Politik

Bei einer Razzia gegen sogenannte Reichsbürger führen vermummte Polizisten, nach der Durchsuchung eines Hauses Heinrich XIII Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug. Die Bundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen mehrere Menschen aus der sogenannten Reichsbürgerszene im Zuge einer Razzia festnehmen lassen. Zahlreiche Beamte seien in mehreren Bundesländern im Einsatz, sagte eine Sprecherin der Karlsruher Behörde. (Foto: dpa/Boris Roessler)

07.12.2022

Ermittler: Bayer war Teil der Führungsriege von "Reichsbürger"-Gruppe

Sie planten einen Umsturz: Gegen eine mutmaßliche Terrorgruppe aus der Reichsbürgerszene sind am Mittwoch mehrere Tausend Polizisten vorgegangen – auch in Bayern. Einer der Festgenommenen soll als rechte Hand von einem der Anführer fungiert haben

Ein Mann aus Bayern ist nach Auffassung von Ermittlern die rechte Hand von einem der beiden Anführer der Reichsbürger-Gruppe, gegen die Ermittler am Mittwoch bei einer Großrazzia vorgegangen sind. Der Verdächtige sei am Mittwochmorgen im Freistaat festgenommen worden, teilte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit. Er soll innerhalb der Vereinigung als "persönlicher Referent" eines der beiden mutmaßlichen Rädelsführer, Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen, fungiert haben.

Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wurden am Mittwoch sechs Menschen aus Bayern im Zusammenhang mit der Aktion festgenommen, zwei davon im Ausland. Zwei der im Freistaat Festgenommenen gehörten nach Auffassung der Ermittler zum "Führungsstab" eines "militärischen Arms" der Gruppe, die die staatliche Ordnung in Deutschland stürzen und durch eine eigene ersetzen wollte.

Letztere sei in Grundzügen ausgearbeitet gewesen. Die terroristische Vereinigung hätte für ihr Ziel auch Tote in Kauf genommen, hieß es von der Bundesanwaltschaft.

26 Objekte im Freistaat durchsucht

Bei der Großrazzia waren nach dpa-Informationen aus Sicherheitskreisen 26 Objekte von 15 Besitzern in allen bayerischen Regierungsbezirken durchsucht worden, darunter Büros, Keller und Wohnungen. Laut Bundesanwaltschaft gab es Festnahmen in den Landkreisen Forchheim, Schweinfurt, Ansbach und Bayreuth, im Ausland waren Perugia in Italien und Kitzbühel in Österreich betroffen. Im Einsatz waren laut Herrmann in Bayern Einsatzkräfte im "mittleren dreistelligen Bereich", darunter auch Spezialeinheiten.

8 der insgesamt 25 Festgenommenen waren am Mittwoch laut Generalbundesanwalt Peter Frank schon in Untersuchungshaft. Rund 3000 Polizeibeamte waren in elf Bundesländern im Einsatz.

"Reichsbürger" sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen und stehen häufig im Konflikt mit Behörden. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21 000 Anhänger zu.

Bei etwa fünf Prozent von ihnen, also rund 1150, handelt es sich nach Angaben der Behörde um Rechtsextremisten. Im Jahr 2021 rechnete der Verfassungsschutz der Szene "Reichsbürger und Selbstverwalter" 1011 extremistische Straftaten zu.

In Bayern hatten die Polizeipräsidien Ende September 2021 insgesamt 4381 "Reichsbürger und Selbstverwalter" erfasst. Bei einer Razzia im Jahr 2016 hatte ein sogenannter Reichsbürger im bayerischen Georgensgmünd auf vier Polizisten geschossen. Einer von ihnen erlag im Krankenhaus seinen Verletzungen. Das Spezialeinsatzkommando wollte die Waffen des Jägers beschlagnahmen.

Rund 3000 Polizeikräfte waren in Deutschland im Einsatz

Rund 3000 Polizeibeamte seien am Mittwochmorgen insgesamt in elf Bundesländern im Einsatz gewesen, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe der Deutschen Presse-Agentur. 22 der Festgenommenen sollen Mitglieder dieser terroristischen Vereinigung sein, zwei davon Rädelsführer. Drei weitere gelten als Unterstützer. Zudem gebe es 27 weitere Beschuldigte, sagte die Sprecherin. Mehr als 130 Objekte wurden durchsucht.

"Wir haben noch keinen Namen für diese Vereinigung", sagte die Sprecherin. Diese begründe sich den Erkenntnissen zufolge auf Verschwörungsmythen. Die Mitglieder seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten Deep States, eines "tiefen Staats", regiert werde, hieß es in einer Mitteilung. Ein Angriff eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika stehe dieser Überzeugung nach kurz bevor.

Seit November regelmäßig im Verborgenen getroffen

Spätestens Ende November 2021 sollen die Menschen die Gruppierung gegründet haben. Zentrales Gremium sei ein "Rat". Dieser verfüge ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über Ressorts wie Justiz, Außen und Gesundheit. "Die Mitglieder des "Rates" haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verbogenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen", teilte die Bundesanwaltschaft mit.

Ein "militärischer Arm" sollte den demokratischen Rechtsstaat auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen "beseitigen", hieß es. Der Vereinigung sei bewusst, dass es dabei zu Toten kommen werde. "Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten "Systemwechsels auf allen Ebenen" zumindest billigend in Kauf." Einige mutmaßliche Mitglieder des militärischen Arms hätten aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet.

Auch hätten sie vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei für den geplanten Staatsumsturz rekrutieren wollen. Bei mindestens vier Treffen in Baden-Württemberg im Sommer hätten mutmaßliche Mitglieder für die terroristische Vereinigung und ihre Ziele geworben.

Im Herbst hätten Beschuldigte in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung gewinnen wollen. Angehörige des "militärischen Arms" hätten Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern ausgekundschaftet, "um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren".

Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft richten sich auch gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr und mehrere Reservisten der Bundeswehr. Der aktive Soldat sei im Stab des KSK eingesetzt, sagte ein Sprecher des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Nach Informationen der dpa handelt es sich um einen Unteroffizier. Demnach wurden sein Haus und sein Dienstzimmer in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw (Baden-Württemberg) durchsucht.

Festgenommen wurden die Menschen den Angaben nach in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen sowie jeweils eine Person in Österreich und Italien. Durchsuchungen habe es darüber hinaus in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegeben. Noch am Mittwoch wollte die Bundesanwaltschaft mit der Vernehmung der ersten Festgenommenen beginnen, wie die Sprecherin sagte.

Bundesjustizminister spricht von "Anti-Terror-Einsatz

Bundesjustizminister Marco Buschmann bezeichnete die bundesweite Razzia als "Anti-Terror-Einsatz". "Demokratie ist wehrhaft: Seit heute Morgen findet ein großer Anti-Terror-Einsatz statt", schrieb der FDP-Politiker am Mittwochmorgen auf Twitter.

Ausgangspunkt der Ermittlungen sollen Verbindungen von Mitgliedern der nun ausgehobenen Vereinigung zu Angehörigen der Gruppe "Vereinte Patrioten" sein, die im April festgenommen worden waren und geplant haben sollen, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen. (Marco Krefting, Sophia Weimer, Anne-Béatrice Clasmann, Corinna Schwanhold, Carsten Hoffmann, Frederick Mersi und Marco Hadem, dpa)

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