Politik

25.06.2020

Soll der Begriff Rasse aus dem Grundgesetz gestrichen werden?

Die Rufe zur Streichung des Begriffs "Rasse" aus dem Grundgesetz stoßen bei Andrea Lindholz (CSU), Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, auf Widerstand. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, hält das dagegen für überfällig

JA

Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Keine Frage: Wer den Begriff der „Rasse“ im Grundgesetz a priori als rassistisch abtut, der macht es sich zu leicht. Schließlich ist offensichtlich, „dass das Grundgesetz in antirassistischer Absicht verfasst wurde“, wie die Lagergemeinschaft Dachau kürzlich in einer Mitteilung erklärte.

Den Vätern und Müttern des Grundgesetzes – und übrigens auch der Bayerischen Verfassung – stand bei der Verwendung des Wortes Rasse seinerzeit vor allem die mörderische Ideologie des soeben besiegten NS-Staats vor Augen; ihre Wortwahl sollte eine neuerliche Diskriminierung aus ähnlichen Gründen ausschließen. Artikel 183 der Bayerischen Verfassung macht dies besonders deutlich.
Nach vielen Jahrzehnten und vor dem Hintergrund eines veränderten gesellschaftlichen Bewusstseins ist dieser klare Bezug jedoch verwischt. Wo einst der Rassenwahn der Nationalsozialisten im Vordergrund stand, erkennt ein heutiger Leser vor allem einen problematischen Begriff aus der zeitgenössischen Diskussion um Rassismus. Das ist den Schöpfern unserer Verfassung nicht vorzuhalten, doch in der Arbeit mit einem lebenden Rechtskorpus steht der Gesetzgeber heute in der Pflicht, derartigen Unklarheiten zu begegnen. Gerade bei elementaren Verfassungsbegriffen darf es keinen Spielraum für Missverständnisse geben.

Wichtiger als der Erhalt eines nur im historischen Kontext verständlichen Wortlauts erscheint mir daher eine Weiterentwicklung des Textes, die dem Geist seiner ursprünglichen Formulierung angemessen bleibt. Die Regeln unserer Verfassung müssen stets so eindeutig und klar gestaltet sein, dass Politik, Justiz und Sicherheitsbehörden, aber auch die Zivilgesellschaft sich ohne Wenn und Aber darauf stützen können. Das Grundgesetz mag im vergangenen Jahrhundert entstanden sein, es ist aber längst ein Dokument des 21. Jahrhunderts geworden. Sprache und Geist seiner Vorgaben müssen dies widerspiegeln.

NEIN

Andrea Lindholz (CSU), Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag

Diese Forderung ist alt und wurde schon oft verworfen. Der frühere rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jerzy Montag, gab 2010 zu Protokoll: „So gut gemeint der Ansatz der Linken ist, (...) so falsch und kontraproduktiv scheint uns der Ansatz, in allen Völkerrechtsverträgen, im europäischen Recht und im Grundgesetz das Wort Rasse zu streichen und (...) zu ersetzen. Damit nehmen wir diejenigen, die von Rassen reden und rassisch diskriminieren, aus dem Fokus und ermuntern Rassisten, ihr Unwesen weiter zu treiben. Einem solchen Antrag werden wir nicht zustimmen.“ Diese Position halte ich heute noch für richtig.

Unser Grundgesetz erklärt die Würde jedes Menschen für unantastbar und schließt damit die Interpretation des Wortes „Rasse“ als stille Anerkennung von „Rassetheorien“ aus. Der Rechtsbegriff „Rasse“ wurde als Reaktion auf die Rassegesetze des Dritten Reiches 1948 in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1949 in das Grundgesetz, 1953 in die Europäische Menschenrechtskonvention, 1965 in die UN-Antirassismuskonvention und 2000 in die EU-Antirassismusrichtlinie aufgenommen. Diesen Entscheidungen lag kein Rassismus zugrunde, sondern der Wille, das Böse beim Namen zu nennen. Der Begriff „Rasse“ dient als Diskriminierungsmerkmal und Analysekonzept, obwohl das Konzept „menschlicher Rassen“ wissenschaftlich längst widerlegt ist. Die internationale Rechtsprechung, die Sozialwissenschaften und vor allem die Rassismusforschung verwenden den Begriff, um Rassismus juristisch zu definieren und zu ahnden sowie rassistische Phänomene zu erforschen und zu messen. Eine Streichung oder Änderung ohne international anerkannten Ersatz könnte den globalen Kampf gegen Rassismus schwächen. Als Deutsche sollten wir uns nicht vom internationalen Diskurs entkoppeln und die historischen Narben unseres Grundgesetzes als Mahnung begreifen, anstatt sie mit symbolpolitischer Kosmetik zu überdecken.

