Politik

Laut Anna Netrebko sind die Bayerische Staatsoper in München und die Metropolitan Opera in New York die einzigen Bühnen im Westen, wo sie weiterhin nicht singen darf. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

16.06.2022

Undemokratische Cancel Culture

Seit Kriegsbeginn haben es russische Kunstschaffende und die russische Kultur schwer, auch in Bayern

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Als Serge Dorny im Frühherbst sein Amt als neuer Staatsopernintendant in München antrat, sorgte eine hausinterne Corona-Regel für Wirbel. Sie machte einen Unterschied zwischen freien und festangestellten Mitarbeiter*innen (wir berichteten). Toleranz sieht anders aus.

Das zeigt sich leider auch am Umgang mit russischen Kunstschaffenden. Als erste Amtshandlung nach Kriegsbeginn in der Ukraine hatte Dorny im Frühjahr nicht nur den Dirigenten Valery Gergiev geschasst, sondern auch Anna Netrebko ausgeladen. Dabei hatte sich die russische Star-Sopranistin gegen den Krieg ausgesprochen und diesen auch als solchen benannt – ganz im Gegensatz zu Gergiev. In Russland gilt Netrebko deswegen als „Verräterin“. Wie Netrebko kürzlich in einem Interview sagte, sind die Bayerische Staatsoper in München und die Metropolitan Opera in New York die einzigen Bühnen im Westen, wo sie weiterhin nicht singen darf.

Es geht indes längst nicht nur um Stars wie Netrebko. So haben Musikwettbewerbe wie die Dublin International Piano Competition bereits russische Musizierende pauschal ausgeschlossen. Gleichzeitig werden russische Werke gestrichen. Selbst an deutschen Universitäten wurde darüber diskutiert, ob man den 1881 verstorbenen Fjodor Dostojewski aus Literatur-Seminaren verbannen sollte.

In Bayern sorgte das Staatstheater Augsburg für Aufsehen, das nach Kriegsbeginn die Operette Moskau, Tscherjomuschki von Dmitri Schostakowitsch abgesetzt hatte. Die satirische Lobpreisung auf das schöne Leben in Moskau, hieß es, sei unangemessen. Immerhin sucht das Haus nach Möglichkeiten, die Produktion künftig wieder zu zeigen: mit kommentierender Kontextualisierung.

"Nicht jeder Russe ist ein Unterstützer dieses Krieges"

Abgesehen davon geht es im Freistaat vergleichsweise moderat zu. So betont das Staatstheater Nürnberg, dass nur ein Ballett-Gastspiel in Russland wegen des Krieges nicht realisiert werden konnte. Ansonsten halte man „nichts davon“, russische Werke von den Spielplänen zu streichen, lässt Staatsintendant Jens-Daniel Herzog erklären. Nicht anders die Orchester im Freistaat. Auch der ARD-Musikwettbewerb in München bleibt weiterhin für russische Teilnehmer*innen offen.

Wie groß die Anfeindungen dennoch sind, offenbarte ein Appell des Regisseurs Evgeny Titov, der am Residenztheater in München inszeniert. „Ich möchte nicht, dass jeder Russe als Unterstützer dieses Krieges verdächtigt wird“, ließ Titov mitteilen. „Ich bitte Sie inständig, nicht noch mehr Hass, Intoleranz, Diskriminierung und Rassismus hinzuzufügen!“ Ähnlich formulierte es der Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, Vladimir Jurowski.

Andere sind weniger versöhnlich. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk bezeichnete in einem Interview alle Menschen aus Russland pauschal als „Feinde“. (Marco Frei)

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