Politik

In vielen bayerischen Landkreisen und Städten müssen die Wirtshäuser aufgrund hoher Corona-Fallzahlen früher schließen. (Foto: dpa/Warmuth)

23.10.2020

"Sperrstunden sind das K. o. für Bars und Kneipen"

Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands, über Corona-Regeln und deren Verhältnismäßigkeit, staatliche Hilfen sowie Alarmismus

In Bayern gelten seit einer Woche Sperrstunden für Regionen mit hohen Corona-Zahlen. Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga, kritisiert das als kontraproduktiv. Denn damit gebe es noch mehr private Treffen und Feiern – erwiesenermaßen Treiber der Pandemie. Und er fordert von der Politik, Zuversicht statt Angst zu vermitteln.

BSZ Herr Geppert, die Corona-Fallzahlen in Bayern steigen drastisch und damit auch die Zahl der Landkreise und Städte, in denen Sperrstunden und strengere Kontaktbeschränkungen gelten. Dafür haben die Wirte sicher Verständnis, oder?
Thomas Geppert Nein, unter vielen herrscht großer Unmut. Denn Gastronomie und Hotellerie haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass ihre ausgefeilten Hygienekonzepte funktionieren. Dort gab es im Gegensatz zu Privatfeiern keine größeren Infektionsherde. Mit einer Sperrstunde wird nun aber ausgerechnet dieser organisierte Bereich geschwächt, der doch eigentlich gestärkt werden müsste. Denn es ist ein Irrglaube, dass die Leute brav nach Hause gehen, nur weil das Lokal um 21, 22 oder 23 Uhr schließt. Die feiern dann privat weiter, wo niemand die Einhaltung von Hygienerichtlinien kontrolliert. Oder sie treffen sich gleich im privaten Rahmen. Das ist völlig kontraproduktiv fürs Infektionsgeschehen – und schädlich für die ohnehin schon so gebeutelte Gastronomie.

BSZ Die neue Verordnung kam ja äußerst kurzfristig.
Geppert Ja, wir waren auch überrascht. Denn bei der Runde der Bundeskanzlerin mit den Länderchefs war noch auf einheitliche Maßnahmen gepocht worden. Und nur einen Tag später hat Bayern das beschlossen, was auf Bundesebene nicht durchgesetzt werden konnte. Außerdem hapert es gewaltig an der Informationspolitik. Die Verordnung kam am Freitag um 22 Uhr und galt bereits ab 24 Uhr. Das geht nicht. Die Hochzeitsgesellschaft schläft bereits im Haus, und wenn sie aufwacht, gelten Kontaktbeschränkungen und aus der geladenen Gästeschar müssen fünf erwählt werden. Das ist noch nicht einmal das Brautpaar mit dessen Eltern.

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Wie stark wird sich die Sperrstunde auf die Gaststätten in Bayern auswirken?
Geppert Dramatisch. Sie ist das K. o. für die Schankwirtschaften. In Bayern durften Bars und Kneipen ohne Essensangebot ohnehin erst vor wenigen Wochen und damit viel später als in den anderen Bundesländern wieder öffnen. Die Lage ist aber auch für die anderen Gastronomiebetriebe ernst. 57 Prozent gaben in der aktuellsten Umfrage an, dass sie Angst um ihre Existenz haben – und da gab es die Sperrstunde noch gar nicht.

BSZ Wie viele Gaststätten mussten aufgrund der Corona-Krise schon dichtmachen?
Geppert Bislang betrifft das zum Glück nur Einzelfälle. Auch dank der staatlichen Maßnahmen wie den Überbrückungshilfen, der Kurzarbeiterregelung und Mehrwertsteuersenkung. Viele haben allerdings auch Kredite aufgenommen. Und wenn die Aussetzung der Insolvenzanzeigepflicht Ende des Jahres ausläuft, könnte uns eine größere Pleitewelle drohen.

BSZ Tun Bund und Länder aus Ihrer Sicht genug?
Geppert Es wurde viel richtig gemacht, vor allem die reduzierte Mehrwertsteuer ist Gold wert. Sie muss unbedingt entfristet werden und auch für Getränke gelten, damit die Wirte von ihrem Schuldenberg herunterkommen. Und die Überbrückungshilfen, die jetzt verlängert werden sollen, hätten nicht so kompliziert ausfallen müssen. Sorge bereiten mir die kleinen Familienbetriebe, denn mit der Überbrückungshilfe werden ja nur die Fixkosten gedeckt. Von was aber sollen Papa und Mama leben? Ihnen bleibt nur Hartz IV. Da bräuchte es noch zielgenauere Lösungen. Grundsätzlich aber wäre mir natürlich die Lösung am liebsten, dass man sie arbeiten lässt.

