Politik

Ein zwölfjähriges Mädchen wird mit dem Serum von Biontech/Pfizer in einer Hausarztpraxis geimpft. (Foto: dpa/Oliver Berg)

23.07.2021

Schwierige Entscheidung

Soll man Kinder gegen Covid-19 impfen? Die Lehrkräfte sind gegen eine Empfehlung – ganz im Gegensatz zu Söder

Soll man Kinder und Jugendliche impfen? Soll man es nicht? Damit nach den Sommerferien endlich wieder ganz normal Schule stattfinden kann, hat die Frage nach den Impfungen von 12- bis 17-Jährigen an Brisanz gewonnen. Für unter Zwölfjährige ist weltweit noch kein Impfstoff zugelassen.

Bislang ist die Zahl der Geimpften dieser Altersklasse in Bayern gering: 5,5 Prozent wurden mindestens einmal geimpft, zwei Prozent haben den vollständigen Impfschutz. Bundesweit führt aktuell Niedersachsen mit 7,8 Prozent die Liste der Erstgeimpften an, Thüringen liegt mit 3,1 Prozent vorn bei den vollständig Geimpften.

Während die Ständige Impfkommission (Stiko) von einer Impfung in dieser Altersgruppe zwar nicht abrät, sie aber noch nur für Kinder mit Vorerkrankungen empfiehlt, drängt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) darauf, das Impfangebot für Kinder ab zwölf weiter auszubauen. Er stützt sich dabei auf die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA, die den Impfstoff von Biontech bereits Ende Mai zu diesem Zweck zugelassen hat.

Seine unverhohlene Kritik an der Stiko stößt vielfach auf Unverständnis. So haben sich Bayerns größte Ärzteorganisationen in einem gemeinsamen Aufruf dagegen ausgesprochen, auf die Stiko Druck auszuüben. Auch Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV ist überzeugt: „Es darf nicht sein, dass politischer Druck ausgeübt wird, Kinder impfen zu lassen.“ Ausschlaggebend sei die Einschätzung von Fachleuten. Die Staatsregierung dagegen sei gefordert, „ihre Hausaufgaben zu machen und rechtzeitig und umfassend dafür zu sorgen, dass Schule für Lehrerinnen und Lehrer sowie für Schülerinnen und Schüler sicher ist“.

Führt der Pieks bei Kindern zu Spätfolgen? Niemand weiß das

Michael Schwägerl vom Bayerischen Philologenverband hält ebenfalls zur Stiko. Deren fachliche Einschätzung sei der individuellen, von ärztlichem Rat begleiteten Entscheidung der Familien zugrunde zu legen.

Die Eltern wiederum scheint die Affäre nicht allzu sehr aufzuwühlen. Gut möglich, dass die nahenden Ferien die Stimmung schon vorab ein wenig entspannen. Wie Henrike Paede vom Bayerischen Landeselternverband erzählt, erhält sie gerade wenig Zuschriften zum Thema. Positionieren möchte sich der Elternverband zwar nicht. Paede macht aber deutlich: „Impfungen nützen. Sie haben schon die halbe Welt von Seuchen und Plagen befreit und ganze Krankheiten ausgerottet.“

Die Meinungen, ob es gut ist, Kinder und Jugendliche zu impfen, sind also geteilt. Und das aus gutem Grund. Denn eine solide Faktenbasis, auf der sauber entschieden werden könnte, will sich einfach noch nicht einstellen. Wie groß das Risiko für Kinder ist, an Long Covid zu erkranken: Wer weiß das schon? Genauso wenig ist bekannt, ob die Impfung mit den neuartigen mRNA-Impfstoffen bei Kindern und Jugendlichen trotz ihrer asymptomatischen oder milden Verläufe nicht doch zu Spätfolgen führt.
Fest steht in jedem Fall: Kinder und Jugendliche haben ein deutlich geringeres Risiko als Erwachsene, schwer an Covid-19 zu erkranken. Sie allein zum Schutz anderer zu impfen, lässt sich ethisch kaum rechtfertigen. Denn Mittel zum Zweck: Das sollte kein 13-Jähriger werden.

In anderen Ländern tut man sich mit der Entscheidung leichter. In den USA etwa, wo Vorerkrankungen wie schweres Übergewicht auch unter Jüngeren häufig sind, werden Kinder zwischen 12 und 15 schon seit Mitte Mai geimpft. Rund 10 000 Millionen der 12- bis 18-Jährigen haben bereits eine Einfachimpfung erhalten, acht Millionen sind vollständig geimpft. Israel hat mit der Impfung in der zweiten Junihälfte begonnen. Anfang Juli war ein Viertel der Altersgruppe doppelt geimpft. Die Impfkampagne läuft im Impfmusterland dennoch eher schleppend. Geimpft wird darum so bequem wie möglich, auch an Schulen und Strand.

Während andere Länder auch in Europa beherzt impfen, ist man hierzulande in der komfortablen Situation, zuschauen zu können, wie sich das Ganze auswirkt. Nicht zuletzt kann Bayern am Beispiel jener Bundesländer, deren Ferien schon jetzt fast vorüber sind (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin), lernen, ob und wie sich die Sommerlockerungen in den Inzidenzen an den Schulen niederschlagen.

Bleibt die Frage, ob die Impfung von Kindern und Jugendlichen überhaupt nötig ist, wenn jeder, der einer Risikogruppe angehört, sich selbst durch eine Impfung schützen kann. Die Antwort: Ja. Zumindest, wenn es nach Bundeskanzlerin Angela Merkel geht. Sie hat diese Woche noch einmal verdeutlicht, warum hohe Inzidenzen riskant sind. „Bei riesengroßen Zahlen von Fällen ist die Gefahr, dass das Virus eine noch aggressivere Variante entwickelt, nicht zu unterschätzen.“ Gehen die Fallzahlen durch die Decke, steigt zudem die Zahl schwerer Verläufe.

Wie Inzidenz und Krankenhauseinweisungen künftig zusammenspielen, bleibt allerdings abzuwarten.
(Monika Goetsch)

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