Politik

Gerade Frauen werden oft zum Verlierer im Alter – obwohl sie viel geleistet haben, sagt Christine Haderthauer. (Foto: dapd)

05.01.2012

"Teilzeit-Führungsjobs funktionieren"

Christine Haderthauer über die Widerstände gegen das Betreuungsgeld, Benachteiligung von Frauen und Armut im Alter

Die Kritik reißt nicht ab, aber beim Thema Betreuungsgeld lässt Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) nicht mit sich reden: Es wird kommen. Im Kampf gegen die Altersarmut fordert sie eine Rente nach Lebensleistung, die Kindererziehung und Pflege zu 100 Prozent berücksichtigt. Und an die Wirtschaft appelliert sie mit Blick auf die Rente mit 67: Schluss mit dem Jugendwahn. BSZ: Frau Haderthauer, was war für Sie der wichtigste Moment des Jahres 2011?
Haderthauer: Als der Ministerpräsident das Betreuungsgeld in der Koalition durchgesetzt hat. BSZ: Aber das Betreuungsgeld ist noch nicht in trockenen Tüchern. Es regt sich noch großer Widerstand.
Haderthauer: Widerstand gegen Neues gibt es immer. Wenn Sie nichts mehr umsetzen, sobald einige dagegen sind, wird die Politik handlungsunfähig. BSZ: Einer Umfrage zufolge lehnt die Mehrheit der Bürger das Betreuungsgeld ab. 80 Prozent würden das Geld lieber in den Ausbau von Betreuungsplätzen investieren.
Haderthauer: Das ist doch kein Wunder, wenn in der Fragestellung das eine gegen das andere ausgespielt wird und schon durch die Bezeichnung „Herdprämie“ eine unsägliche Negativkampagne betrieben wird. Im Gegensatz zum Elterngeld setzt das Betreuungsgeld gar nicht voraus, dass Erwerbstätigkeit eingeschränkt wird. Es ist schlicht für alle, die keinen Krippenplatz in Anspruch nehmen, weil sie zum Beispiel die Betreuung ihres Einjährigen lieber familiennah privat organisieren. BSZ: Es gibt die Befürchtung, dass Familien ihren Kindern nun den Krippenbesuch und damit eine notwendige Förderung – zum Beispiel eine sprachliche – vorenthalten könnten.
Haderthauer: Solche Argumente kommen von Leuten, die Ein- und Zweijährige – und nur für die gibt es das Betreuungsgeld – mit Vorschulkindern verwechseln. Kleinstkindern ist es egal, welchen Schulabschluss die Eltern haben oder in welcher Sprache sie mit ihnen sprechen, vorrangig ist die liebevolle Zuwendung, die emotionale Sättigung durch Bindung. Das kann zwar auch mit der Krippe klappen, aber es gibt keineswegs eine Überlegenheit der Krippenbetreuung in diesem Alter. Die emotionale Sättigung durch sichere Bindung an Bezugspersonen in den ersten Lebensjahren ist zentrale Voraussetzung dafür, dass später Bildung gelingt. Erst darauf aufbauend profitieren die Kleinen dann von sozialen Kontakten und weiteren Bildungsimpulsen. Das leistet dann der Kindergarten, in den heute ja bereits nahezu alle Kinder gehen. BSZ: Wo steht Bayern beim Ausbau der Krippenplätze?
Haderthauer: Momentan haben wir 28 Prozent und Ende 2013 werden unsere Kommunen bayernweit 36 Prozent verwirklicht haben. Unabhängig davon ist das bayerische Ziel aber kein statisches. Auch nach 2013 gilt, dass wir Bedarfsdeckung wollen. Je nach Bevölkerungsentwicklung werden Kommunen immer wieder nachsteuern müssen. Dabei werden wir sie in Bayern auch in Zukunft massiv unterstützen. BSZ: Gerade haben Sie angekündigt, das Elterngeld von 12 auf 24 Monate ausdehnen zu wollen. Wann wird es so weit sein?
Haderthauer: Politik muss auch Ziele über das Aktuelle hinaus formulieren. Der Ausbau des Elterngeldes steht zudem im Koalitionsvertrag. Es wird Zeit, dass wir die Prioritäten ganz klar in Richtung Familie setzen. Nur in einer Gesellschaft, in der man sich als Eltern willkommen und gut abgesichert fühlt, hat man Lust, Eltern zu werden.