Kommentare (5)

  1. Demokratischer Widerstand am 02.07.2020
    Anmerkungen zu @inflexible - Zu 1) Der Begriff "Rasse" hat vor 70 Jahren eine andere Bedeutung als heute, des Weiteren war die Mehrzahl der damaligen GG-Akteure EX-NAZIS, die linguistisch, juristisch, sozialwissenschaftlich, anthtropologisch, forensisch den Begriff Rasse "anders" definierten. Sie sprechen das AGG an, dass aber nach der vorherrschenden Rechtshierarchie unterhalb des GG angesiedelt ist. Auch sind ggf. andere deutsche Gesetzesnormen zu ändern - die Folge. Zu 2) Sie sprechen einen neuen Aspekt - die EU-Grundrechtecharta - an. Diese muss, wenn man das erforderlich hält ggf. geändert werden - soweit die anderen EU-Staaten mitziehen. Dies sollte jedoch in einer aufgeschlossenen und demokratischen Gesellschaft kein großes Problem darstellen. Zu 3) Bitte auch die Bedeutung/Definition der Richtlinie, die für jeden Mitgliedstaat verbindliches Ziel ist, jedoch überlässt es den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Auch hier sind ggf. nationale Änderungen möglich. Wir kriegen "Rassismus und Diskriminierung" nicht weg, indem wir "nur" Gesetze ändern. Vielmehr wichtiger ist als moderne Gesellschaft ist es, auch die demokratischen Werte zu leben! Zu 4) Die franz. Linguistik ist zur deutschen different, aus diesem Grund sind Definitionen in anderen Sprachen als Grundlage für den Begriff "Rasse" nicht zielführend und führen ggf. zu einem falschen Ergebnis. Zu 5) Nicht nur Moral und Emotionen steuern kritische Staatsbürger, es geht schlechthin um eine doch neutrale Position zu dem Begriff "Rasse". Kritische Teile des Staatsvolkes, u. a. Frau Knobloch und die anderen Befürworter einer GG-Änderung hinsichtlich des Begriffes "Rasse", haben durchaus das Recht eine Änderung der Begrifflichkeit zu fordern. Die Sozial- und Kulturwissenschaften haben zum Begriff "Rasse" eine differenzierte Meinung und man darf sich als freiheitlich-demokratischer Rechtstaat dieser Kritik nicht entziehen und muss sich damit auseinandersetzen und soweit erforderlich optimieren - ggf. auch das GG ändern, wenn eine Begrifflichkeit nicht rechtskonform belegt ist.
  2. inflexible am 01.07.2020
    1. Bei allem Verständnis auch für den Wandel der Zeiten nach 70 Jahren Grundgesetz: Eine Verfassung ändert man nicht einfach aus einem bedauerlichen Lagebild jenseits des Atlantiks. Das muss gut durchdacht sein. Vor allem, wenn der strittige Begriff auch im Völker- und Unionsrecht verankert ist. Frau Lindholz spricht dazu z.B. an:
    - EMRK (Art. 14)
    - die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (Umsetzung in Deutschland in den §§ 1, 19 und 33 AGG).

    2. Hinzu kommt Art. 21 der EU-Grundrechtecharta. Das ist übrigens ein neuerer Text.

    3. Zur Auslegung: Die Richtlinie 2000/43/EG sagt in Erwägungsgrund 6 deutlich: "Die Europäische Union weist Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, zurück. Die Verwendung des Begriffs "Rasse" in dieser Richtlinie impliziert nicht die Akzeptanz solcher Theorien". Folglich können wir "Rasse" in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG dahingehend deuten. In einem GG-Kommentar hab ich in dieser Hinsicht sinngemäß gefunden "Es kommt nicht darauf an, ob das vermeintliche Merkmal tatsächlich gegeben ist". Sondern ob der Grundrechtsverpflichtete darauf abhebt. Rassismus kriegen wir nicht mit Verfassungskosmetik weg. Verfassung sagt ja gerade: Ich will Rassismus nicht.

    4. Andere Verfassungen haben diesen Begriff auch. Art. 1 Satz 2 der französischen Verfassung: "Sie (die Republik) gewährleistet die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied der Herkunft, Rasse oder Religion". Gibt es diese Diskussion in Frankreich auch oder ist das typisch deutsch?

