Politik

Ein Millionenschaden entstand in der Nacht vom 07.01.1984 in der Münchner Diskothek Liverpool. Acht Personen wurden dabei verletzt und eine Angestellte erlag später ihren schweren Verletzungen. Die Ermittlungen führten zur rechtsextremen Gruppe Ludwig. (Foto: dpa/Erk Wirginings)

08.01.2024

Rechtsterrorismus: Gedenken an oft vergessenen Anschlag in München

Vor 40 Jahren verübten zwei junge Rechtsextremisten einen tödlichen Brandanschlag auf einen Münchner Nachtclub. Die Tat der "Gruppe Ludwig" geriet weitgehend in Vergessenheit. Das soll sich ändern - doch dabei gibt es gleich mehrere Probleme

40 Jahre ist es am Sonntag her, dass zwei junge Rechtsextremisten aus Italien die Münchner Diskothek Liverpool in Brand setzten: Sie fügten sieben Menschen schwere und einer jungen Garderobenfrau tödliche Verletzungen zu. Als "Gruppe Ludwig" reklamierten sie mit einem in Pseudo-Runenschrift geschriebenen, mit Reichsadler und Hakenkreuz versehenen Schreiben die Tat für sich. Insgesamt werden den beiden zwischen 1977 und 1984 mindestens acht Morde in Norditalien zugeschrieben, dazu kamen zwei Anschläge mit insgesamt sieben Toten und Dutzenden Verletzten.

Der Brandanschlag in München geriet lange weitgehend in Vergessenheit, bis zivilgesellschaftliche Organisationen auf eigene Initiative hin recherchierten und das Gedenken wachhielten. Zum 40. Jahrestag lud die Stadt am Sonntag zu einer Kranzniederlegung am früheren Tatort und einer Gedenkveranstaltung im Alten Rathaus, zu der auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) kam.

"Wir müssen aufklären und Orte der Erinnerung schaffen, die uns immer wieder mit solchen Taten konfrontieren. Wir müssen verstehen, warum rechter Terror in Deutschland jahrelang verdrängt, verschwiegen und vertuscht wurde", sagte die Politikerin laut vorab verbreitetem Redemanuskript.

Die Stadt hofft nun, Licht in die auch wissenschaftlich noch kaum erforschten Zusammenhänge bringen zu können. "Das Kulturreferat sucht weiterhin nach Spuren und Quellen zum 7. Januar 1984. Wenn sich Menschen daran erinnern und ihre Erinnerung mit uns teilen würden, oder auch Corinna Tartarotti kannten, würden wir uns freuen, wenn sie sich mit uns in Kontakt setzten", wendet sich Referatsmitarbeiter Moritz Kienast an Zeitzeugen und das Umfeld des Todesopfers. Denn viele Spuren haben sich in der Vergangenheit verloren.

München war der einzige Tatort in Deutschland

Das liegt nach Einschätzung von Historikern zum einen daran, dass München der einzige Tatort in Deutschland war, an dem die beiden jungen Männer - Jahrgang 1959 sowie 1960 - ihre höchst brutalen Angriffe ausführten. "Das ist kein deutscher Fall, das ist ein italienischer Fall im Ausland", urteilt etwa Massimiliano Livi von der Universität Trier. München als Tatort sei reiner Zufall gewesen, auch wenn einer der beiden Männer dort engste familiäre Bezüge hatte.

Es liegt nach Einschätzung der Experten aber auch daran, dass Justiz und Politik wie beim Oktoberfestattentat dreieinhalb Jahre zuvor lange auf dem rechten Auge blind waren - zumal die Tat in einem etwas verruchten Nachtclub in Bahnhofsnähe geschah und zunächst mit Rotlicht-Kriminalität in Zusammenhang gebracht wurde.

Dabei waren nicht nur die optischen Bezüge in den insgesamt sieben Bekennerschreiben der Täter markant. Die "Gruppe Ludwig" reihe sich in vielen Aspekten nahtlos in die postfaschistische extrem rechte Ideologie Italiens ein, schreiben etwa der Historiker Thomas Porena und seine Kollegin Eike Sanders in einem Aufsatz zum Thema. Diese sei von Elitarismus, faschistischem Untergangsmystizismus und einer sexualitätsfeindlichen Männerbundideologie geprägt gewesen.

Die "Gruppe Ludwig" habe zwar keine parlamentarische Politik angestrebt, aber es handele sich um Botschaftstaten. "Es begann mit kleineren Anschlägen gegenüber Sinti, Obdachlosen, Sexarbeiterinnen, Schwulen und Drogenkonsumenten. Dann begannen sie, Symbole der "gesellschaftlichen Dekadenz" anzugreifen", schildert Porena. Dazu gehörte neben Morden an "gefallenen" Priestern auch das Münchner Liverpool, das zumindest in den Augen der Täter ein Sex-Club war - obwohl der Sperrbezirk damals schon lange existierte.

Gefasst wurde das Duo - gerade noch rechtzeitig - 1984, als es in einer vollen Disko in Norditalien erneut Benzin verschüttete. Die Männer gestanden nie, wurden aber in einem Indizienprozess für einen Großteil der ihnen zugeschriebenen Taten verurteilt.

Virtuelle Wandmalerei?

In München ist man sich inzwischen einig, dass dem Anschlag breiter gedacht werden soll - auch am Tatort. Nur wie? "Das Problem ist, der öffentliche Raum ist dort sehr, sehr begrenzt", schildert Kienast. Der Siegerentwurf des Wettbewerbs, den die Stadt ausgelobt hat, sieht deshalb eine Wandmalerei vor. Jedoch: "Das Haus ist Privatbesitz, wir können da als Stadt nicht machen, was wir wollen." Deshalb suche man nun nach einer Form, den breit akzeptierten Entwurf des Künstlers Tom Wolff umzusetzen, etwa in Form von Augmented Reality.

"Erinnern ist würdig gegenüber den Opfern, aber natürlich bringt es nur was, wenn man sich auch mit der Ideologie auseinandersetzt - warum hat es den Anschlag gegeben, ist die Gefahr noch da?", sagt der bei der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München engagierte Journalist Robert Andreasch, der zusammen mit seiner Kollegin Lina Dahm das Grab von Corinna Tartarotti aufgespürt und vor der Auflösung bewahrt hat.

Viele Aspekte der menschenverachtenden, aber oft auf eine krude Mischung aus Nationalsozialismus und wahnhafter christlicher Sexualmoral zweier "Verrückter" verkürzten Ideologie der "Gruppe Ludwig" sieht er auch heute als die großen Themen der aktuellen deutschen Rechten. "Der Anschlag im Liverpool ist eigentlich eine ziemlich aktuelle Geschichte." (Elke Richter, Irena Güttel, dpa)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.