Die 176 Tafeln im Freistaat mit rund 14 000 Ehrenamtlichen sammeln Lebensmittelspenden und versorgen bayernweit etwa 200 000 bedürftige Menschen. Entsprechend groß war der Aufschrei, als die Regensburger Tafel vergangene Woche ankündigte, wegen Krankheit, Personalmangel und Urlaub für zehn Wochen zu schließen. Betroffen sind rund 5000 Menschen in der Donaustadt.
Der Regensburger OB-Kandidat Thomas Burger (SPD) forderte ein rasches Ersatzangebot. Die Stadt betont auf Anfrage der Staatszeitung, dass die Grundversorgung sozial Schwacher Aufgabe des Staates sei. Abgesehen von der Tafel gebe es etwa zehn Vereine, Verbände und Initiativen in Regensburg, die regelmäßig Essen ausgeben. „Sollte dennoch ein erkennbarer Bedarf entstehen, könnten auch kurzfristig Lebensmittel aus den Lagern der Tafel in städtischen Ausweichräumen verteilt werden“, so eine Stadtsprecherin. Entsprechende Räume seien bereits reserviert.
Peter Zilles, Vorstand des Landesverbands der Tafeln, ärgert die Kritik: „Niemand muss verhungern, nur weil die Tafel Urlaub macht“, sagt er mit Blick auf einen Leserbrief, der vor Ort für Aufsehen sorgte. Über die Dauer einer Schließung entscheide jede Tafel eigenständig – wegen Urlaubsansprüchen des wenigen festen Personals oder auch Grundreinigung und Sanierung. Hauptgrund für die öffentliche Empörung, glaubt Zilles, sei der Kommunalwahlkampf: Parteien versuchten, aus dem Fall politisches Kapital für die Stadtratswahl 2026 zu schlagen.
"Wir sind nicht der Notnagel der Verwaltung"
„Für eine würdevolle Versorgung ist die Politik zuständig – nicht wir“, betont Zilles. Die Staatsregierung fördere die Tafeln zwar vorbildlich: Laut Sozialministerium erhielten sie 2024 knapp 700 000 Euro, dieses Jahr sind es über eine halbe Million. „Von den Kommunen wünschen wir uns jedoch mehr Unterstützung“, sagt Zilles. „Wir sind nicht der Notnagel der Verwaltung.“ Gerade nach Corona oder dem Ukraine-Krieg sei aber Bedürftigen oft einfach die Adresse der nächsten Tafel mitgegeben worden – unabhängig davon, ob sie berechtigt sind. „Das hat den Eindruck verstärkt, wir seien Teil des Sozialsystems.“
Das ist auch eine Erklärung dafür, warum viele Ehrenamtliche von wachsender Undankbarkeit berichten. Wenn die Lebensmittel zur Neige gehen, komme es auch häufiger zu Streit zwischen den Bedürftigen – das führt in Einzelfällen bis zum Hausverbot. „Die Menschen sind viel egozentrischer als noch vor 15 Jahren“, sagt Zilles. Zum Kundenkreis zählen Geflüchtete, Rentner, Familien, Bürgergeldempfänger und Menschen mit niedrigem Einkommen. Viele Einheimische blieben der Tafel aber fern – auch, weil sie sich schämen.
Im Landtag unterstützen alle Fraktionen die Arbeit der Tafeln – auch, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. „Armutsbekämpfung darf aber nicht auf Ehrenamtliche abgewälzt werden“, sagt die Vorsitzende des Sozialausschusses, Doris Rauscher (SPD). Es brauche daher ein Umdenken in der Sozialpolitik. Die Arbeit der Tafeln werde zusätzlich durch sinkende Lebensmittelspenden erschwert. Tatsächlich kann der Handel durch künstliche Intelligenz inzwischen viel genauer kalkulieren.
Die CSU-Fraktion will hingegen das Ehrenamt attraktiver machen. Zwar engagierten sich viele Menschen, doch gerade bei verantwortungsvollen Aufgaben fehle Nachwuchs. Gemeinsam mit dem Koalitionspartner Freie Wähler (FW) wurden 2024 zusätzliche 150 000 Euro für bessere Logistik, Digitalisierung und Kühlung beschlossen.
Die FW-Fraktion fordert vom Bund außerdem eine steuerliche Entlastung für Tafel-Fahrzeuge. Auch sollen mehr Geflüchtete in die Tafel-Arbeit eingebunden werden – das könne helfen und zugleich die Integration fördern.
Die Grünen betonen, die wichtigste politische Aufgabe sei es, zu verhindern, dass immer mehr Menschen in Armut geraten. Zuständig sei hier vor allem die Bundesregierung – etwa durch Senkung von Wohn- und Energiekosten.
Die AfD fordert Zuschüsse für Tafeln in Höhe von 12,5 Prozent des örtlichen Strompreises pro verbrauchter Kilowattstunde. Zudem sollen Senioren bis zu zweimal im Monat kostenlos in staatlichen Kantinen essen dürfen.
Die Tafeln wünschen sich niedrigere Abfallgebühren und eine Vereinfachung des Spendenrechts
Die Tafeln in Bayern setzen andere Prioritäten: etwa niedrigere Müllgebühren. Vieles, was sie von Supermärkten erhalten, ist verpackt oder verdorben – und muss entsorgt werden. Auch das Spendenrecht verunsichere Unternehmen. Eine unbürokratische Haftungsfreistellung könnte helfen. Zudem fordern sie zur Vermeidung von Armut – wie SPD und Grüne – höhere Sozialleistungen, Renten, Löhne und eine bessere Kinderbetreuung. Ein Drittel der Tafeln bundesweit musste bereits Aufnahmestopps verhängen.
Auch die Sozialwissenschaftlerin Martina Wegner von der Hochschule München fordert ein Umdenken. „Die soziale Ungleichheit wird jetzt durch die Verwaltung des Mangels sichtbar.“ Teilweise gebe es schon jetzt je nach Gesundheitszugang Unterscheide bei der Lebenserwartung von 15 Jahren – im selben Stadteil. Laut Wegner ist es dringend notwendig darüber zu diksutieren, ob „notleidende staatliche Systeme“ von Ehrenamtlichen unterstützt werden sollen oder ob nicht ganz neue Formen der Daseinsvorsorge braucht. (David Lohmann)
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