    5. @Demokratischer_Widerstand: 1986 war ich auch in Wackersdorf. Das heißt aber nicht, das ich mich der Ratio entledige und mich allein von Moral und Emotion lenken lasse. Folglich ist die CSU noch keine "Diskriminierungspartei", wenn sie hier vorsichtig und zurückhaltend ist.
  3. Demokratischer Widerstand am 30.06.2020
    Erwiderung zum Kommentar "Erstaunter Bürger" - 1) Zunächst zum Terminus technicus "Rasse". Dieser Begriff ist nicht nur unter juristischen Aspekten zu beleuchten, sondern auch unter anthropoligscher, forensischer, umweltwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Hinsicht. Hierüber gibt es eine doch sehr ergiebige Fachliteratur über "für und wider". Aber selbst unter Juristen/Staatswissenschaftlern ist der Begriff der Rasse sehr umstritten. Die von Ihnen genannten Protagonisten sind "Gegner" der GG-Änderung, andere Befürworten das (Justizminister Herbert Mertin (RPfl), ...). Wissenschaft ist streitbar und deshalb sind andere Meinungen durchaus legitim. Auch kann der englische Begriff "Race" nicht mit dem deutschen Wort Rasse gleichgesetzt werden. 2) Gerade die CSU/CDU, FDP, aber auch die SPD hatten im Nachkriegs-Deutschland Kriegsverbrecher/Ex-Nazis in ihren Reihen als Politiker sitzen (Prof. Maunz, Oberländer, Kiesinger, Dahlgrün (Finanzminister), Wilhelm Grewe, Filbinger, Georg Bauer, Volkmar Hopf, ... ), die u. a. am GG mitschrieben. Vielen der ehem. GG-Schreiber hatten einige Jahre zuvor eine glänzende NS-Karriere hinter sich und waren natürlich sofort nach dem 8. Mai 1945 Demokraten und einige natürlich auch Widerstandskämpfer - unglaublich! Deshalb sollte nach über 70 Jahren ggf. eine Änderung am Rasse-Begriff vorgenommen werden. Des Weiteren gibt es doch in der Diskussion einige sehr gute "Definitionen" um gerade die Argumente von Herrn Dr. Cengiz Barskanmaz und Frau Dr. Nahed Samour zu berücksichtigen. Die Alternativbegriffe können somit von Rechtsradikale nicht zweckentfremdet werden. 3) Bisher wurden pol. Diskussionen von den Christ-Demokraten und den Rechtsradikalen eine GG-Änderung bzgl. des Begriffes abgelehnt - so die Fakten. 4) Der sich Demokratischer Widerstand nennet hat in der Vergangenheit als junger 20jähriger auch demokratischen Widerstand geleistet, z. B. als Anti-WAA-Gegner und wurde hierfür von der Staatsgewalt niedergeknüppelt - obwohl dieser friedlich demonstrierte (Pfingsten 1986), deshalb darf es sich auch Demokratischer Widerstand nennen. Und der Demokratische Widerstand wird mit Sicherheit dort immer demokratischen Widerstand leisten - natürlich innerhalb der Grenzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung - wo Rechtsstaatlichkeit nicht mehr besteht oder diese beseitigt werden soll! 5) Ihr Zitat "Hier ein Beitrag von Leuten mit Ahnung und Argumenten ..." ist eine Meinung und kein Fakt! Als "Erstaunter Bürger" sollte man diese doch wissen - oder doch als eher als kritischer Bürger. 6) Will man mit dem Beitrag eigentlich weniger mich, sondern vielleicht mehr Frau Knobloch treffen? Unabhängig hiervon Frau Knobloch sieht das in ihrem o. g. Beitrag vollkommen richtig und deshalb ist eine GG-Änderung auch erforderlich. Voraussetzung ist, man einigt sich auf den Ersatztext! 7) Demokratie lebt von Diskussion und von Veränderung zum demokratischen Kontext und hierzu gehört auch den Terminus technicus im GG zu überprüfen und ggf. zu optimieren.
  4. Erstaunter Bürger am 29.06.2020
    Da nennt man sich "Demokratischer Widerstand" und bezeichnet jeden, der nicht die eigene Ansicht teilt als undemokratisch und implizit als rassistisch. Solche Beiträge machen doch jede sachliche Diskussion kaputt. Hier ein Beitrag von Leuten mit Ahnung und Argumenten: https://verfassungsblog.de/das-diskriminierungsverbot-aufgrund-der-rasse/
  5. Demokratischer_Widerstand am 27.06.2020
    Frau Knobloch hat in allen Dingen uneingeschränkt recht! Wo ist das Problem CSU? Vielleicht hat die CSU ein Problem mit ihrem extrem rechten Flügel, anders kann man sich den Widerstand der CSU nicht erklären! Wer demokratisch Denken und Handeln will kommt an der Änderung nicht vorbei! Kurzum die CSU muss sich entscheiden, wenn Sie sich als Diskriminierungspartei outen möchte nur zu, dann sind wir genauso weit wie zu Zeiten von FJS, der hat auch gerne seine politischen Gegner und das unliebsame Staatsvolk beleidigt, kriminalisiert und diskriminiert. Wir leben in einem modernen Europa und da sollte es selbstverständlich sein für Werte einzustehen, die alles andere als diskriminierend sind. Die Argumentation von Frau Angela Lindholz überzeugt in keinster Weise!!! Die Änderung ist mehr als überfällig!!!
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