Politik

Verbände und Oppositionsparteien sehen im Freistaat Nachholbedarf bei den erneuerbaren Energien, vor allem bei der Windkraft. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

05.07.2024

Schlechtes Klima

Hubert Aiwanger verärgert mit seinen Aussagen zum Erreichen der CO2-Neutralität nicht nur seinen Koalitionspartner – aber hat er nicht recht?

Erreicht Bayern fünf Jahre früher als der Bund die Klimaneutralität? Bis 2040, also in gut 15 Jahren, soll im Freistaat zumindest rechnerisch nicht mehr CO2 verbraucht werden, als man durch natürliche oder künstliche Kohlenstoffspeicher wieder aus der Atmosphäre holen kann. Vizeministerpräsident und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger hatte jüngst im Interview mit der Augsburger Allgemeinen angezweifelt, ob das tatsächlich gelingen kann. Das Ziel sei „sportlich“, hatte Aiwanger gesagt. Damit stieß er nicht nur Umweltschützer*innen vor den Kopf, sondern auch den Koalitionspartner CSU.

Und es verwundert – schließlich hatten die Freien Wähler der entsprechenden Verschärfung des Bayerischen Klimaschutzgesetzes erst im Dezember 2022 zugestimmt. Doch: Ist es nicht wirklich unwahrscheinlich, dieses Ziel – Reduzierung des Ausstoßes um 65 Prozent bis 2030 als Zwischenschritt und 2040 komplette CO2-Neutralität – zu erreichen?

„Nicht nur sportlich, sondern blanker Unsinn“

Die Bayern-FDP sprang auf dieses Thema auf. Das Ziel sei „nicht nur sportlich, sondern blanker Unsinn“, sagte Landeschef Martin Hagen. EU-weit gilt das Jahr 2050 als Wegmarke, also zehn Jahre nach dem Freistaat und fünf Jahre nach dem Ziel des Bundes. Bis dahin sollen alle EU-Mitgliedstaaten klimaneutral sein. Das bedeute: Jede in Bayern davor eingesparte Tonne CO2 könne damit in einem anderen europäischen Land umso günstiger wieder ausgestoßen werden, sagt Hagen. Klimapolitisch gebe es also gar keinen Nutzen. CSU und Freie Wähler sollten daher die Jahreszahl 2040 wieder aus ihrem Klimaschutzgesetz streichen. 

Im Umweltministerium will man weder von Zweifeln am Sinn noch am Termin etwas hören: „Dieses Ziel ist im Bayerischen Klimaschutzgesetz klar festgelegt und wird umgesetzt“, erklärt ein Sprecher. „Mit dem Dreiklang aus dem Bayerischen Klimaschutzgesetz, dem Klimaschutzprogramm und einer jährlichen Klimamilliarde bekräftigt Bayern seinen Willen zu nachhaltigem Klimaschutz.“ Damit geht die von Aiwangers Parteifreund Thorsten Glauber geführte Behörde ganz klar in Opposition zum Vizeministerpräsidenten.

Auch für den Koalitionspartner steht außer Frage, dass die im Klimaschutzgesetz verankerten Ziele erreicht werden. Alexander Flierl, der umweltpolitische Sprecher der CSU-Fraktion, verweist auf ein neu aufgelegtes Klimaschutzprogramm aller Ressorts der Staatsregierung, das 150 Maßnahmen vorsieht – von der Förderung des kommunalen Klimaschutzes sowie kommunaler Klimaanpassungsmaßnahmen über die Stärkung der Klimaforschung bis zum Ausbau von ÖPNV und Radwegen. Zwischen 2015 und 2022 wurden laut Flierl durch Klimaschutzmaßnahmen CO2-Einsparungen in Höhe von etwa 325 000 Tonnen dokumentiert. Die tatsächliche Reduktion dürfte deutlich höher sein, bis vor Kurzem gab es noch keine flächendeckende und systematische Dokumentation der Einsparungen.

Doch wie aus dem Klimabericht hervorgeht, müsste noch weit mehr passieren, um bis 2040 klimaneutral zu sein. 2021 betrug Bayerns CO2-Ausstoß noch 92 Millionen Tonnen. CSU-Mann Flierl räumt auch ein, dass dem bayerischen Klimaschutzprogramm enge Grenzen gesetzt seien, da viele Minderungsziele an Vorgaben von Bund und EU geknüpft seien, etwa beim Emissionshandel oder bei Energieeffizienzvorgaben. Deshalb sei da auch der Bund in der Pflicht, mehr Anreize zu schaffen.

Aus Sicht der Grünen im Bayerischen Landtag hat der Bund dagegen seine Hausaufgaben gemacht. Laut Martin Stümpfig, dem Sprecher für Energie und Klimaschutz, sinken die Treibhausgasemissionen deutschlandweit deutlich stärker als in Bayern. Stümpfig bescheinigt der Staatsregierung sogar eine „verheerende Klimabilanz“ und stellt im Hinblick auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 fest: „Beim derzeitigen Tempo gehen die Chancen gegen null.“ Das Scheitern würde aber ein fatales Signal aussenden, „dass selbst reiche Länder mit hoher Entwicklung die Klimaziele nicht erreichen“.

Auch beim Bund Naturschutz Bayern, der sogar das Erreichen der Klimaneutralität bis 2035 fordert, bedauert man Aiwangers Aussagen. „Es ist möglich und dringend nötig, dieses Ziel noch zu erreichen“, sagt Kasimir Buhr, Referent für Energie und Klima. „Wenn wir das Ziel nicht erreichen, wird die Klimakrise weiter ungebremst voranschreiten.“ Die Konsequenz seien vor allem mehr Extremwetterereignisse und trockenere Sommer.

Allerdings schwingt auch bei dem Umweltschutzverband Skepsis mit: Aus Sicht vom Bund Naturschutz gibt es nämlich keinen wirklichen Klimaschutzmaßnahmenplan der Staatsregierung, sondern lediglich „leere Worthülsen“. Die natürlichen Kohlenstoffspeicher wie Wälder und Moore seien in teilweise so schlechtem Zustand, dass sie eher noch CO2 freisetzten. Dazu gebe es großen Nachholbedarf beim Ausbau der Windenergie.

BN: Budget ist bald aufgebraucht

Ändern müsse sich auch, dass noch immer überwiegend mit fossilen Brennstoffen geheizt wird. „Dass die bayerische Staatsregierung besonders ineffiziente Heiztechniken wie Wasserstoff bewirbt, ist nicht hilfreich. Die Menschen werden hier mit falschen Versprechen verwirrt und der dringend nötige Ausstieg aus dem Heizen mit Gas unnötig verzögert“, erklärt Buhr.

Der Umweltschutzverband hat errechnet, wie viel CO2 der Freistaat ab sofort noch verbrauchen dürfte, wenn er 2040 klimaneutral sein will: Es sind 330 Millionen Tonnen. Das hört sich nach viel an, doch: „Bleibt es beim aktuellen Tempo, ist dieses Budget aber in fünf Jahren aufgebraucht“, sagt Buhr. Hubert Aiwanger dürfte sich in seinen Aussagen bestätigt fühlen. (Thorsten Stark)
 

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