Politik

Gedenktafeln im Berliner Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas. (Foto: Gregor Fischer/dpa)

27.12.2019

Unter Sinti und Roma wächst die Angst

Steigen mit wachsendem Antisemitismus auch die Straftaten gegen Sinti und Roma? Der Landesverband sagt ja. Die Polizeistatistik gibt das nicht her. Aber die Angst unter den Angehörigen der Minderheit nimmt zu

Erich Schneeberger ist sich sicher: "Immer, wenn man unsere jüdischen Mitbürger angreift, ist hinterher meistens unsere Community dran." Der Vorsitzende des Landesverbands der Sinti und Roma Bayern nennt als Beispiele den Messerangriff auf drei Roma-Angehörige in Berlin im März sowie den Fackelwurf auf eine französische Roma-Familie in Erbach (bei Ulm) im Mai dieses Jahres. "Die Gewalttaten gegen Sinti und Roma nehmen zu, werden halt in den Medien nicht thematisiert", beklagt der 69-Jährige, der einen Großteil seiner Familie im KZ Auschwitz verloren hat.

Die bayerische Polizeistatistik bestätigt ihn nicht. Das kann sie auch nur sehr bedingt. "Straftaten, die als Antiziganismus erfasst wurden" sind erst seit zwei Jahren gesondert aufgeführt. Laut bayerischem Landeskriminalamt waren es 2017 vier gemeldete Fälle, 2018 nur einer, überwiegend Volksverhetzung. Der Zahl der antisemitischen Straftaten in Bayern ist im selben Zeitraum von 148 auf 219 gestiegen.

Schneeberger hat dafür eine einfache Erklärung: "Die Sinti und Roma haben sehr viel Scheu, sich bei der Polizei zu melden. Die meisten haben kein Vertrauen zur Polizei." Nach Angaben des Landesverbands leben in Deutschland etwa 70 000 Sinti und Roma, 12 000 davon in Bayern.

Es ist so viel Lüge und Unwahrheit verbreitet worden

Alexander Diepold vom Jugendhilfeträger "Madhouse" in München betreut aktuell über 360 Sinti- und Roma-Familien. Von Diskriminierungen berichteten 90 Prozent seiner Klienten, so Diepold. Er spricht vom "geduldeten Rassismus", der sich weniger auf der Straße bemerkbar mache als vielmehr bei der Vergabe von Sozialwohnungen, im Jobcenter oder seitens der Polizei.

Einen Anstieg der Straftaten kann Rainer Burger von der Münchner Beratungseinrichtung "Drom - Sinti & Roma" der Diakonie Hasenbergl nicht beobachten. Was aber keinesfalls als Entwarnung gelten soll: "Die waren schon immer auf einem hohen Niveau", so Burger. Seine Klienten sagten: "Die alten Vorurteile sind öfter zu hören". Das mache besonders den Holocaust-Überlebenden unter den Sinti und Roma Angst. Auch Erich Schneeberger ist vorsichtig geworden: "Ich werde oft angefragt, ob sich Vertreter unseres Verbandes an Demonstrationen beteiligen. Ich lehne das immer ab, weil ich Angst um die eigene Familie habe."

Straftaten mit antisemitischem Hintergrund bekämen größere Aufmerksamkeit als die mit antiziganistischem. "Es wird ganz anders in der Gesellschaft aufgenommen, wenn hier ein jüdischer Mensch angegriffen wird, als wenn ein Angehöriger unserer Minderheit betroffen ist. Da sind Welten dazwischen", sagt Schneeberger. Was Sinti- und Roma-Kindern teilweise widerfahre, wäre bei jüdischen Betroffenen "niemals möglich", sagt "Madhouse"-Geschäftsführer Diepold, selbst deutscher Sinti.

Freilich wolle niemand die beiden Gemeinschaften gegeneinander ausspielen. "Unsere zwei Gruppierungen sind immer schon diffamiert, verleumdet und verfolgt worden", so Schneeberger. "Es ist jahrhundertelang so viel Lüge und Unwahrheit verbreitet worden, das hat sich in den Köpfen festgesetzt." Diakonie-Mitarbeiter Rainer Burger sagt: "Man muss halt damit leben."
(Florian Kapfer, dpa)

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