Politik

Die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler. (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

21.06.2019

Reinfall oder Erfolgsstory?

Vor zehn Jahren stimmten Bundestag und Bundesrat für die Einführung der Schuldenbremse – was hat’s gebracht?

Über wenige Themen wurde hierzulande so heftig gestritten wie über die Schuldenbremse. Ende Mai 2009 stimmte der Bundestag nach heftiger Debatte mit den Stimmen der Großen Koalition für die Einführung einer solchen auf Bundes- und Länderebene. Mitte Juni votierte auch der Bundesrat dafür. Die Kritik war damals groß. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach von einem „schwarzen Tag für die Handlungsfähigkeit des Staates“, die Linke von „einer Katastrophe für unser Land“. Union und weite Teile der SPD hatten dagegen argumentiert, man wolle durch wegfallende Zinsen Spielräume für nötige Zukunftsinvestitionen schaffen.

Im Artikel 109 (3) des Grundgesetzes heißt es seither: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Ab 2020 dürfen die Bundesländer in wirtschaftlich normalen Zeiten keine neuen Miesen mehr machen. Die Neuverschuldung des Bundes darf seit 2016 höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. Für Rezessionen oder Krisenzeiten wie etwa nach Naturkatastrophen hat der Gesetzgeber jedoch gewisse Ausnahmeregelungen vorgesehen.

Manche glauben, die Schuldenbremse zeige bereits ihre Wirkung. Der Bund ist 2018 im fünften Jahr in Folge ohne neue Schulden ausgekommen. Auf Basis des vorläufigen Jahresabschlusses ergab sich für den Bundeshaushalt sogar ein Überschuss – es wurden 11,2 Milliarden Euro weniger ausgegeben als eingenommen. Seit 2012 lag die strukturelle Verschuldung stets unter der Obergrenze von 0,35 Prozent des BIP. Doch ist dies auf die – aus Sicht der Befürworter gewünschten – Politiker disziplinieren – Wirkung der Schuldenbremse zurückzuführen? Eher nicht. Die Bundes- und Landesregierungen profitierten in diesem Jahrzehnt bei ihrer Haushaltsgestaltung von seit Jahren guten Konjunkturdaten. Die Arbeitslosigkeit sank kontinuierlich. Dadurch waren die Einnahmen des Fiskus sehr hoch, die Sozialkassen verzeichneten hohe Beitragseinnahmen.

Risiko Pensionslasten

Zudem sind die Zinsen für deutsche Staatsanleihen seit Jahren historisch tief. Letzteres ist nicht nur einer im internationalen Vergleich soliden Haushaltsführung, sondern auch den durch die EZB niedrig gehaltenen Zinsen geschuldet. Weil Bund und Länder günstig Geld leihen können, müssen sie in der Folge etwa im Vergleich zu anderen Ländern weit weniger für ihre bestehende Schuldenlast bezahlen. Nach Berechnungen der Bundesbank hat der deutsche Staat aufgrund der Niedrigzinsen von 2008 bis Ende 2018 gut 368 Milliarden Euro eingespart.

Der Stand aller öffentlichen Schulden der Bundesrepublik sank im Verhältnis zum BIP in den vergangenen Jahren deutlich – allein von 2017 auf 2018 von 64,5 des BIP auf 60,9 Prozent. 2010 hatte dieser Wert noch bei über 80 Prozent gelegen. Allerdings ging ein Teil des Rückgangs schlicht darauf zurück, dass die staatlichen Bad Banks ihre Schulden reduzierten.

Auch eine Vielzahl von Bundesländern verringerte ihre Schulden seit 2011 deutlich – darunter Bayern, aber auch das klamme Berlin. Seit 2017 hat der Großteil der Bundesländer keine neuen Schulden aufgenommen. Der Stabilitätsrat, der über die Finanzen von Bund und Ländern wacht, prognostizierte vor zwei Jahren, alle Länder könnten 2020 die Schuldenbremse erfüllen. Acht Länder haben die Schuldenbremse mittlerweile sogar in ihre Landesverfassungen aufgenommen – auch der Freistaat. In Bayern tritt diese offiziell ab Januar in Kraft. Der bayerische Haushalt kommt in diesem Jahr aber ohnehin zum 15. Mal in Folge ohne neue Schulden aus. Seit 2012 verringerte der Freistaat seine Schulden von fast 33 auf zuletzt gut 27 Milliarden Euro.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger ist sich sicher: „Die Schuldenbremse ist ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit. So haben auch noch unsere Kinder Spielraum für nötige Investitionen.“ Eckhardt Rehberg (CDU), Chefhaushälter der Unionsfraktion im Bundestag, sagt der BSZ, die Schuldenbremse sei der Grund dafür, „dass wir nach jahrzehntelanger Schuldenmacherei endlich wieder solide öffentliche Finanzen in Deutschland haben“.

Gesine Lötzsch, Haushaltsexpertin der Linken-Fraktion im Bundestag, sagt der BSZ dagegen: „Die Schuldenbremse verhindert dringend notwendige Investitionen auf allen Ebenen. Besonders katastrophal ist die Situation für die Länder, da deren Handlungsmöglichkeiten geringer als die des Bundes sind.“ Überall werde „jetzt die Flucht in Schattenhaushalte und Privatisierung gesucht“. Das sei „das Gegenteil von nachhaltiger Politik“, kritisiert sie. Die Linke würde die Schuldenbremse gerne abschaffen. Auch Teile der bayerischen SPD sahen zuletzt Handlungsbedarf.

Sebastian Dullien, Forscher des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), sagt: „Die Schuldenbremse ist ein gewaltiger Reinfall. Wir haben seit mindestens zehn Jahren die staatlichen Investitionen massiv zurückgefahren.“ Die Folgen würden erst jetzt sichtbar, etwa bei der Infrastruktur. Lötzsch behauptet, die Schuldenbremse habe zu einem massiven Personalabbau unter anderem in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Bauämtern geführt. CDU-Mann Rehberg sieht die Investitionsfähigkeit durch die Schuldenbremse dagegen nicht gefährdet.

Immerhin: Laut Bundesbank verbesserten sich die Länderfinanzen im laufenden Jahrzehnt deutlich. Ausschlaggebend waren jedoch sprudelnde Steuereinnahmen und Niedrigzinsen. Die Banker warnen jedoch vor steigenden Belastungen der Länder durch erheblich steigende Pensionsausgaben. „Die vorhandenen Pensionsrücklagen können dies aus heutiger Sicht nicht auffangen.“ Bayern hat zwar nach Mecklenburg-Vorpommern pro Kopf die größten Rücklagen gebildet. Ob diese reichen, ist jedoch fraglich. (Tobias Lill)

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