Politik

Karlsruhe urteilt über das Verbot geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung: Einer der Kläger spricht über seine Motive. (Foto: dpa)

21.02.2020

Sterben ohne Qualen

Karlsruhe urteilt über das Verbot geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung: Einer der Kläger spricht über seine Motive

Eines ist für Helmut Feldmann klar. „Ich werde nicht so elendig und qualvoll verrecken wie meine Schwester“, sagt der 73-jährige frühere Elektrotechniker. Die habe zwei Jahre lang nur im Bett gelegen – mit furchtbaren Schmerzen. Am Ende habe sie nicht einmal mehr sprechen können. Feldmann leidet an derselben unheilbaren Lungenkrankheit, an der seine Schwester gestorben ist: Er hat COPD in einem fortgeschrittenen Stadium. Ans Bett gefesselt ist er zwar zum Glück noch nicht. Doch er weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. „Vielleicht habe ich noch ein, zwei Jahre – doch es kann auch ganz schnell gehen“, sagt er.

"Ich will nicht an die Geräte gefesselt sein"

Den Tod fürchtet Feldmann nicht. Aber er hat Angst vor der Art und Weise, wie sein Leben zu Ende gehen könnte. „Ich will nicht irgendwann nur noch in der Wohnung an Geräte gefesselt, in ständiger Angst vor dem Ersticken, leben.“ Für ihn ist klar: „Ich will selbst entscheiden, wann das Ende kommt.“ Vor Jahren trat er deshalb einem Sterbehilfeverein bei. Schnell sollte ihm dieser, wenn das Leiden unerträglich wird, eine todbringende, aber schmerzlose Arznei verschaffen.

Doch der Gesetzgeber machte dem Schwerstkranken einen Strich durch die Rechnung. Ende 2015 wurde die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ in Deutschland verboten – fraktionsübergreifend mit Dreifünftelmehrheit der Bundestagsabgeordneten. Vor der Reform war es für schwer kranke Patienten auch hierzulande möglich, mithilfe eines Sterbehilfevereins Suizid zu begehen. Der Verein organisierte die tödlichen Substanzen, die Schwerkranke selbst einnehmen konnten. Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs zufolge aber macht sich nun strafbar, „wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“. Im Falle einer Verurteilung droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.

Angehörige sind zwar von der Strafandrohung ausgenommen. Ebenso dem Suizidwilligen nahestehende Personen, wenn diese nicht widerholt Sterbehilfe leisten. Der Verein, dem Feldmann angehört, fällt dagegen unter das Gesetz. Mehrere Sterbehilfevereine, Mediziner und schwer kranke Menschen wie Feldmann wandten sich an das Bundesverfassungsgericht. Am 26. Februar will es darüber entscheiden, ob die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ eine Straftat bleiben soll.

Mit der Einführung des Paragrafen 217 wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine ihre Angebote auf zahlende Mitglieder ausweiten. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand hatte damals auf aus seiner Sicht negative Folgen kommerzieller Sterbehilfe in Nachbarländern verwiesen. „Auch bei der Sterbehilfe schafft das Angebot eine Nachfrage.“ Kein Kranker oder Alter solle sich zum Sterben gedrängt fühlen, nur weil er der Gesellschaft und seiner Familie nicht zur Last fallen möchte, so der Wunsch der Befürworter der Regelung.

Kritiker aber stoßen sich daran, dass es für ein „geschäftsmäßiges Handeln“ nicht zwangsläufig eines Gewinnstrebens bedarf. Manche Palliativmediziner haben nun Angst, ein Arzt handle aus juristischer Sicht bereits geschäftsmäßig, wenn er etwa wiederholt einem Schwerkranken ein potenziell tödliches Medikament zur Schmerzlinderung zur Verfügung stellt. Schließlich könnte sich dieser ja theoretisch ohne Wissen des Arztes mit einer Überdosis umbringen. Das Gesetz könne deshalb eine am Wohl des Patienten orientierte Behandlung verhindern, wenn Ärzte vor Verschreibungen zurückschreckten, so die Kritik. Dazu kommt die Befürchtung, dass auch Mediziner, die eine lebensverlängernde Behandlung bei einem Sterbenden einstellten, von dem Gesetz betroffen sein könnten.

Ins Ausland zu gehen, ist für viele Kranke keine Option

Der Deutsche Anwaltsverein hält den Paragrafen 217 sogar für verfassungswidrig. Die Bundesärztekammer steht dagegen hinter dem Gesetz. Befürworter des Verbots wie der CDU-Bundestagsabgeordnete Brand hatten stets betont, es werde eine präzise Trennung gezogen zwischen Ärzten, „die in schweren Situationen nach ihrem Gewissen handeln, und anderen, die es darauf anlegen, geschäftsmäßig, mit Absicht und auf Wiederholung angelegt, die Suizidbeihilfe zu fördern“.

Als „inhuman“ bezeichnete Bernd Hecker vom Verein Sterbehilfe Deutschland die derzeitige gesetzliche Regelung bei der zweitägigen Verhandlung in Karlsruhe im April 2019. Denn sie verweise Menschen, die ihr Leben wegen einer unerträglichen Krankheit selbst beenden wollten, auf die Unterstützung von Laien. Für viele Betroffene sei ärztliche Unterstützung beim Suizid auch deswegen alternativlos, weil ihnen Verwandte nicht zur Verfügung stünden, hieß es vonseiten der Kläger. Elf Klagen waren in Karlsruhe anhängig, sechs davon wurden 2019 beispielhaft verhandelt. Dabei haben die zuständigen Richter des Zweiten Senats das Verbot sehr kritisch hinterfragt. Zentrale Frage dabei ist: Lässt sich vom Recht eines jeden Individuums auf einen selbstbestimmten Tod ein Anspruch auf Unterstützung ableiten?

Wie die Richter entscheiden werden, ist ungewiss. Vertreter der katholischen Kirche warnten bereits vor einer „Verschiebung des Wertesystems“, sollten die Kläger Erfolg haben. Statt einer Legalisierung der Sterbehilfe fordern sie einen Ausbau der Palliativmedizin. Denn oft seien es Schmerz und Einsamkeit, die kranke Menschen dazu brächten, ihr Leben beenden zu wollen. Andreas Krahl, pflegepolitischer Sprecher der Landtags-Grünen, hofft dagegen auf eine Aufhebung des Verbots. „Integraler Bestandteil der Menschenwürde ist es, die individuellen Grenzen des Erträglichen für sich selbst definieren zu dürfen“, betont er. Ein würdevolles Leben, sei „auch ein selbstbestimmtes Leben und der selbstbestimmte Tod ist ein Teil des Ganzen“.

Kläger Feldmann ist zuversichtlich, dass ihm die Richter recht geben. Eine Alternative hat er nicht. Denn zum Sterben ins Ausland zu gehen, kommt für ihn nicht infrage. Er will zu Hause bei seiner Familie sterben. (Tobias Lill)

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