Politik

Ein großes Ärgernis für viele Bahnreisenen: die hohe Anzahl an Verspätungen. (Foto: dpa/Fabian Sommer)

28.01.2022

Unattraktive Alternative

Die von der Ampel-Regierung wohlwollend betrachtete Spritpreis-Explosion soll zum Umstieg auf die Bahn zwingen

Die Ampel will die Deutschen bewegen, statt des Autos die Bahn zu nutzen. Und angesichts explodierender Spritpreise – denen die Regierung tatenlos zuschaut – bleibt vielen Menschen nichts anderes übrig. Doch die vermeintliche Alternative bietet aktuell vor allem Baustellen, Zugausfälle Verspätungen und einen immer schlechteren Service.

Die Situation haben wohl schon alle Bahnreisenden mal erlebt: Man hat es eilig, gleich fährt der Zug ab – und noch keinen Fahrschein. Am Schalter hat sich eine Schlange gebildet. Blöd, wenn auch noch der Automat streikt oder auch vor diesem andere Fahrgäste warten. Bis Ende vergangenen Jahres gab es noch die Notlösung: den Kauf eines Fahrscheins direkt beim Zugpersonal gegen einen geringen Aufpreis. Doch damit ist jetzt Schluss. Seit 1. Januar 2022 werden in Fernzügen keine Fahrscheine mehr verkauft; wer keinen hat bei Fahrtantritt, gilt automatisch als Schwarzfahrer*in. Ein Ticket kann nur noch online über die App oder über die Bahn-Webseite gebucht werden – und das nur bis zu zehn Minuten nach der Abfahrt.

Was die BEG nicht fordert, das wird auch gestrichen

Gleichzeitig bestehen immer schlechtere Möglichkeiten, direkt ein Ticket zu erwerben. Der DB-Konzern hat die Zahl seiner Vertriebsstellen von 2006 bis 2021 fast halbiert. Noch vor 15 Jahren konnte man sich bundesweit von rund 3200 Agenturen zu einer Bahnreise beraten lassen. Heuer sind davon nur noch gut 1700 übrig. Allein nach der Einführung des aktuellen Provisionssystems Anfang des Jahres 2020 gaben 300 Vertriebsstellen den Fahrscheinverkauf auf.

Dagegen wuchs der Anteil der Online- und Mobile-Umsätze auf zuletzt 46 Prozent, fast jedes zweite DB-Ticket wird also digital verkauft. Der DB Navigator als App auf dem Smartphone wird für viele Menschen zur Alternative – oft aber eben mangels Alternative. Der Konzern will deshalb weiterhin viel Geld in die Weiterentwicklung der digitalen Kanäle investieren, in Sprachsteuerung und künstliche Intelligenz. Menschen im Service sollen dagegen auf lange Sicht nahezu verschwinden.

Für junge und internetaffine Leute mag das kein Problem darstellen. Aber es gibt noch immer viele Ältere, die nur ein Handy ohne Internetzugang haben und sich mit der App auch nicht wirklich gut zurechtfinden. Obendrein können das Angebot nur diejenigen nutzen, die auch Zugang zu schnellem Internet haben. Im ländlichen Raum dagegen gibt es noch nicht überall 5G. Protestaktionen blieben ohne Erfolg. Kurz vor Ausbruch der Pandemie sammelte der Berliner Michael Kotzurek, selbstständiger Ticketverkäufer, mehr als 8000 Unterschriften für eine angemessene Vergütung beim Verkauf von Zugtickets. Denn das aktuelle DB-Provisionsmodell bedeute massive Einbußen.

Andreas Frank, Sprecher des bayerischen Landesverbands von Pro Bahn, wundert das nicht. Schuld sei vor allem die staatliche Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG): Wenn diese bei Strecken-Ausschreibungen keinen personalisierten Fahrkartenverkauf fordere, dann würden die Firmen auch keinen anbieten; kostet ja nur unnötig. Auch dass es im Freistaat keinen Landestarif wie in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Norddeutschland gibt, sei das Versagen der BEG.

Im bayerischen Verkehrsministerium, dem die BEG untersteht, verweist man auf Nachfrage darauf, das Aus für den Ticketverkauf im Zug sei „eine eigene unternehmerische Entscheidung der DB“ – und ignoriert damit, dass man genau das der DB durch entsprechende Ausschreibungsvorgaben hätte untersagen können. Auch verweist die Sprecherin von Ressortchefin Kerstin Schreyer (CSU) auf die „zunehmende Bedeutung und Ausweitung der digitalen Vertriebskanäle“. Doch diese sollten am besten nur ein Zusatzangebot sein – nicht aber als generellen Ersatz dienen für Servicekräfte, mit denen man sprechen kann.

