Es ist eigentlich verboten. Dennoch schwimmen jeden Sommer Tausende Menschen im Eisbach, einem kleinen Fluss im Münchner Englischen Garten. Dessen teils reißende Strömung unterschätzen viele. Zuletzt ein 24-Jähriger, der von der Strömung erfasst worden war. Sein Versuch, sich an einer Kette festzuhalten, um sich ans Ufer zu retten, scheiterte. Der Mann stürzte über das Wehr. Sein Bekannter musste hilflos zusehen, wie er in einer Wasserwalze verschwand. Der Mann wurde leblos aus dem Wasser gezogen und starb in einer Klinik.
Immer wieder geraten Menschen im Eisbach in Gefahr. Die Frage, wie viele Badeunfälle bislang tödlich endeten, ließ die für weite Teile des Flusses zuständige Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (BSV) auf BSZ-Anfrage allerdings unbeantwortet. Wer Medienarchive durchforstet, findet allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast ein Dutzend Fälle, in denen Menschen im Eisbach starben. Am 29. Juni dieses Jahres ging ein Student aus Stuttgart mit Freunden im Eisbach schwimmen. Bald tauchte der junge Mann nicht mehr auf. Eine Woche später fand man seine Leiche. 2017 ertrank eine 15-jährige Schülerin. Sie hatte sich noch an der Hand der Freundin festgehalten, doch dann verließ sie die Kraft.
Ein großer Teil der Ertrunkenen waren Jugendliche oder junge Erwachsene – doch nicht alle: 2013 konnte ein älterer Mann nur mehr tot am Tivoli-Kraftwerk geborgen werden. Besonders schockierend ist ein Fall aus dem August 2003: Die heftige Strömung des Baches drückte einen Vierjährigen durch ein Wehr. Sein zierlicher Körper rutschte hindurch, aber sein Kopf blieb unter Wasser stecken. Der Vater des Buben schaffte es nicht, den Kleinen herauszuziehen. Sein Sohn starb in seinen Armen.
Manche Opfer waren betrunken oder standen unter Drogen, so wie ein 32-Jähriger, der 2015 ins Wasser sprang und ertrank. Manche kannten die Gegebenheiten nicht – so wie der Tourist aus Neu-Delhi, der im Frühsommer 2017 knapp 30 Meter unterhalb der Surferwelle in das hüfthohe Wasser stieg. Nachdem ihn die Strömung weggerissen hatte, schrie der Nichtschwimmer laut Zeugen noch einige Zeit um Hilfe. Mehrere Menschen stürzten sich ins Wasser, bekamen den Mann aber nicht zu greifen. Ein Rettungsversuch an der Tivolibrücke scheiterte.
Warum geschieht nichts?
„Ab der Tivolibrücke ist der Eisbach auch für sehr gute Schwimmer äußerst gefährlich“, sagt Michael Förster von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Bayern. Denn dort trifft man auf das Wehr am Tucherpark. Die Wasserwalze sei eine tödliche Gefahr, warnt Förster. Tatsächlich stürzen dort Unmengen an Wasser in extremem Tempo eine Schwelle hinab. Dem unter dem Wasserfall bestehenden Strudel kann man kaum entrinnen. Vergleicht man den Eisbach mit großen Flüssen wie Donau, Inn oder Main, ist der Eisbach ein „Hotspot“, was Unglücke betrifft, berichtet Förster.
Die Ursachen für die Unglücke seien verschieden. „Zum einen sind da junge Männer, die schlicht die eigenen Kräfte überschätzen“, sagt der Experte. Er verweist darauf, dass das Wasser selbst im Hochsommer kalt sei, was die Betroffenen zusätzlich schwäche. Zudem gebe es immer wieder Nichtschwimmer, die „unter Gruppenzwang fröhlich reinspringen“. Der Fluss hat generell eine relativ hohe Strömungsgeschwindigkeit, weshalb man auch in eher flachem Wasser davongetrieben werden kann. Walzen, Strudel und Unterströmungen machen den Wasserlauf selbst für erfahrene Schwimmer mitunter unberechenbar.
Das Problem: Der Eisbach war bei seiner Schaffung nicht als Badegelegenheit geplant. Daher gibt es in seinem Verlauf diverse längere Abschnitte, an denen es unmöglich oder nur schwer möglich ist, das Wasser zu verlassen. Immerhin: Vor der Tivolibrücke gibt es an der linken Seite zwei Leitern an den kahlen Betonwänden. Diese aber muss der Schwimmer erwischen, um der Todesfalle Eisbach zu entkommen. Seit Jahren fordern von den Schreien mancher Wegtreibender schockierte Anwohner*innen im Lehel, mehr Ausstiegsmöglichkeiten zu schaffen.
Eine Sprecherin der Bayerischen Schlösserverwaltung betont auf Anfrage, man nehme die Sicherheit der „Besucherinnen und Besucher stets sehr ernst“. Sie verweist darauf, dass das Baden „in sämtlichen Gewässern des Englischen Gartens durch die an allen Eingängen ausgehängte Parkanlagenverordnung ausdrücklich verboten ist“. Die Schlösserverwaltung erklärt, dass entlang des Eisbachs mehrere Schilder mit der Aufschrift „Baden verboten/ Lebensgefahr“ stehen. Diese seien mit „entsprechenden auch international verständlichen Piktogrammen aufgestellt“. Diverse Notausstiegshilfen würden ebenfalls regelmäßig gewartet.
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft hält die bisherigen Maßnahmen nicht für ausreichend. Sie würde sich neue Warnschilder wünschen, um mehr Menschen vom Bad im Eisbach abzuschrecken. „Wenn diese wie im Straßenverkehr üblich bei potenziell gefährlichen Situationen rot mit neongelb kombiniert wären, würde dies womöglich mehr Menschen abhalten“, sagt Förster. Die derzeitigen Schilder passten zwar gut zum 200 Jahre alten nostalgischen Flair des Englischen Gartens, hätten „jedoch nicht den Charakter von Warnschildern“. Die Schilder sollten zeigen, dass der Aufsteller die Gefahr ernst nehme.
Eine Sprecherin der Schlösserverwaltung betont: „Die Schilder werden regelmäßig kontrolliert und auf gute Sichtbarkeit überprüft.“ Doch die Kritik der Rettungsschwimmer nimmt man ernst. „Derzeit wird die nochmalige Erweiterung der Beschilderung am Eisbach geprüft.“ Allerdings appelliert die Verwaltung „auch an die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen, verantwortungsbewusst zu handeln“.
Dass kürzlich mit Coldplay-Sänger Chris Martin auch eine Berühmtheit im Eisbach planschte, dürfte dem Anliegen nicht gerade förderlich sein. (Tobias Lill)
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