Dicke Luft im Münchner Rathaus: Die Grünen-Fraktion will in der Landeshauptstadt Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einführen, große Hauptstraßen ausgenommen. Einen entsprechenden Modellversuch soll die Stadt beim Bundesverkehrsministerium beantragen. Begründung: weniger Unfälle, mehr Sicherheit, bessere Bedingungen für Radler*innen und bessere Luft. Der SPD-Koalitionspartner im Stadtrat fühlte sich durch den Antrag jedoch übergangen und stellte sich quer. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) wies den Vorschlag gar als „nutzlos“ zurück. Mehr als 85 Prozent der Münchner Straßen hätten bereits Tempo 30. Jetzt soll erst einmal eine rot-grüne Arbeitsgruppe die Streitfrage klären.
Wie sinnvoll ist Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Bayerns Städten? Bislang gelten in Deutschland laut Straßenverkehrsordnung StVO grundsätzlich 50 Stundenkilometer als Höchstgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften. Vor schutzbedürftigen Einrichtungen wie Kitas, Schulen oder Seniorenheimen darf das Limit auf 30 gesenkt werden. Ebenfalls in Wohngebieten. Auch eine Gefahrenlage ist ein zulässiger Grund, Tempobeschränkungen zu verhängen. Diese muss aber mit entsprechenden Unfallzahlen belegt werden.
Tempo 30 als Regelfall, wie ihn die Grünen wollen, würde die Beweislast umkehren. Die Notwendigkeit von Tempo 50 müsste dann begründet werden. Das hält der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Münchner Rathaus, Christian Müller, für problematisch. „Tempo 30 finde ich grundsätzlich sinnvoll, aber nicht auf jeder Straße.“ Er meldet selbst bei der Verkehrssicherheit Zweifel an. Ein Hauptproblem bei Unfällen sei das Thema Abbiegen, „weshalb wir viele Initiativen gestartet haben, um noch mal Kreuzungen zu entschärfen“. Auch die CSU-Fraktion im Münchner Rathaus möchte „weiterhin differenziert bewerten, wo Tempo 30 sinnvoll ist“, so der Vorsitzende Manuel Pretzl. Sonst drohe den Wohngebieten mehr Durchgangsverkehr. Gleichzeitig fürchtet er auf den wenigen verbleibenden Hauptverkehrsadern mit Tempo 50 eine noch größere Überlastung.
ADAC: Emission verringert sich mit Tempo 30 nicht
Der ADAC Bayern sieht für flächendeckende Tempo-30-Zonen noch nicht einmal einen echten Mehrwert mit Blick auf die Umwelt. „Wir haben mit Tests nachgewiesen, dass Tempo 30 nicht zwangsläufig zu weniger Emissionen führt“, erklärt Alexander Kreipl, verkehrs- und umweltpolitischer Sprecher beim ADAC. Das hänge mit der Fahrweise zusammen: Je flüssiger und mit weniger Drehzahl man fahre, desto weniger Emissionen habe das Auto. „Bei Tempo 30 hängt es davon ab, ob man hochtourig unterwegs ist.“ Dann bringe die Geschwindigkeitsreduzierung keine zwingende Verbesserung.
Aus Sicht des Bund Naturschutz (BN) greift diese Kritik nicht. Tempo 30 würde sogar zu einem besseren Verkehrsfluss führen, da man in der Stadt heute ja kaum mehr konstant 50 fahren könne, erklärt Martin Hänsel, Vizechef des BN in München. Auch das Szenario, dass der Verkehr automatisch in die Wohngebiete fließe, hält er für falsch. Denn jeder wisse, dass es dort unabhängig von der Geschwindigkeit „langsamer vorangeht, weil die Straßen viel enger sind und es mehr Rechts-vor-links-Kreuzungen gibt“.
Auch der Allgemeine Deutsche Fahrradclub ADFC hofft auf den Modellversuch in München – er erhofft sich dadurch mehr Sicherheit für Radler*innen „Bei Tempo 30 hat jeder mehr Reaktionszeit, es gibt weniger Unfälle, und wenn doch, dann weniger schwere Verletzungen bei einer Kollision“, erklärt Andreas Schön, Vorsitzender des ADFC München. Untersuchungen des Umweltbundesamts in Berlin, das sich für Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit in Städten ausspricht, bestätigen das: Tempo 30 verbessere nicht nur den Verkehrsfluss und die Umweltqualität, heißt es dort. Sondern Messungen hätten auch gezeigt: Die Zahl der Unfälle reduziere sich tatsächlich.
Mit dem Tritt auf die Bremse wäre München auch gar kein Einzelfall. Einige europäische Städte schalten längst einen Gang herunter. In der Brüsseler Innenstadt etwa gilt seit Januar dieses Jahres bis auf wenigen großen Verkehrsachsen Tempolimit 30. Auch Paris will einen entsprechenden Modellversuch starten – und viele Bäume pflanzen. Mit diesem Versprechen gewann Bürgermeisterin Anne Hidalgo die Wiederwahl. Und in Graz fährt man sogar bereits seit 1992 nicht schneller als 30 Kilometer in der Stunde, große Hauptstraßen sind auch hier ausgenommen.
In Deutschland warten derzeit zwei Städte auf grünes Licht vom Bundesverkehrsministerium für ihren Tempo-30-Testlauf: Freiburg und Düsseldorf, wo die SPD diesen Plan unterstützt. Darmstadt bekam zur Enttäuschung von OB Jochen Partsch (Grüne) bereits eine Absage vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Die Begründung: Man sehe keine konkrete Gefahr für Sicherheit und Ordnung, die eine Erprobung eines flächendeckenden Tempo 30 nötig machen würde.
Eine Stadt in Bayern dagegen hofft noch auf einen positiven Bescheid aus Berlin: Aschaffenburg. In Mittelfranken dagegen nahm es die Gemeinde Neuendettelsau gleich selbst in die Hand. Das Aktionsbündnis Verkehrswende rief im vergangenen Sommer auf Plakaten alle Autofahrer dazu auf, in der Stadt freiwillig 30 zu fahren, um Fußgänger und Radler zu schützen. „Das Feedback war gut“, sagt Eckard Dürr vom Aktionsbündnis. „Viele sind langsamer gefahren.“ Aber er muss leider auch feststellen, dass Freiwilligkeit langfristig oft wenig bringt. Dürr bedauert: Mittlerweile rasen wieder 40 Prozent der Autofahrer mit mehr als Tempo 50 durch die Ortseinfahrt.
(Lucia Glahn)
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