Auch gegen immer weniger Verkaufsstellen will man im Verkehrsministerium nicht aktiv werden. Es gebe ein „landesweites konkretes Vertragskonzept“, und das sei „während der Laufzeit eines Verkehrsvertrags durch den Gewinner der Ausschreibung zu gewährleisten“, so die Ministeriumssprecherin. Doch könnte der Staat eben bei der Ausschreibung von Streckenverbindungen klar fordern, dass eine bestimmte Anzahl mit Personal besetzter Ticketverkaufsstellen durch die Bahnfirmen angeboten werden muss. Tut er aber nicht.

Und der Service lässt sich noch weiter reduzieren. Bald sollen auch S-Bahnen – die in der Regel keine Toiletten haben – von München aus bis ins Allgäu fahren; und zwar ebenfalls ohne Toiletten. „Wie sollen kleine Kinder und alte Leute so eine stundenlange Fahrt durchhalten?“, schimpft der Pro-Bahn-Aktivist Andreas Frank. Wobei der Interessenvertreter beim nachlassenden Service nicht nur die DB anprangert: „Bei der Konkurrenz schaut’s nicht besser aus.“

Doch das sind nicht die einzigen Probleme. Die Zahl der Baustellen ist explodiert. Die Strecke zwischen Nürnberg und Bamberg beispielsweise muss Anfang Februar voll gesperrt werden. Grund sind Brückenarbeiten, Arbeiten an der Oberleitung und an Eisenbahnüberführungen. In Richtung Berlin und Hamburg fahren die Züge in Bayern wegen der Umleitung meist rund 90 Minuten früher los. Einige Sprinter-Züge von München nach Berlin entfallen, ebenso alle ICE-Halte in Coburg, Bamberg und Erlangen.

Vor allem bei S-Bahnen schaut es mit der Pünktlichkeit mau aus – und München ist der traurige Vorreiter: chronisch unzuverlässig, oft verspätet und störanfällig. So beklagen es auch die Gesellschafter des Münchner Tarif- und Verkehrsverbunds (MVV) – die Landeshauptstadt und die umliegenden Landkreise – in einem aktuellen Brandbrief an die Deutsche Bahn. Die Infrastruktur der S-Bahn sei so marode, dass es beinahe täglich Störungen gebe. Die S-Bahn habe deshalb ein „sehr großes Akzeptanzproblem“, schimpfen die Gesellschafter. Fast täglich gebe es Meldungen über Weichen-, Stellwerk-, Signal-, Fahrzeug- und Türstörungen, durchtrennte Kabel bei Bauarbeiten, Ausfälle des Stellwerks München Ost bis hin zur Stammstreckensperrung.

Die DB müsse „dringend und umgehend gegensteuern, wenn in den kommenden Jahren nicht zusätzliche Massen vom öffentlichen Verkehr entnervter und enttäuschter Pendler die Einfallstraßen nach München endgültig verstopfen sollen“, fordert Robert Niedergesäß (CSU), Landrat des Kreises Ebersberg und Sprecher der MVV-Verbundlandkreise. Er habe Bahn-Vorstand Ronald Pofalla zu einem „klärenden Gespräch“ eingeladen.

Hinzu kommen Preissteigerungen: Noch vor dem Jahreswechsel, am 12. Dezember, hat die Deutsche Bahn ihre Fahrpreise um durchschnittlich 1,9 Prozent erhöht. Der Flexpreis und die Preise für Streckenzeitkarten wurden um 2,9 Prozent teurer. Auch bei den Bahn-Cards 25, 50 und 100 ist der Preis um 2,9 Prozent gestiegen.

Im Regionalverkehr warten die Fahrgäste noch immer auf das von mehreren Parteien versprochene 365-Euro-Flatrate-Ticket für ein Jahr nach dem Vorbild der österreichischen Hauptstadt Wien. Im MVV befindet man sich noch nicht mal in der konkreten Planungsphase. Bei der VGN im Großraum Nürnberg wurde das Projekt gerade wegen leerer Kassen auf Eis gelegt.
Für Menschen mit Behinderung kommt dazu: Von den mehr als 1000 Bahnhöfen im Freistaat ist weniger als die Hälfte auch barrierefrei. In den drei fränkischen Bezirken sollen in den kommenden Jahren lediglich 15 Bahnhöfe umgerüstet werden.   (André Paul)

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