Politik

19.10.2023

Soll es eine Arbeitspflicht für Asylbewerber*innen geben?

Asylbewerber*innen zur Arbeit verpflichten? Das fordert der Deutsche Landkreistag – und etliche Länder können sich damit anfreunden. Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags, erklärt warum. Klar dagegen spricht sich Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, aus

JA

Reinhard Sager, Präsident des Deutschen Landkreistags

Die Flüchtlingszahlen sind zu hoch. Von Januar bis September haben über 250 000 Personen einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet dies einen Anstieg um mehr als 73 Prozent. Dazu kommen über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine. Die Landkreise können die Unterbringung kaum mehr bewältigen. An Integration ist erst recht nicht mehr zu denken. In vielen Landkreisen werden Notunterkünfte wie Zelte und Turnhallen genutzt, sämtliche verfügbaren leer stehenden Heime oder Hotels sind angemietet worden. Das wird gesellschaftlich zu einem immer größeren Problem.

Im europäischen Vergleich hat Deutschland überproportional viele Flüchtlinge aufgenommen. Baden-Württemberg zum Beispiel hat so viele Menschen untergebracht wie ganz Frankreich. Wir müssen daher auch dringend die Attraktivität unserer Sozialleistungen im Vergleich zu anderen EU-Staaten in den Blick nehmen.

Darüber hinaus sprechen sich die Landkreise für eine Verpflichtung von Geflüchteten aus, gleich nach ihrer Ankunft in Deutschland zumutbare Arbeit anzunehmen. Beschäftigung bietet Asylbewerber*innen eine Tagesstruktur und trägt zum Erhalt ihrer Erwerbsfähigkeit bei. Abhängig von den Tätigkeitsfeldern sind mittel- und langfristig positive Wirkungen auf die Eingliederungschancen der Geförderten zu erwarten.

Zugleich sieht die Öffentlichkeit, dass auch Asylbewerber*innen einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Dies ist für die Akzeptanz der Leistungen nicht unwichtig. Des Weiteren sind die Arbeitsgelegenheiten zu vereinfachen. Gemeinnützige Tätigkeiten sollten grundsätzlich zugelassen werden.

Wir können und sollten es uns nicht leisten, verfügbares Potenzial ungenutzt zu lassen in einer Zeit, in der zum Beispiel in der Gastronomie, Hotellerie oder in Helfertätigkeiten händeringend nach Arbeitskräften gesucht wird. Dadurch fällt das Erlernen der Sprache außerdem leichter und der Grundstein für eine erfolgreiche Integration wird von Beginn an gelegt. 

NEIN

Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend

Ganz klar: nein! Es ist zynisch, dass die Spitzen der Ampel einerseits Arbeitsverbote beibehalten, aber gleichzeitig einen Arbeitszwang für Geflüchtete begrüßen. Mir bereitet es wirklich große Sorgen, was für abstruse Vorschläge mittlerweile diskutiert werden.

Geflüchtete wollen ein Teil dieser Gesellschaft sein. Sie wollen einen Job finden, für den man morgens gerne aufsteht, auch weil man dort Kolleg*innen kennenlernt. Sie wollen eine Aufgabe finden, bei dem man einen wichtigen Beitrag für seine Mitmenschen leisten kann, um besser ein Teil der Gesellschaft zu werden.

Deswegen müssen Arbeitsverbote sofort und vollständig abgeschafft werden – und kein unsinniger Arbeitszwang eingeführt werden.

Bei bestehenden Arbeitsverboten ist der Vorschlag eines Arbeitszwangs widersprüchlich. Es ist den Menschen gegenüber zudem entwürdigend – und verletzt den Grundsatz der Gleichbehandlung. Dieser Vorschlag ist offensichtlich verfassungswidrig und darf alleine daher schon nicht umgesetzt werden.

Und: Die Abschaffung der Arbeitsverbote würde die Kommunen und Behörden finanziell und organisatorisch entlasten. Geflüchtete könnten selbst ihren Lebensunterhalt finanzieren, leichter ein Teil der Gesellschaft werden, und Behörden wären mit weniger zusätzlicher Bürokratie belastet. Ein Arbeitszwang dagegen würde die Städte und Gemeinden vor neue bürokratische Hürden stellen.

Mein Appell: Hören wir endlich auf, den rechten Parolen hinterherzulaufen, und diskutieren echte Lösungen, wie Menschen besser in unsere Gesellschaft integriert werden können. Wir müssen endlich rauskommen aus diesem entmenschlichten Diskurs. Schluss damit, Menschen immer weiter zu entrechten. Denn so wird kein neuer Kita-Platz und keine neue Wohnung geschaffen. Stattdessen braucht es eine ausreichende Finanzierung von Sprach- und Integrationskursen und der Versorgung von Geflüchteten sowie eine dezentrale Unterbringung. 

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