Politik

Das Windrad selbst ist umweltfreundlich. Bei seiner Herstellung aber kommen PFAS zum Einsatz – und die sind überaus gesundheitsschädlich. (Foto: dpa/Thomas Warnack)

10.03.2023

Umweltfreundlich? Ja, aber ...

Die gefährlichen PFAS werden auch für Windräder und Wärmepumpen gebraucht

Mit ihrer Hilfe bäckt in Pfannen nichts an, sie durchfließen Wärmepumpen und kommen bei der Produktion von Batterien und Windrädern zur Anwendung: Die Gruppe der sogenannten per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) umfasst mehr als 10 000 Chemikalien, von denen viele äußerst nützlich sind. Drei der sechs deutschen Produzenten befinden sich im bayerischen Chemiepark Gendorf bei Burgkirchen. Behörden mehrerer Staaten fordern ein Verbot auf EU-Ebene. Industrie und Bayerns Staatsregierung warnen davor.

Vizeministerpräsident und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ist in Alarmstimmung: „Wir lehnen eine derartig breite Regulierung ganzer Stoffgruppen ab, weil wir diese Chemikalien derzeit noch zur Dekarbonisierung der Industrie brauchen“, erklärt er. Das Erreichen der Klimaneutralität ist für ihn ohne die PFAS-Untergruppe der Fluorpolymere kaum vorstellbar.

Recherchen von 18 europäischen Medien haben aber erst vor Kurzem gezeigt, dass die PFAS nicht nur wichtig für die Energiewende sind und sich in unzähligen Alltagsprodukten befinden, sondern auch an 1500 deutschen Orten nachgewiesen wurden. Im Boden, in Flüssen, im Grundwasser. Auch an etlichen Orten in Bayern. Was die PFAS so attraktiv macht, ist gleichzeitig ihre größte Schwäche: Die Stoffe sind äußerst langlebig und widerstandsfähig. Sie bauen sich nur sehr langsam ab, einige davon reichern sich zudem in Organismen an.

Einzelne Chemikalien sind bereits wegen ihrer nachgewiesenen gesundheitsschädlichen Wirkungen verboten; denn sie können Leberschäden verursachen oder Krebs auslösen. Da sich in den vergangenen Jahren die Hinweise verdichteten, dass die gesamte Stoffgruppe problematisch ist, streben mehrere Länder ein EU-weites Verbot aller PFAS an. Mit einer Entscheidung der EU-Kommission ist 2025 zu rechnen. Am 22. März beginnt die öffentliche Beteiligung.

Auch im bayerischen Chemiedreieck zwischen Trostberg, Töging am Inn und Burghausen wurden vielerorts PFAS nachgewiesen. Dort befindet sich der Chemiepark Gendorf. Im Februar waren im nahen Neuötting zwei Brunnen abgeschaltet worden, da dort erhöhte Werte einer Chemikalie entdeckt worden waren. Diese sei aber gesundheitlich unbedenklich, erklärte das dortige Landratsamt.

Wirklich? Die Bevölkerung ist verunsichert. Frank Bremauer von der Bürgerinitiative Netzwerk Trinkwasser beklagt, dass im Chemiepark länger als nötig mit heute verbotenen Chemikalien gearbeitet wurde, die noch nachweisbar sind. Böden, Oberflächenwasser und Grundwasser sind laut Bremauer auf einer Fläche „doppelt so groß wie der Chiemsee“ mit insgesamt 59 PFAS kontaminiert. Bauvorhaben platzten wegen ungeklärter Haftungsfragen. Es gibt ein Verzehrverbot von Wildschweinen und Flussfischen.

Tausende Jobs sind bedroht

Der Chemiepark ist der einzige deutsche Standort, an dem Fluorpolymere produziert werden. Führend in der Produktion ist die Firma Dyneon, eine Tochter des US-Konzerns 3M. Mit ihrem Werk im Chemiepark deckt sie knapp die Hälfte des europäischen Bedarfs ab. Im Dezember kündigte 3M an, aus der Herstellung aller PFAS auszusteigen. Damit droht die Stilllegung des Werkes.

Ein Schock für die Region – wie für die große Politik. Der Sprecher des Chemieparks warnt vor dem Verlust von fast 1000 der insgesamt 3600 Arbeitsplätze und der Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland. Aiwanger besuchte zusammen mit Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Chemiepark, um Unterstützung zuzusichern. Sie warnten vor einem „wirtschaftspolitischen Desaster“, sollte die Produktion wegbrechen.

Doch mit dem geplanten EU-Verbotsverfahren hat die Schließung nur bedingt zu tun: Für den Bund Naturschutz (BN) ist sie die Konsequenz eines im 3M-Mutterland USA schon länger laufenden Ausstiegs aus den PFAS. „Solange die EU hier nicht mit einem entsprechenden Programm nachzieht, wird die Entwicklung einer umweltfreundlicheren Chemieindustrie in den USA und nicht in Europa stattfinden“, stellt ein BN-Sprecher fest. Bei Alltagsprodukten besitzen allerdings auch die Verbraucher*innen Macht: Durch ihr Einkaufsverhalten können sie Druck auf die Industrie ausüben, nach umweltfreundlichen Alternativen zu suchen. Bei Pfannen etwa gibt es inzwischen Keramikbeschichtungen.

Das Wirtschaftsministerium plädiert für eine differenzierte Betrachtung. Neben besorgniserregenden Stoffen gebe es auch wenig bedenkliche, erklärt ein Sprecher. Das sieht der Chemiepark-Sprecher ebenso: „Die Politik sollte beim geplanten Verbot die derzeit unverzichtbaren Polymere, eine Gruppe von 20 bis 30 Chemikalien, herausnehmen und einer gesonderten Risikobetrachtung unterziehen.“ Denn ob man es will oder nicht: Die Nachfrage wird weiter anwachsen. (Thorsten Stark)
 

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