BSZ: Ein Problem in Deutschland ist auch die zunehmende Altersarmut. Laut Statistik ist heute jeder fünfte Rentner in Bayern armutsgefährdet.
Haderthauer: Das ist ein abstraktes statistisches Armutsrisiko und sagt relativ wenig über tatsächliche Armut aus. Diese Statistik betrachtet nur das Einkommen und nicht das Vermögen, das ja gerade in Bayern bei der älteren Generation vorhanden ist. Ein realistisches Bild bekommt man daher, wenn man anschaut, wie viele Menschen im Alter auf die Grundsicherung angewiesen sind. Hier lag Bayern mit 2,1 Prozent im Jahr 2009 unter dem Bundesdurchschnitt von 2,4 Prozent. BSZ: Besteht durch die Rente mit 67 die Gefahr, dass Altersarmut steigt?
Haderthauer: Damit die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht tatsächlich eine Rentenkürzung bringt, brauchen wir eine Abkehr vom Jugendwahn in den Personalabteilungen. Hier ist die Wirtschaft, die ja lautstark für die Anhebung des Renteneintrittsalters kämpft, gefordert, endlich ihren Beitrag dazu zu leisten und die Menschen, von denen sie einen späteren Rentenbezug fordert, auch lang genug zu beschäftigen. BSZ: Kürzlich haben Sie in einem Interview gesagt, die Altersarmut werde abnehmen. Mit dieser Prognose stehen Sie ziemlich alleine da, wie kommt sie zustande?
Haderthauer: Diese Einschätzung betrifft allein Bayern: Vor 40 Jahren hatte Bayern ein sehr niedriges Lohnniveau. Heute, nach jahrzehntelanger erfolgreicher Wirtschafts- und Sozialpolitik haben wir bundesweit das höchste Lohnniveau. Da die Rente die Erwerbsbiografie abbildet, ist es nur logisch, dass sich das auch in der Rentenhöhe finden wird. In 20 Jahren wird Bayern möglicherweise das höchste Rentenniveau bundesweit haben. BSZ: Aber dennoch ist das ein Problem, das es zu lösen gilt.
Haderthauer: Natürlich. Dadurch, dass im Verhältnis zur aushäusigen Erwerbstätigkeit die Familien- und Sorgearbeit in der Rente unterbewertet ist, werden gerade Frauen oft zum Verlierer im Alter, obwohl sie häufig ihr ganzes Leben ungemein viel geleistet haben. Wir brauchen endlich eine Rente nach Lebensleistung: Familien- und Sorgearbeit, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen muss rentenrechtlich zu 100 Prozent mit aushäusiger Erwerbstätigkeit gleichgesetzt werden. Es darf nicht sein, dass derjenige zum Schluss der Dumme ist, der diese wichtigen Leistungen für die Gesellschaft erbringt. Als Vorsitzende der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz werde ich in diesem Jahr einen Leitantrag dazu einbringen. BSZ: Was wird der Antrag noch beinhalten?
Haderthauer: Wir müssen generell überkommene Strukturen über Bord werfen. Mit einer hohen Frauenerwerbsquote und Wiedereinstiegsprogrammen ist es nicht getan. Es muss uns doch auch darum gehen, in welchen Jobs Frauen arbeiten. Da leisten wir uns eine enorme Ressourcenverschwendung. Mütter werden nach der Babypause bei uns meist unterhalb ihrer vorherigen Position wieder eingesetzt, nur weil sie erstmal noch Teilzeit arbeiten wollen. Und das wird dann schnell zur Sackgasse: Über die Hälfte der teilzeitbeschäftigten Frauen möchten nach einiger Zeit wieder mehr arbeiten, bekommen dazu aber keine Möglichkeit. Das geht ganz klar an die Adresse der Arbeitgeber, die auf diese Weise kostbare Fachkraftpotenziale brachliegen lassen. BSZ: Gehen Sie mit gutem Beispiel voran? Gibt es in Ihrem Ministerium Teilzeitkräfte in Führungspositionen?
Haderthauer: Ja, ich habe beispielsweise einer jungen Mutter eine Referatsleitung in Teilzeit übertragen. Alle haben erst einmal große Augen gemacht, weil das immer eine Ganztagsposition war. Aber es hat perfekt geklappt.
(Interview: Angelika Kahl)

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