Politik

Denkmal für Kurt Eisner auf dem Ostfriedhof in München. (Foto: Lisa Forster/dpa)

21.02.2019

Staatsgründer und Staatsfeind

Dieser Mann ist nicht zu fassen. Ein radikaler Pazifist, der einfach so Revolution machte, ein Journalist, der den Freistaat Bayern ausrief und in der öffentlichen Erinnerung doch bis heute abseits steht. Wie sieht man 100 Jahre nach seinem Tod Kurt Eisner?

Als Gründer des Freistaats ist Kurt Eisner Teil der bayerischen Geschichte. Selbst zur Fastnacht muss er inzwischen herhalten - 2018 etwa kam der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Markus Rinderspacher zur "Fastnacht in Franken" verkleidet als Bayerns erster Ministerpräsident. Doch Eisner selbst ist eine tragische Figur.

Der Mann, der den Freistaat im November 1918 ausrief und vor 100 Jahren, am 21. Februar 1919, von dem antisemitischen Ex-Leutnant Anton Graf Arco auf Valley erschossen wurde, ist bis heute umstritten. Auch in seiner Partei, der SPD, blieb der gebürtige Berliner aus gutbürgerlichem jüdischen Elternhaus ein Außenseiter.

Über den Ersten Weltkrieg kam es zum Bruch: Eisner, der zum radikalen Pazifisten wurde und auch vor der Veröffentlichung geheimer Dokumente nicht zurückscheute, um die Kriegsschuld des Deutschen Reichs zu beweisen, hatte seine Partei verachten gelernt. Er sprach von "widerwärtigsten Hurrahpatrioten" in der SPD, die 1914 für Kriegskredite gestimmt hatte. "Niemals ist eine grosse Partei so jämmerlich zusammengebrochen", urteilte er.

1917 wurde er Vorsitzender der bayerischen USPD, den Unabhängigen Sozialdemokraten. Nach Verbüßen einer Haftstrafe wegen Beteiligung am Münchner Januarstreik 1918 rief er in der Nacht zum 8. November 1918 den Freistaat aus und erklärte die Monarchie für abgesetzt - Bayern war somit ein Vorreiter in Deutschland.

"Es ist schwer vorstellbar, dass es zu diesem frühen Zeitpunkt ohne ihn die Revolution gegeben hätte", sagt sein Biograf, der Direktor des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, Bernhard Grau. Er lobt die Ergebnisse der Regierung Eisner, etwa parlamentarisch-demokratisches System mit modernem Verhältniswahlrecht, Frauenwahlrecht und Acht-Stunden-Tag, auch wenn dies nicht nur an Eisner selbst festzumachen sei. Jede Form der Gewalt habe Eisner abgelehnt, "da gibt es nicht viele Politiker in dieser Zeit, die das für sich in Anspruch nehmen können".

Doch Eisners unbestrittene Verdienste werden ihm nicht gedankt. Er wird als Vaterlandsverräter beschimpft, antisemitisch beleidigt, als Bolschewist verleumdet. "Die Geschichtsschreibung tat sich schwer, dagegen anzuschreiben", sagt Grau. "Sieger schreiben die Geschichte." Und Eisner war kein Sieger, seine Partei, die USPD, wurde bei den ersten Landtagswahlen 1919 marginalisiert. Eisner wollte seinen Rücktritt einreichen, als er auf dem Weg zum Parlament erschossen wurde. Nach seiner Ermordung kam es zu Bürgerkrieg und Massenmorden.

Den Stempel "Bolschewist" wurde Eisner auch nach 1945 für Jahrzehnte nicht los. "Selbst in den drei Jahren SPD-Regierung in Bayern spielte die Erinnerung an Kurt Eisner keine Rolle", sagt der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Erst zum Jubiläum des Freistaats 2018 wurde auch öffentlich an den Mann erinnert, dessen Namen nicht nur CSU-Politiker lange nicht in den Mund nehmen wollten.

