Politik

11.01.2024

Sollen ausgewählte Sozialleistungen gekürzt werden?

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund warnt, dass den Kommunen auf absehbare Zeit Milliarden Euro fehlen werden und schlägt daher vor, massiv Sozialleistungen abzubauen. Der Vorsitzende Uwe Brandl erklärt seinen Vorschlag in der Frage der Woche. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, legt dagegen dar, warum sie das für nicht richtig hält

JA

Uwe Brandl, Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds

Deutschland lebt von der Substanz. Schulen, Straßen und Sportstätten bröckeln, für den Erhalt fehlt vielerorts das Geld – von Investitionen in die Zukunft ganz zu schweigen. Den Kommunen bleiben viel zu wenig Handlungsspielräume, um im Sinne ihrer Bürgerinnen und Bürger die Lebensqualität vor Ort zu verbessern. Stattdessen steigen die Ausgaben für soziale Leistungen immer weiter. Mehr als 70 Milliarden Euro mussten die Kommunen im vergangenen Jahr aufwenden – eine Verdopplung innerhalb den letzten 20 Jahre. Das muss sich ändern.

Um mehr Geld für zwingend notwendige Investitionen in den Städten und Gemeinden zur Verfügung zu haben, muss der Staat an anderer Stelle sparen. Aber wo? In erster Linie bei neuen Leistungsversprechen. In einer derartigen Finanzsituation können nicht immer weitere zusätzliche Zusagen gemacht werden, die nicht solide gegenfinanziert sind. Diese Neuausrichtung müssen wir dann aber auch erklären. Die Politik muss den Menschen klar kommunizieren, dass der Staat nicht immer weiter zusätzliche Leistungen bereitstellen kann. Natürlich kann es die kommunalen Haushalte auch entlasten, wenn bestehende Sozialleistungen neu justiert werden. Hier ist die Bundespolitik aufgerufen, fundierte Folgenabschätzungen bei Leistungskürzungen aufzustellen, um jene Maßnahmen zu identifizieren, die ineffizient und kostenintensiv sind. An vielen Stellen ließe sich pauschalieren, statt weiter eine unrealistische Einzelfallgerechtigkeit anzustreben und damit die Prozesse zu bürokratisieren. Sozialstaatliches Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip bedeutet auch fordern und fördern, bedeutet auch, nicht mit der Gießkanne, sondern unter Berücksichtigung des vorhandenen Einkommens unter die Arme zu greifen.

Zugleich müssen wir uns stärker auf Hilfe zur Selbsthilfe konzentrieren, um dauerhafte Abhängigkeiten nach Möglichkeit zu reduzieren. Wer ehrlich sparen will, sollte aber nicht nur auf das Sozialsystem schielen. Weiteres Potenzial verbirgt sich etwa in der Komplexität von Förderprogrammen oder in zahlreichen Subventionstatbeständen.

NEIN

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK

Die Sorgen des Städte- und Gemeindebunds mögen groß sein, aber die Lösung in Einsparungen bei Sozialleistungen zu suchen, im konkreten Fall ausgerechnet bei Kindern mit Behinderung oder Menschen, die Pflege benötigen, können wir beim VdK Bayern nur kopfschüttelnd ablehnen. Die von Uwe Brandl genannten Schulbegleiterinnen und -begleiter (nicht zu verwechseln mit Schulwegbegleitern) leisten einen unverzichtbaren Dienst zur schulischen Inklusion von Kindern mit Behinderung. Leider gibt es viel zu wenige von ihnen, was ein echtes Problem für die Eltern und die berufliche Zukunft dieser Kinder ist.

Gerade vor dem Hintergrund der aufgeheizten Diskussion um das Bürgergeld ist es unverständlich, wenn nicht alles dafür getan wird, um Kindern mit Behinderung und Einschränkungen von Anfang an die Weichen für eine erfolgreiche schulische und damit später aussichtsreiche berufliche Laufbahn zu stellen. Und beim anderen Vorschlag, der Kürzung bei Pflegeleistungen, müssen wir ehrlich sein, denn die Pflege wird uns wegen der geburtenstarken Jahrgänge künftig deutlich mehr und nicht weniger kosten.

Sicherlich gibt es in der Pflege mehr als eine Reformbaustelle, doch der Rotstift sollte gerade hier nicht angesetzt werden. Dann wird nämlich wieder einmal auf Kosten der Schwächsten gespart. Schon jetzt zahlen pflegebedürftige Menschen im häuslichen und im stationären Bereich aus eigener Kasse erheblich auf ihre Pflegeleistungen auf oder können Leistungen wegen der Eigenanteile nicht in Anspruch nehmen. Ich setze auf konstruktive Vorschläge, wie mehr Geld sozial gerecht ins System kommt. Dazu gehört zum Beispiel eine Zusammenführung der gesetzlichen und privaten Pflegeversicherung, um mehr Geld für die Pflege zur Verfügung zu haben. Auch mehr Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung wären sinnvoll, denn diese kostet uns alle geschätzt bis zu 150 Milliarden Euro pro Jahr.
 

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