Politik

Mit Operationen lässt sich viel Geld verdienen – nicht immer zum Wohl der Kranken. (Foto: Getty Images/Flying Colors Limited)

24.06.2022

Unnötige OPs und Kosten

Finanzinvestoren übernehmen immer mehr Arztpraxen in Bayern

Wer zur Ärztin oder zum Arzt geht, vertraut auf eine gute Behandlung – bisher jedenfalls. Seitdem immer mehr Finanzinvestor*innen ihr Geld in Praxen anlegen, steigt auch dort der Renditedruck. Das heißt, es werden gesunde Zähne angebohrt oder die Augenerkrankung Grauer Star mit einer Operation korrigiert, obwohl eine Brille völlig ausreichend wäre. Die Folge: Medizinische Entscheidungen werden von Kapitalinteressen beeinflusst, und ein großer Teil der Sozialversicherungsbeiträge landet auf den Konten von Gesellschaften auf den Cayman Islands.

Für private Investierende sind Praxen hochinteressant, weil sie enorm rentabel sind. Anders als bei Aktien oder Immobilien lassen sich dabei Umsatzrenditen von rund 20 Prozent erzielen. Wenn es dann noch gelingt, in einer Stadt eine Monopolstellung zu erreichen, klingelt die Kasse erst recht. Die Kette Sanoptis soll in Augsburg damit bereits erfolgreich sein. In Kempten gibt es laut Fachleuten eine ähnliche Entwicklung.

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) hat sich der Anteil der investorenbetriebenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) im Vergleich zu 2015 um 18 Prozent erhöht. Gleichzeitig sank der Anteil an Einzelpraxen um 1,4 Prozent und der der Berufsausübungsgemeinschaften um knapp 2 Prozent. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil laut bayerischem Gesundheitsministerium die „intransparenten Trägerstrukturen“ eine konkrete Aussage erschwerten. Die Entwicklung sei aber „dynamisch“, also steigend.

"Es ist fünf vor zwölf"

„Es ist fünf vor zwölf, denn die Investoren übernehmen immer mehr Vertragsarzt-, aber zunehmend auch Privatpraxen und arbeiten so am Umbau der bewährten Versorgungsstrukturen in Richtung reine Renditeorientierung“, klagt der KVB-Vorstand. Leidtragende seien die Patient*innen, aber auch der ärztliche Nachwuchs, der durch die finanzstarken Ketten keine Chancen mehr hat, sich in Ballungsräumen niederzulassen.

Zwar gibt es seit 2011 ein Bundesgesetz, das die Aktivität von Finanzinvestor*innen einschränken soll. Aber diese haben ein Schlupfloch gefunden: Kliniken dürfen Praxen in unbegrenzter Zahl kaufen. Also haben sich Augenkliniken wie Artemis ein paar Betten angemietet und seitdem kräftig zugeschlagen.

Insgesamt 500 Augenarztpraxen sollen inzwischen bundesweit in den Händen von Kapitalgesellschaften sein – dreimal so viele wie noch vor drei Jahren.
Neben den unnötigen Behandlungen müssen Patientinnen und Patienten selbst für gerechtfertigte Eingriffe tiefer in die Tasche greifen. „In investorengetragenen MVZ liegen die abgerechneten Honorarvolumina deutlich über denen in anderen MVZ“, heißt es aus dem bayerischen Gesundheitsministerium. So seien die Behandlungskosten fachübergreifend um 8,3 Prozent höher als in Einzelpraxen.

Holetschek fordert Kennzeichnungspflicht

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) will das nicht länger akzeptieren. Er fordert daher eine Kennzeichnungspflicht, eine Zulassungsbeschränkung und eine Registrierungspflicht für investorengetragene Praxen. „Es ist schon auffallend, dass gerade bestimmte Fachärzte offenbar besonders interessant für Finanzinvestoren sind“, betont Holetschek. Eine von ihm geforderte Bund-Länder-Arbeitsgruppe gibt es aber bis heute nicht.

CSU und CDU sind allerdings nicht ganz unschuldig an der Situation. 2019 lehnte die schwarz-rote Koalition einen Antrag der Linken-Fraktion im Bundestag ab, ein öffentliches Register für mögliche Kapitalinteressen in der Gesundheitsversorgung einzuführen. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, kann das nicht verstehen: Es dürfe nicht sein, dass die lukrativste Behandlung oder Abrechnungsstrategie im Vordergrund stehe.

Auch die Opposition im bayerischen Landtag ist alarmiert. „Viele Praxen operieren auf Teufel komm raus“, sagt Dominik Spitzer (FDP), der selber Allgemeinmediziner ist. Er befürchtet, dass durch das Investmengesteuerte Geschäft die Krankenkassenbeiträge bald teurer werden. Christina Haubrich (Grüne) sieht die Ursache für diese Problematik in „Fehlanreizen“ im Vergütungssystem des Gesundheitswesens. „Eine hohe Zahl bestimmter Behandlungen lässt den Gewinn maximieren.“ Dies gehe zulasten der dort Behandelten , die dann weniger sorgfältig betreut würden.

Gewinne werden nicht reinvestiert

Der Medizinethiker Georg Marckmann von der Uni München begrüßt zwar, dass privates Kapital ins Gesundheitswesen fließt. Allerdings würden die Gewinne eben nicht entsprechend reinvestiert. „Für Pflegeeinrichtungen ist aus den USA nachgewiesen, dass sich die Versorgungsqualität bei Einrichtungen, die von Finanzinvestoren getragen werden, eher verschlechtert.“

Viel Möglichkeiten haben kranke Menschen ohne eine Gesetzesreform nicht. Ihnen bleibt nur, sich persönlich vor der Untersuchung nach der Rechtsform der Praxis zu informieren. Und natürlich, sich eine Zweitmeinung einzuholen. Vorausgesetzt, die andere Praxis gehört nicht bereits zur selben Unternehmenskette.
(David Lohmann)

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