bayern. Diejenigen ohne Job-Rückkehrrecht fühlen sich benachteiligt.

Zurück zu den alten Partnern in die Kanzlei, eine eigene gründen oder was ganz anderes? Der 43-jährige Rechtsanwalt Christian Flisek ist noch dabei, sich zu sortieren. Vier Jahre saß der Passauer für die SPD im Bundestag, das katastrophale SPD-Ergebnis bei den jüngsten Wahlen verhagelte ihm den Wiedereinzug. Jetzt, da die Büros geräumt und die ehemaligen Mitarbeiter untergebracht sind, steht die schwierigste Entscheidung an: Wie geht es für ihn persönlich weiter? Nur eines ist sicher: SPD-Niederbayern-Chef und Stadtrat will er bleiben. Ein Rückkehrrecht in seinen früheren Job hat er als ehemals Selbstständiger nicht – das haben nur frühere Angestellte und natürlich Beamte.

Vier Monate lang – einen Monat für jedes Jahr als Abgeordneter – bekommt Flisek Übergangsgeld, das der monatlichen Abgeordnetenentschädigung von 9541,47 Euro entspricht. Nimmt er schon vorher eine berufliche Tätigkeit auf, werden Einkünfte auf das Übergangsgeld angerechnet. Bei der Jobsuche, sagt Flisek, „fange ich natürlich nicht wieder bei null an, aber definitv von weiter unten.“ Aus seiner Sicht sollte man darüber nachdenken, wie man Abgeordneten wie ihm den Wiedereinstieg ins „normale“ Leben weiter erleichtern könnte. „Es heißt doch immer, dass man sich mehr Politiker mit Berufserfahrung wünscht, solche, die nicht nur eine Parteikarriere hinter sich haben“, sagt Flisek. Doch wenn es dann darum gehe, solche Menschen für die Politik zu gewinnen, „dann zeigen einem die angesichts der Rahmenbedingungen einfach nur einen Vogel“.

Tatsächlich ergab eine Studie der Personalberatung Kienbaum nach der Bundestagswahl 2013, dass ausgeschiedene Abgeordnete keineswegs ausgesorgt haben: Auch fünf Monate nach der Wahl waren 15 Prozent von ihnen ohne Jobperspektive. Von den wieder Berufstätigen verdiente jeder fünfte weniger als 30 000 Euro im Jahr.

Angestellte und Beamte haben ein Rückkehrrecht in den alten Job

Optimierungsbedarf bei den Regularien für rausgeflogene Abgeordnete sieht auch der Ex-Parlamentarier Bernd Fabritius (CSU). Jetzt ist der 52-Jährige dabei, sein Bürgerbüro in München aufzulösen. „Aber das geht ja nicht von heute auf morgen, ich muss mich an die Kündigungsfristen halten“, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands der Vertriebenen und frühere Rechtsanwalt. Die Kostenpauschale in Höhe von 4318 Euro, die solche Ausgaben abdeckt, wird nämlich nicht weiterbezahlt. Was er sich wünscht: eine Regelung, die Selbstständigen eine etwas großzügigere Übergangslösung gewährt, sprich eine längere Weiterzahlung der Diäten.

Geht nicht, sagt der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter: Das Bundesverfassungsgericht verlange, „dass alle Parlamentarier gleich behandelt werden“ – auch wenn das dann faktisch die Freiberufler benachteilige.

Fabritius war früher Einzelanwalt, in eine Kanzlei zurückkehren kann er also nicht. Überhaupt: Abgeordneter sein und nebenbei noch einen Fuß in einer Kanzlei haben – für ihn keine ideale Lösung. „Das geht nicht.“ Er war Mitglied in zwei Ausschüssen, Vorsitzender des Unterausschusses für auswärtige Kultur und Vertreter Deutschlands im Rechtsausschuss des Europarates. „Das alles kann man nicht nebenbei machen.“ Gut möglich, dass ihm diese Erfahrung nun einen neuen Job sichert. Wie es heißt, ist Fabritius im Gespräch als Beauftragter für Aussiedler und Minderheiten – was im Kanzleramt angesiedelt sein könnte.

Beamte steigen häufig beruflich auf

Zufrieden mit den geltenden Regularien sind naturgemäß diejenigen Ex-Abgeordneten mit Rückkehrrecht in ihren früheren Job. Auch wenn sie mitunter ihre alte Stelle gar nicht wieder haben wollen. Fakt ist: Viele von ihnen bekommen auch aufgrund ihrer politischen Erfahrung attraktivere Angebote. Es ist ein offenes Geheimnis, dass vor allem Beamte, die aus dem Parlament ausscheiden, häufig beruflich aufsteigen.

SPD-Mann Carsten Träger (44) jedenfalls kann mit den geltenden Regelungen „gut leben“. Der Bezirkschef der Mittelfranken-SPD arbeitete vor seiner Abgeordnetenzeit in der Marketingabteilung der Sparkasse Fürth. Ob er sein Rückkehrrecht nutzt, steht noch nicht fest. Es gebe „einige Optionen“, sagt der Vater zweier Töchter.

Ebenfalls offen ist die berufliche Zukunft von Katrin Albsteiger (CSU). Die 33-jährige Vizevorsitzende der Jungen Union war vor ihrem unfreiwilligen Abschied aus dem Bundestag Pressesprecherin bei den Stadtwerken Ulm/Neu-Ulm – mit Rückkehrrecht. Zurzeit führt sie trotzdem Bewerbungsgespräche mit anderen Unternehmen. Wobei sie in den kommenden Wochen erst mal ganz andere Prioritäten hat. „Ich bekomme im Dezember ein Baby“, erzählt Albsteiger. Ein Dasein als Hausfrau und Mutter strebt sie aber nicht an. Ums neue und das schon vorhandene Kind wird sich ihr Mann kümmern, der als Lehrer pausiert.

Recht deutlich wirken sich die Unsicherheiten für Selbstständige auf die Berufsstatistik des Bundestags aus: In der vergangenen Wahlperiode war nur ein knappes Sechstel selbstständig. Die überwiegende Zahl der Abgeordneten bestand aus Angestellten und Beamten.
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

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