Schauen wir in die USA. Dort ist es seit Jahrzehnten üblich, dass Supermärkte 24 Stunden am Tag geöffnet sind. An der Kasse sitzen häufig Studenten, die die Nachtschichten in jungen Jahren noch besser wegstecken und so ihr Studium mitfinanzieren. Amerikanische Familien gehen sonntags gerne in die Malls – riesige Einkaufszentren an der Autobahn, in denen man essen, ins Kino gehen und vor allem nach Herzenslust einkaufen kann.
So viel Kommerz am siebten Tag der Woche ist in Deutschland von jeher verpönt. In die Kirche zwingt der Staat zwar niemanden. Nur ins Büro gehen soll und in den Laden darf der Bürger nicht. Die Sonntagsruhe ist sogar grundgesetzlich geschützt. Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung von 1919 gilt im Grundgesetz bis heute weiter. Der Sonntag sei ein Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung, heißt es dort. Einzelne Ausnahmen sind gestattet. Abschaffen ließe sich die generelle Sonntagsruhe nur durch eine Änderung des Grundgesetzes – mit Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat.
Landesregierungen, Gerichte, Gewerkschafts- und Kirchenfunktionäre ringen regelmäßig miteinander, wie oft im Jahr Geschäfte sonntags öffnen dürfen. Seit 2006 ist das Thema Ländersache. Entsprechend unterschiedlich sind die geltenden Regelungen. In den meisten Ländern, auch in Bayern, dürfen Geschäfte an bis zu vier Sonntagen öffnen. Am liberalsten ist die Regelung in Berlin mit maximal zehn verkaufsoffenen Sonntagen. Erforderlich ist aber laut Bundesverwaltungsgericht stets ein Anlass, ein „konkretes Marktgeschehen“, etwa Kirmes oder Weihnachtsmärkte. Kaum noch jemand nutzt den Sonntag zur schieren seelischen Erbauung. Selbst die christlichsten Eltern haben hierzulande nichts dagegen, wenn der schulpflichtige Nachwuchs sonntags für die Mathematikprüfung am Montag übt. Studenten, Selbstständige und Freigeister aller Art haben auch in den vergangenen Jahrzehnten schon sonntags gearbeitet. Polizei, Krankenschwestern, Journalisten, Lokführer, Busfahrer und Piloten sind sonntags tätig – warum dann nicht auch der Einzelhandel?
Das Internet kennt keinen Ladenschluss
Lange konnten sich die Händler damit trösten, dass das Verkaufsverbot zumindest für alle gleichermaßen gilt – bis die Deutschen den Online-Handel entdeckten. Das Internet kennt keinen Ladenschluss. Bestellen kann man mittlerweile rund um die Uhr so gut wie alles, die Lieferzeiten betragen bei Bedarf oft nur noch ein paar Stunden. Das ist kein fairer Wettbewerb. Warum müssen Karstadt und Rewe sonntags schließen, wenn Amazon öffnen darf?
Ein solches Dilemma lässt sich auf zweierlei Art lösen. Die Grünen in Niedersachsen diskutieren darüber, die Möglichkeiten von Online-Shopping und Callcentern am Sonntag einzuschränken. Online-Kunden sollen demnach zwar auch künftig sonntags Bestellungen aufgeben können. „Es ist aber ausreichend, wenn die Bearbeitung der Bestellung am Montag passiert. Die Mitarbeiter müssen nicht das ganze Wochenende bereitstehen“, findet Stefan Körner, Grünen-Landeschef in Niedersachsen.
In eine andere Richtung drängen die Warenhauskonzerne Karstadt und Kaufhof. Sie kämpfen jetzt Seit’ an Seit’ mit der Initiative „Selbstbestimmter Sonntag“ für uneingeschränkte Ladenöffnungszeiten. Zentrales Argument: Der Sonntag sei einer der wichtigsten Einkaufstage im Internet. „Kunden, Mitarbeiter und Händler sind mündig genug, um selbst zu bestimmen, ob sie am Sonntag einkaufen, arbeiten oder verkaufen wollen“, sagt Karstadt-Chef Stephan Fanderl. Kein Kaufhausmanager wolle an allen 52 Sonntagen im Jahr öffnen, aber die Entscheidungsfreiheit müsse her. Die Menschen vor sich selbst schützen zu wollen, entspreche weder einem modernen Menschenbild, noch der Lebenswirklichkeit. Einer GfK-Umfrage von 2014 zufolge würde ein knappes Drittel der deutschen Bevölkerung einer kompletten Aufhebung des Verkaufsverbots an Sonntagen zustimmen.
Ein hehres Ziel, zumal im Freistaat. Bayern und das Saarland sind die beiden einzigen deutschen Bundesländer, in denen Supermärkte noch abends um 20 Uhr schließen müssen. Im Rest der Republik kann man flächendeckend bis 22 Uhr oder gar bis Mitternacht einkaufen.
Öffnungsgegner führen an, in Bayern lebten die meisten Menschen jenseits der beiden Metropolen Nürnberg und München. Und nur dort sehne man sich nach solchen kosmopolitischen Freiheiten. Die übrigen Bayern, die große Mehrheit, genieße das beschauliche Leben mit einem übersichtlichen Feierabend für Kunden wie Kassiererinnen und einem gesunden Lebensrhythmus. Sie fürchteten, dass sie auch länger im Büro sitzen müssen, wenn die Läden länger geöffnet haben. Und überhaupt: Es sei ja gar nicht bewiesen, dass die Läden dann auch mehr verkaufen. Führen längere Öffnungszeiten nicht zu immer mehr Stress? Wäre nicht Entschleunigung gerade heutzutage viel gesünder?
Der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) ist nicht für Entschleunigung bekannt. Ende 2006 hatte er den Versuch unternommen, den Ladenschluss auf 22 Uhr auszudehnen. Aber er scheiterte an einer Pattsituation in der CSU-Landtagsfraktion. Sein Nachfolger Horst Seehofer gilt als Verfechter des Ladenschlusses um 20 Uhr. Mit ihm, wiederholt er oft und gerne, werde es keine Ausweitung der Öffnungszeiten geben. (Jan Dermietzel)
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