Politik

15.06.2023

Sollen an bayerischen Schulen die Noten abgeschafft werden?

Wegen des Einzugs von künstlicher Intelligenz in die breite Gesellschaft ist der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband davon überzeugt, dass sich auch die Schulen daran anpassen müssen. Simone Fleischmann, die Präsidentin des Verbands, plädiert dafür, die klassische Notengebung abzuschaffen. Michael Schwägerl, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands, argumentiert dagegen

JA

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands 

Noten, wie sie im aktuellen Schulsystem eingesetzt werden, gehören abgeschafft. Sie sind aber selbstverständlich ein wichtiges Element von Leistungsrückmeldung. Jede Lehrkraft weiß, dass Schüler*innen gerne Leistung bringen wollen, dabei unterstützen wir sie auch! Und doch wissen wir es eigentlich alle: Eine Ziffer allein kann nicht beschreiben, was ein Mensch zu leisten vermag.

Die Anforderungen von Gesellschaft und Arbeitswelt sind heute differenziert, komplex und verändern sich stetig: Teamfähigkeit, Kreativität oder lösungsorientiertes Handeln sind in aktuellen Prüfungsformen und verkürzter Ziffernbewertung nicht abzubilden. Mindestens ergänzend braucht es individualisierte und motivierende Leistungsrückmeldung. Das hat auch die Debatte um Betrugsversuche beim Abitur mit KI gezeigt. Zwar gab es Hilfe von außen schon immer, aber Anwendungen wie ChatGPT sind leichter zugänglich.

Solche Ereignisse zeigen, dass rein reproduktives Wiedergeben von Wissen letztlich ein maschineller Vorgang ist. Wie oft haben wir für eine Schulnote gelernt und zwei Wochen später wieder alles vergessen, weil eben nicht tiefes Verstehen, Wissensanwendung und Transfer geprüft wurden. Wenn KI in Prüfungen hilfreich ist, zeigt das vor allem: Hier werden nicht die Schlüsselkompetenzen abgefragt, die das Vermögen einer Maschine übersteigen. Wir müssten Menschen dazu bilden, kritisch reflektiert mit modernen Medien umzugehen. Und wir Lehrkräfte wüssten auch, wie. Aber eingepfercht in ein Schulsystem, in dem jeder schulische Erfolg nur auf Noten ausgerichtet ist, geht vieles andere verloren, was sich die Gesellschaft von der Schule wünschen würde.

Die Art der Leistungsprüfung und Leistungsrückmeldung bedingt rückwirkend immer auch den Lernprozess – besonders, wenn von Noten so stark Lebenschancen abhängen wie in Bayern. Die alleinige Ausrichtung auf diese eindimensionale, verkürzte Bewertung führt zu einer unterkomplexen Sicht auf Menschen und begünstigt unterkomplexes Lernen. Das ist das genaue Gegenteil von ganzheitlicher Bildung mit Herz, Kopf und Hand, für die sich der BLLV seit Jahrzehnten starkmacht. 

NEIN

Michael Schwägerl, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands

„Setzen, Note 6!“ Dieser Umgang mit Noten prägt wohl das Bild, das manche noch heute von Notengebung in der Schule haben. Und fordern oftmals vorschnell deren Abschaffung. Doch Notengebung hat sich gewandelt: Neben den sogenannten großen Leistungsnachweisen wie Schulaufgaben oder Tests fließen auch die kleinen Leistungsnachweise in die Note ein.

Und diese sind vielfältig: Referate, Präsentationen, Projektarbeit, Stegreifaufgaben, angekündigte Kurzarbeiten, Unterrichtsbeiträge, Lesetagebücher, ja sogar erfolgreiche Wettbewerbsteilnahmen oder abgelegte Sprachzertifikate können Berücksichtigung finden.

Bei alldem ist völlig unstrittig, dass Noten als Leistungsbewertung nur eine Form von Rückmeldung im Sinne einer guten Feedback-Kultur sein können. Eine kommentarlos gegebene Note ist nicht zeitgemäß – stattdessen muss diese auch als Anlass für Lernende und Lehrende gesehen werden, um über Lernprozesse ins Gespräch zu kommen: Was habe ich schon gut begriffen? Und wo besteht noch Nachholbedarf?

Auch für Lehrkräfte können „Momentaufnahmen“ von Leistung wichtige Rückmeldungen zum Lernstand der Klasse im Sinne einer passgenauen Förderung sein. Wenn nun im Zuge der Diskussion um künstliche Intelligenz in der Bildung die Notengebung an sich infrage gestellt wird, dann darf man eines nicht vergessen: Eine Leistungsbewertung nur mit Blick auf die Prozesse und nicht auch auf die Ergebnisse von Lernen und Kompetenzerwerb geht an der Realität vorbei, in der es eben auch auf das „Endprodukt“ ankommt.

Eine ärztliche Diagnose muss stimmen, eine programmierte Software funktionieren, ein gefertigtes Auto fahren und ein gebautes Haus darf nicht einstürzen. Hier den Prozess in den Mittelpunkt zu stellen – also etwa eine gute Arbeitsatmosphäre, eine superschnelle Erledigung oder ein „hat sich bemüht“ zu bescheinigen – und das Endprodukt aus dem Blick zu verlieren, ist für uns als Gesellschaft der falsche Weg. 
 

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