Politik

05.11.2020

Sollen Geschäfte in Corona-Zeiten auch sonntags öffnen dürfen?

Einzelhändler wollen wegen Corona-Einbußen auch sonntags öffnen dürfen. Die Grünen im Münchner Stadtrat befürworten die Öffnung in der Vorweihnachtszeit an zwei Sonntagen - als Ausnahme. Der DGB ist strikt dagegen

JA

Julia Post, Grünen-Stadträtin in München

Während meiner Ausbildungszeit zur Hotelfachfrau stand Schichtarbeit auf der Tagesordnung. Und Schicht am Wochenende, auch am Sonntag, gehörte eher zur Regel als zur Ausnahme. In dieser Zeit habe ich einen freien Sonntag zu schätzen gelernt. Soziale Kontakte und die Erholung haben unter diesen Arbeitszeiten gelitten. Kurz: Ich bin aus Erfahrung eine ausgesprochene Gegnerin von verkaufsoffenen Sonntagen. Im Grundsatz. Warum befürworte ich diese nun als Ausnahme in der Pandemie?

Gegen verkaufsoffene Sonntage wird stets das Argument vorgebracht, dies erhöhe die Kaufkraft nicht, der Euro könne nur einmal ausgegeben werden, es komme lediglich zu einer Verschiebung. Dem stimme ich zu. Aber genau diese Verschiebung, durch die räumliche Entzerrung während Corona, könnte eben doch in diesen Zeiten dem stationären Handel den Umsatz bescheren anstatt dem Online-Handel. Ich möchte, dass sich die Menschen – auch Ältere und Angehörige von Risikogruppen – in die Läden vor Ort trauen. Denn das Weihnachtsgeschäft wird stattfinden. Ich möchte aber, dass es den inhaber*innengeführten Läden zugute kommt und nicht den Internetriesen.

Ob es dem Einzelhandel tatsächlich helfen wird? Das wissen wir, wie so vieles derzeit, nicht. Ich halte es aber für angemessen, nichts unversucht zu lassen. Übrigens: Kürzlich nahm ich an einem Feiertag für meine Nachbarn ein Päckchen an. Der Paketbote erzählte auf meine Nachfrage, warum er heute arbeite, dass er es gestern nicht mehr geschafft habe. Ich bin sicher, dass wir solch eine Verschiebung nicht wollen. Es ist auch richtig, dass zwei verkaufsoffene Sonntage alleine den Einzelhandel, der schon vor Corona unter Druck stand, nicht retten werden und es vieler weiterer Maßnahmen bedarf. Nichts aber wird so kurzfristig helfen wie die räumliche Entzerrung. Spielen wir Maßnahmen nicht gegeneinander aus. Die derzeitige Situation ist ein Notfall. Lassen wir hier den Rettungswagen durchfahren. Damit setzen wir nicht das Gebot der roten Ampel außer Kraft.

NEIN

Matthias Jena, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds Bayern

Lange haben Gewerkschaften und Kirchen für den arbeitsfreien Sonntag gekämpft. Dieser Tag hat eine gesellschaftliche, soziale und kulturelle Bedeutung. Er soll der Regeneration und der Ruhe dienen. Es ist die Zeit, Freunde und Verwandte zu treffen oder auch einfach mal „nichts“ zu tun. Natürlich gibt es systemrelevante Berufsgruppen, auf deren Arbeitskraft wir auch sonntags nicht verzichten können – etwa in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, bei der Polizei oder im öffentlichen Nahverkehr.

Nun gibt es wieder Bestrebungen, aus rein wirtschaftlichen Interes-sen – und unter dem Deckmantel der Corona-Pandemie – mit zusätzlichen, anlassunabhängigen Sonntagsöffnungen den Sonntagsschutz auszuhöhlen. Die Leidtragenden wären vor allem die Beschäftigten im Handel, die vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls noch als Alltagshelden gefeiert wurden. Wie alle anderen haben auch sie ein Recht darauf, sich zu erholen und Zeit mit ihren Familien zu verbringen – gerade in Zeiten wie diesen.

Das Gesetz ist in diesem Fall eindeutig: In Bayern dürfen die Läden pro Jahr an maximal vier Sonn- oder Feiertagen öffnen, und zwar nur dann, wenn es hierfür einen nachvollziehbaren Anlass gibt, etwa ein Volksfest oder einen Markt.

Hinzu kommt: Davon auszugehen, dass verkaufsoffene Sonntage im kommenden Weihnachtsgeschäft den Umsatz ankurbeln und dabei eine „entzerrende Wirkung“ entfalten, ist gleich ein doppelter Irrglaube. In der Regel führen Sonntagsöffnungen zu einer Verdichtung der Besucherströme, der Umsatz verschiebt sich entsprechend von den Werktagen auf den Sonntag – und die Infektionsgefahr steigt.

Die Realität sieht aktuell ohnehin anders aus: Viele Beschäftigte befinden sich in Kurzarbeit, viele haben Angst, demnächst ihren Job zu verlieren. Es darf daher bezweifelt werden, dass diese Menschen ihr Geld jetzt mit vollen Händen ausgeben. Und wer einkaufen muss, kann dies von Montag bis Samstag jeweils von 7 Uhr bis 20 Uhr erledigen. Diese 78 Stunden sind Zeit genug.

Kommentare (3)

  1. Alexander am 17.11.2020
    Jawohl, sofern der darauf folgende Werktag geschlossen ist!
    Dies sollte nur für die Dauer der Coronazeit gelten!
    Insbesondere ist hier der Einkaufsmonat Dezember zu erwähnen,
    aber gut, die Alternative ist halt, unter der Woche geht kein
    Einkaufsbummel aufgrund der täglichen Arbeitzeit und Sonntags
    auch kein Einkauf weil geschlossen.
    Und in anderen Ländern geht sogar 24 Stunden geöffnet.
    Es liegt halt an dem Ladenschlussgesetz an dem die Zeit
    vorbei gelaufen ist.
  2. Monilu am 07.11.2020
    Nein eine Sonntagsöffnung ist in meinen Augen nicht nötig.
    - Bestrebungen vom HDE Sonntagsöffnungen zum Normalfall zu machen gibt es immer wieder, nun muss Corona als Grund herhalten
    - Wir können bereits an 6 Tagen in der Woche zwischen 9 und 13 Stunden einkaufen, das sollte doch genügen
    -Jeder Euro kann nur 1x ausgegeben werden. Wenn das am Sonntag geschieht, fehlt er am Montag
    -Gerade jetzt üben viele Menschen Zurückhaltung beim Shoppen - weil sie in Kurzarbeit sind, oder weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben
    - auch der Spassfaktor fehlt beim Shoppen in den Zeiten von Corona, die Angst sich mit dem Virus anzustecken sitzt bei vielen Menschen sehr tief
    -die Zunahme im Onlinehandel kann nicht als Argument genutzt werden, denn alle großen Unternehmen im Handel bieten sehr gezielt ihre Möglichkeiten an, online einzukaufen (schaufeln sich für den Stationären Handel selbst das Grab und wollen dann von Allen betrauert werden
  3. Peter Igl am 06.11.2020
    Auf keinen Fall. Schon das Ansinnen ist eine Dummheit. Es wird keinen nennenswerte Anstieg von Umsatz geben. Das Familienleben von den Beschäftigten wird weiter über Gebühr gestört, ohne dass es eine wirkliche Notwendigkeit gibt. Die Bequemlichkeit von Einigen begründet noch lange keine Notwendigkeit. Eine rein ideologische Forderung des Handelverbandes.
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