Politik

Kohl und die CSU: Das Verhältnis des Pfälzers zu den selbstbewussten Christsozialen war voller Spannungen. Vor allem mit dem rauflustigen Franz Josef Strauß war Kohl häufig aneinandergeraten. (Foto: ddp)

01.04.2010

Schwierige Annäherung

Am Ostersamstag feiert Helmut Kohl 80. Geburtstag – sein Blick auf Bayern dürfte sich inzwischen entspannt haben

Helmut Kohl ist der Kanzler der deutschen Einheit. Das ist er und das bleibt er, obwohl er das in der ersten Hälfte seiner Regierungszeit gar nicht werden wollte. Die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit hielt er zwar nicht, wie Willy Brandt, für die Lebenslüge des deutschen Volkes, wohl aber, wie fast alle seine Landsleute, schlicht für ein Ding der Unmöglichkeit. So hängt mit seiner größten Lebensleistung seine größte Fehleinschätzung innig zusammen. Im November 1989 waren er und sein Kabinett auf irgendeine „Wende“ nicht im mindesten vorbereitet. Daher der Hals über- Kopf-Stil der damaligen Bonner Politik samt einer Menge falscher und teurer Entscheidungen. Dabei war der Chef noch ein besserer Improvisator als die Männer um ihn herum. Doch auch er brauchte nach dem Fall der Mauer sechs Wochen, bis er an die staatliche Einheit Deutschlands glaubte und nicht nur an die ewige Koexistenz einer hinnehmbaren, weil über Nacht umgänglicher gewordenen DDR. Er, dessen ökonomischen Sachverstand herablassend zu bekritteln andauernd Mode war, fasste dennoch zwei Entschlüsse von unabsehbarer wirtschaftlicher Tragweite. Eins zu eins wurde die DDR-Mark in D-Mark umgetauscht, doch selbst das Verhältnis zwei zu eins bei höheren Beträgen drückte nicht Kaufkraft, sondern Erbarmen aus. Die Spezialisten waren entsetzt. Der gemeinsame Kanzler wollte eben seine neuen Staatsbürger nicht vor den Kopf stoßen, weder mit marktradikaler Kälte noch mit komplizierter Arithmetik. Dann kam der Euro. Er kam nicht aus Liebe zu Europa, sondern aus französischer und italienischer Abneigung gegen die D-Mark als Leitwährung. Wer das vor zehn Jahren taktisch schlau bestritt, gibt es heute weise lächelnd zu. Kohl war das Motiv gleichgültig, sofern nur für den europäischen Frieden etwas dabei heraussprang. Wahrscheinlich muss ein Deutscher heute 80 Jahre alt sein, um völlig verstehen zu können, dass ein Politiker das ganze Glück seines Berufslebens in der Abschaffung europäischer, vor allem deutsch-französischer Kriege erblickt. Am linken Rheinufer liegt Ludwigshafen, wo am 3. April 1930 Helmut Kohl geboren wurde – als Sohn eines bayerischen Beamten. Dass damals die Pfalz noch zu Bayern gehörte, war für den gereiften Staatsmann allenfalls als Reminiszenz auf CSU Parteitagen wertvoll. Kohl dachte viel zu politisch, als dass es ihm in den Sinn gekommen wäre, seine CDU-Karriere durch die Betonung einer halbwegs bajuwarischen Herkunft zu gefährden. Selten beruhte ein gespanntes Verhältnis so sehr auf Gegenseitigkeit wie das zwischen dem Pfälzer und Franz Josef Strauß. Dabei war dieser kein Kind von Traurigkeit und Kohl der geselligste Kanzler, den die Bundesrepublik je hatte. Doch Dr. Strauß verachtete Dr. Kohl intellektuell, machte auch kein Hehl daraus und fand unentwegt, er selbst wäre der weitaus bessere Bundeskanzler gewesen. Typisch Akademiker. Der Mann in München überschätzte den praktischen Wert analytischer Fähigkeiten. Dabei hatte sich Kohl bereits 1980 auf seine Weise revanchiert, indem er zum Schein als Kanzlerkandidaten einen CDU-Politiker favorisierte, den der CSU-Vorsitzende nicht ausstehen konnte. Wie erwartet, sah Strauß nichts als den Ruin der Unionsparteien voraus, kandidierte selbst, verlor die Bundestagswahl programmgemäß gegen Helmut Schmidt, begrub einen Teil seines Ehrgeizes und überließ dem Rivalen das bundespolitische Feld. Kohl hatte es verstanden, einen Konkurrenten „auszusitzen“ – um ein Talent zu erwähnen, das dem Kanzler gern zugeschrieben wird. In Wirklichkeit hat das Publikum nur an Kohl wahrgenommen, was an den meisten politischen Talenten beobachtet werden kann: der Wunsch, für die Bewältigung einer Sache den passenden Zeitpunkt zu wählen. Nur ein Narr schnappt nach jedem Köder, den ihm der Gegner unter die Nase hält. Sucht jemand Streit, muss das kein Anlass sein, sich daran zu beteiligen. Nein, viel charakteristischer für Kohl war die Neigung, Weltpolitik per Telefon zu treiben. In Machtfragen sah er Mentalitätsprobleme. Er war stolz, wenn er erfolgreich geplauscht und gewinnbringend gescherzt hatte. Der Wiedervereinigung, die zu hintertreiben der Ehrgeiz sowohl der britischen als auch der französischen Regierung war, nützten die guten persönlichen Kontakte zu Gorbatschow und Bush senior. Bei Margaret Thatcher freilich biss der Pfälzer auf Granit. Sie hielt ihn, und daraus sprach tiefe Antipathie, für typisch deutsch. So viel Pech wie mit der eisernen Lady hatte er nur noch mit Strauß, trotz einiger kläglicher Versuche, den Unionswählern eine „Männerfreundschaft“ vorzugaukeln. Der begnadete Kontaktpfleger hielt sich, sobald es um Bayern oder die CSU ging, an Theo Waigel, der sich jahrelang in der Kunst übte, Diener zweier Herren zu sein. Bitternis blieb Helmut Kohl nicht erspart. Er hatte vier Bundestagswahlen gewonnen und merkte zum Schluss, wie überdrüssig die Deutschen seiner geworden waren. Weil sie an einer schlimmen Krankheit litt, nahm seine Frau sich das Leben. Und nun sitzt er selbst im Rollstuhl, er, der Hüne, der immer alle überragt und mit schierer körperlicher Präsenz Menschen fasziniert, eingeschüchtert oder umgestimmt hatte. Männer, die lächerlich wirken wollten, brauchten sich nur neben Helmut Kohl zu stellen. Der spillrige Stoiber hatte nicht seine fotogensten Momente, wenn er Kohl gegenübertrat und an dessen Volumen emporsah. Wenn der Kanzler speiste, dann für fünf. In einem Altmünchner Wirtshaus trug ihm einmal die Kellnerin vor, was die Küche an besonderen Spezialitäten zu bieten hatte. Kohl hörte aufmerksam zu, nickte mit dem Kopf und sagte „Ja“. (Roswin Finkenzeller)

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