Politik

Stopp! Passkontrolle bei Kiefersfelden an der deutsch-österreichischen Grenze. (Foto: dpa/CHROMORANGE, Michael Bihlmayer)

23.05.2025

Zurückweisungen an den Grenzen: Nicht mehr als ein symbolischer Akt?

Über die Zurückweisungen an den Grenzen wird viel gestritten - das sagen Juristen und so sehen die nackten Zahlen aus

Auf den ersten Blick klang die Meldung beeindruckend: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt sagte am vergangenen Donnerstag, seit der Verschärfung der Grenzkontrollen vor einer Woche sei die Zahl der Zurückweisungen um fast die Hälfte gestiegen.  Die Staatszeitung zeigt, was hinter den Zahlen steckt und wie Experten das neue Grenzregime bewerten.


Zur Frage der Zulässigkeit gibt es unterschiedliche Auffassungen. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte sich zuletzt auf Paragraf 18 des deutschen Asylgesetzes berufen. Darin heißt es, einem Ausländer sei die Einreise zu verweigern, „wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist“. Tatsächlich ist Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben, weshalb demnach eigentlich kein Flüchtling auf dem Landweg legal in die Bundesrepublik kommen dürfte.

Dennoch entschied 2015 der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in Absprache mit Kanzlerin Angela Merkel, alle Personen einreisen zu lassen, die einen Asylantrag stellen wollen. De Maizière nannte das eine „politische“ Entscheidung.

Von Anhängern eines großzügigen Asylrechts wird gern vorgetragen, Zurückweisungen von Asylsuchenden seien EU-rechtlich nicht zulässig. Daniel Thym, Professor für Europarecht und Völkerrecht an der Uni Konstanz, sagt, Deutschland könne Asylsuchende aufgrund der Dublin III-Verordnung nicht einfach an der Grenze zurückweisen.

Das Dublin III-Abkommen ist "nichtig": Das sagt immerhin ein früherer Verfassungsrichter

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, und der frühere Bundesverfassungsrichter Peter Huber halten Zurückweisungen für legal. „Nach der Dublin-III-Verordnung ist für ein Asylverfahren der Mitgliedstaat zuständig, auf dessen Territorium sich der Asylbewerber aufhält“, sagt Huber der Staatszeitung: „Ist er wegen der Zurückweisung nicht nach Deutschland eingereist, befindet er sich auf dem Territorium eines unserer Nachbarstaaten.“ Die Dublin-III-Verordnung habe ohnehin den Makel eines strukturellen Vollzugsdefizits, weil Deutschland EU-weit den Großteil der Flüchtlinge aufnehme. Daher sei das Abkommen „nichtig“.

CSU und CDU sehen die jüngsten Zurückweisungen europarechtlich anders als Teile der SPD als zulässig an. Denn die Aktivierung von Artikel 72 der Arbeitsweise der EU erlaubt, die europäischen Regeln zu Asyl- und Migrationsfragen nicht mehr anzuwenden, wenn die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ und der „Schutz der inneren Sicherheit“ in dem Mitgliedstaat in Gefahr sind.

Frauen und Kinder werden nicht zurückgewiesen: Diese Vorgabe senkt wohl das Risiko, dass Gerichte die Zurückweisungen im Eilverfahren kassieren

Dass das Innenministerium Ausnahmen bei Zurückweisungen für Frauen und Kinder vorsieht, reduziert Thym zufolge „das Risiko, dass die Gerichte pauschale Zurückweisungen im Eilverfahren kassieren“. Das letzte Wort dürfte der Europäische Gerichtshof haben.

Und was bringen die Zurückweisungen? Zunächst einmal hat die neue Grenzpolitik symbolischen Wert. Migrationskritikern soll gezeigt werden: Seht her, wir tun was! Damit will man auch AfD-Anhänger zurückgewinnen.

In Zahlen: In den ersten sieben Tagen des neuen Grenzregimes gab es laut Innenminister Dobrindt ein Plus von 45 Prozent bei den Zurückweisungen – auf 739 Fälle. Darunter waren 32 Asylbewerber. Insgesamt kamen aber: 1535 Asylbewerber. So viele meldete die Bundespolizei an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Alle außer den genannten 32 sowie 19 Frauen und Kindern, die man einreisen ließ, kamen ins Land, ohne an der Grenze kontrolliert zu werden. Laut geltendem Gesetz dürfen sie nicht zurückgeschickt werden.

95 Prozent der Geflüchteten sind gar keine klassischen Asylbewerber

Ohnehin beklagen Kritiker, dass Asylsuchende nur 5 Prozent der Geflüchteten ausmachen. Die anderen 95 Prozent berufen sich auf den sogenannten subsidiären Schutz. Er wird gewährt, wenn eine ernsthafte Gefahr von Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland droht. Die AfD möchte den subsidiären Schutz abschaffen, ebenso wie die CSU. Das wäre sehr kompliziert. Bayerns AfD-Chef Stephan Protschka sagt: „Ein vollständiger Wegfall des subsidiären Schutzes auf europäischer Ebene ist ohne Zweifel ambitioniert, aber nicht unrealistisch, vor allem, wenn der politische Wille in den Mitgliedstaaten wächst, irreguläre Migration wirksam zu begrenzen.“
(Tobias Lill, Waltraud Taschner)

 

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