Und heute? Die Staatskanzlei plant zum 100. Todestag keine Gedenkveranstaltung. Das Kultusministerium verweist auf Aktivitäten zum Freistaatsjubiläum 2018. Die Vorsitzende der Bayern-SPD, Natascha Kohnen, will an einer Kranzniederlegung teilnehmen und lobt den abtrünnigen Genossen: "Es gibt wenige Persönlichkeiten, die unseren Freistaat und die Sozialdemokratie so fundamental geprägt haben wie Kurt Eisner." Sein Satz "Jedes Menschenleben soll heilig sein!" sei "bis heute Grundlage unseres Handelns und unserer Politik. Gerade in Zeiten wie diesen zeigt sich die Notwendigkeit der politischen Einstellung und Haltung Kurt Eisners."

Die Revolution von 1918, Eisners Revolution, sei ein Vorbild, findet Ude: eine friedliche Revolution, bei der der "Vorrang der Humanität das Besondere war: Es gab nicht nur tötende, köpfende, brandschatzende Revolutionen, sondern es gab eine friedliche."
(Martina Scheffler, dpa)

Zitate von Kurt Eisner
"Ich war entschlossen, wenn es sein müsste, als einziger in Deutschland meinem Gewissen zu folgen und offen zu reden. Ich habe diesen meinen Entschluss bis zur Stunde gehalten - durch alle Nöte und Verzweiflungen hindurch."
(Gefängnistagebuch, 6. Februar 1918)

"So viel Angst vor einem einzelnen Menschen, der nichts hat als - die Wahrheit und den Mut zur Wahrheit."
(Gefängnistagebuch, 6. Februar 1918)

"Ein Mord verjährt erst nach einem Menschenalter, die Entfesselung eines Weltkriegs soll (noch während er tobt, schon nach) zwei Jahren so sehr verjährt sein, dass es keinen Sinn habe, die Schuldigen zu ermitteln?"
(Gefängnistagebuch, 2. April 1918)

"Bayern ist fortan ein Freistaat."
(Aufruf "An die Bevölkerung Münchens", "in der Nacht zum 8. November 1918")

"In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blutvergießen. Jedes Menschenleben soll heilig sein."
(Aufruf "An die Bevölkerung Münchens", "in der Nacht zum 8. November 1918")

"Demokratie heißt nicht die Anerkennung des Unverstandes der Massen, sondern Demokratie heißt der Glaube an die Möglichkeit der Vernunft der Massen."
(Rede im Provisorischen Nationalrat am 17. Dezember 1918, zitiert nach Grau, S. 432)

"Wir müssen uns herausdenken, wir müssen uns herausheben aus dem Wahnsinn und aus der Lüge dieser Zeit."
(Rede auf der II. Arbeiter- und Soldatenkonferenz in Bern, 3. bis 10. Februar 1919, zitiert nach Grau, S. 399)

Kommentare (1)

  1. Miiich am 23.02.2019
    "Er lobt die Ergebnisse der Regierung Eisner, etwa parlamentarisch-demokratisches System mit modernem Verhältniswahlrecht, Frauenwahlrecht "

    Und nun erklär mir mal einer was davon nicht aufgrund der (meist totgeschwiegenen) Verfassungsreform vom 2. Novemer ohne seine "Revulution"am 8. November in Kraft getreten wäre?
    Wird Eisnaer da nicht für vieles gelobt, was gar nicht sein Verdienst war?
    Eisner hat die Umsetzung dieser von allen Verfassungsorganen und Landtagsparteien getragenen Reform in letzter Sekunde verhindert.
    Er und seine USPD (nicht das Volk) haben nicht nur den König als Symbol der Rinheit und Eigenstaatlichkeits Bayerns "besteitigt", sondern auch den gewählten Landtag und Staatsregierung weggefegt.
    Somit hat er Bayerns Position hinsichtlich der anstehenden Schaffung einer zentralistischen Weimarer Reichsverfassung (wenn auch völlig ungewollt) faktisch nachhaltig geschwächt.
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