"Ausweiskontrollen kommen nicht infrage. Völlig undenkbar, dass Wirte zu Hilfssheriffs gemacht werden sollen"

BSZ In Berlin haben Wirte bereits erfolgreich gegen die Sperrstunde geklagt. Warum nicht in Bayern?
Geppert Wir sind seit Beginn der Pandemie Partner von Politik und Verwaltung. Die Gesundheit unserer Gäste und Mitarbeiter steht für uns an erster Stelle. Aber die Maßnahmen müssen nachvollziehbar, praktikabel und nachweislich wirksam sein. Sind sie unverhältnismäßig, prüfen Wirte natürlich auch rechtliche Schritte.

BSZ Und die Sperrstunde ist in Ihren Augen ja unverhältnismäßig.
Geppert Ja, sie ist genauso unverhältnismäßig wie das Beherbergungsverbot, das der Freistaat jetzt auslaufen ließ. In Baden-Württemberg und Niedersachsen wurde es zuvor bereits gerichtlich gestoppt und auch in Bayern hätte es einer gerichtlichen Überprüfung nicht standgehalten. Und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat ja auch schon mal die Corona-Sperrstunde gekippt: im Juni, als ein unterfränkischer Gastronom dagegen geklagt hatte. Erst müssten andere Methoden wie ein begrenzter Alkoholausschank ausprobiert werden, so die Begründung des Gerichts damals.

BSZ Wäre das denn für Sie eine echte Alternative: Kneipen, die nach 22 Uhr nur noch Wasser, Spezi oder Apfelschorle ausschenken dürfen?
Geppert Es wäre besser als eine Sperrstunde. Aber Alkohol im organisierten Bereich mit seinen Hygienekonzepten ist kein Problem. Klar hat Alkohol eine enthemmende Wirkung. Aber der Wirt hat erstens eine Fürsorgepflicht, dass sich die Leute nicht maßlos betrinken. Und zweitens tanzen die Leute ab 22 oder 23 Uhr ja nicht plötzlich auf den Tischen ohne Maske und Abstand. Vor uns liegt ohnehin eine harte Zeit – ganz zu schweigen von den Disco- und Clubbesitzern, für die die Sperrstunde Öffnungsperspektiven in noch weitere Ferne rückt.

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Befürchten Sie, dass Corona die Ausgehkultur gerade bei den Jüngeren nachhaltig verändert?
Geppert Nein, die sehnen sich doch danach, endlich wieder ausgehen zu können. Wir haben längst tragfähige Konzepte für Clubs und Diskotheken entwickelt. Dazu gehört zum Beispiel eine digitale Vorabregistrierung, die sicherstellt, dass Leute nicht verschiedene Clubs an einem Abend besuchen. Auch Belüftungskonzepte und Schnelltests können sinnvolle Bausteine sein. Man muss doch gerade den jungen Leuten ein Angebot machen. Denn wäre es nicht besser, wenn sie in Clubs mit verschärften Hygienekonzepten feiern, als unkontrolliert auf privaten und illegalen Partys?

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Apropos Gästeregistrierung, wenn jemand einen falschen Namen angibt, werden happige Geldstrafen fällig. Lassen sich Wirte jetzt die Personalausweise zeigen?
Geppert Wirte und Bedienungen sind zwar zu einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet – bei offensichtlichen Fantasienamen wie Micky Mouse oder Angela Merkel müssen sie einschreiten. Völlig undenkbar aber ist, dass Wirte zu Hilfssheriffs gemacht werden sollen. Ausweiskontrollen kommen deshalb nicht infrage.

BSZ Es könnte alles noch schlimmer kommen. Markus Söder droht bereits mit einem zweiten Lockdown. Macht Ihnen das Angst?
Geppert Ja, und ich habe dafür überhaupt kein Verständnis. Wir leben seit einem halben Jahr mit der Pandemie – und wissen, wie man sich schützen kann. Wir haben dazugelernt und unsere Hygienekonzepte funktionieren. Aktuell läuft zum Beispiel auch eine Projektstudie mit dem Fraunhofer-Institut zu technischen Lösungen mit Filtern im Bereich Lüftung. Wir erwarten in den nächsten beiden Wochen die ersten Zwischenergebnisse. Da muss man doch jetzt nicht wieder mit den Antworten aus der Zeit kommen, als uns die Pandemie völlig unvorbereitet überrannt hat. Statt ständigem Alarmismus braucht es auch Zuversicht und Hoffnung. Wir dürfen nicht leichtsinnig sein, müssen aber anfangen, mit dem Virus leben zu lernen. Und wie hat es die Dehoga-Präsidentin Angela Inselkammer einmal so schön formuliert: Die Gastronomie ist nicht nur systemrelevant, sie ist auch lebensrelevant.
(Interview: Angelika Kahl)

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