Politik

Unkraut sprießt auf dem ehemaligen Gelände der US-Truppen in Bamberg, wo eines der sogenannten Balkanzentren eröffnet wurde. (Foto: dpa)

15.04.2016

Unwirtliche Orte

Flüchtlingsorganisationen, Kirchen und Opposition beklagen die Zustände in den Balkanzentren – denen langsam die Flüchtlinge ausgehen

Immer weniger Flüchtlinge kommen in den bayerischen Balkanzentren an. Der Innenminister will die Zentren in Manching, Ingolstadt und Bamberg nun anders, „intensiver nutzen“. Um dort beispielsweise Flüchtlinge aus der Ukraine unterzubringen. Die Staatszeitung hat sich in den Zentren umgeschaut. Es ist ein bewölkter Vormittag, gerade hat der Nieselregen aufgehört. Die wenigen Flüchtlinge, die draußen zwischen den Flachbauten zu sehen sind, gehen schnell und mit gesenktem Kopf ihrer Wege. Einige Kinder spielen auf dem Rasen, ansonsten herrscht in der Max-Immelmann-Kaserne eine beinahe unnatürliche Stille. Der Hauptsitz des Aufnahme- und Rückführungszentrums (ARE) Manching, besser bekannt als eines der beiden Balkanzentren in Bayern, ist ein ungemütlicher Ort. Die Flure sind lang, die Zimmer wirken kahl, trotz der Betten und Schränke. „Das hier ist ein Ort der Ausgrenzung und der Isolation“, sagt Stephan Dünnwald vom bayerischen Flüchtlingsrat.

Für den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hingegen sind die beiden Zentren in Manching und Ingolstadt sowie in Bamberg, in denen derzeit rund 2200 Flüchtlinge leben, echte Erfolgsgeschichten. Regelmäßig lässt er mitteilen, wie viele Menschen Richtung Balkan abgeschoben wurden. In diesem Jahr waren es 900 Flüchtlinge.

Bayern hat im vergangenen Jahr als einziges Bundesland die beiden Zentren geschaffen, um Flüchtlinge aus den Balkanländern, denen die Regierung nur eine sehr geringe Bleibeperspektive zuspricht, zentral zu verwalten. Die Asylanträge der Menschen werden vor Ort bearbeitet, alle beteiligten Behörden sind vertreten. Ziel der Regierung ist, die Menschen besonders schnell abzuschieben oder sie zu einer freiwilligen Ausreise zu bewegen. Nach den offiziellen Zahlen funktioniert das bereits bestens. Die Regierung von Oberfranken spricht von einer Verweildauer von durchschnittlich 35 Tagen.

Flüchtlinge, mit denen die Bayerische Staatszeitung gesprochen hat, erzählen allerdings, dass sie mehrere Monate in der Einrichtung leben mussten, ohne dass ihr Antrag bearbeitet worden sei. Wobei Bearbeitung immer Abschiebung heißt. In beiden Zentren wurde bisher kein einziger Asylantrag positiv beschieden.

Seit ihrer Eröffnung stehen die Balkanzentren in der Kritik, und diese Kritik wird immer lauter. Sozialarbeiter, Kirchen, Hilfsorganisationen und Flüchtlingsverbände – sie alle prangern die Zustände in den Einrichtungen an und den Umgang mit den Menschen dort. Dieser sei „schäbig, inhuman und eines Rechtsstaates wie Deutschland nicht würdig“. Im Bamberger Zentrum, einer ehemaligen US-Kaserne, müssen die Flüchtlinge auf engstem Raum zusammenleben. Neun Erwachsene und acht Kinder teilen sich hier eine 70 Quadratmeter-Wohnung. In Manching ist die Situation besser. Hier gab es auch von Anfang an genügend Decken für die Flüchtlinge. In Bamberg mussten sich die Menschen wochenlang mit Malervlies zudecken. „Einige Flüchtlinge müssen das noch immer“, sagt Ulrike Tontsch vom Bamberger Verein „Freund statt fremd“.

Tee kochen ist verboten

Die Regeln in den Zentren sind streng. So ist es den Flüchtlingen nicht erlaubt, selbst zu kochen. Es ist auch verboten, verderbliche Lebensmittel auf den Zimmern aufzubewahren. Dazu gehört auch Brot. Selbst einen Tee dürfen sich die Menschen nicht zubereiten – Wasserkocher sind wegen Brandgefahr nicht zugelassen.

Anfang des Jahres hat der bayerische Flüchtlingsrat eine Online-Petition gestartet. Der Rat fordert, die beiden Einrichtungen zu schließen. Man dürfe Menschen nicht allein aufgrund ihrer Herkunft entlang einer sogenannten Bleibeperspektive selektieren, heißt es in der Petition. Das Asylrecht müsse nach wie vor individuell bleiben. „Auch in den angeblich sicheren Balkanländern gibt es Menschen, die nachweislich verfolgt werden“, sagt Dünnwald. „Wir haben beispielsweise einen Fall, in dem ein Mann und seine Familie mit dem Tode bedroht werden, sollte der Bruder des Mannes vor Gericht aussagen. Der Bruder ist der einzige überlebende Zeuge eines serbischen Massakers während des Kosovo-Krieges.“

Ein weiterer Hauptkritikpunkt der Kirchen und Flüchtlingsorganisationen ist die mangelnde Asylrechtsberatung der Flüchtlinge in den Einrichtungen. Den Menschen werde der Zugang zum Rechtssystem schlichtweg verwehrt. „Die Flüchtlinge wissen nicht, wie in Deutschland ein Asylverfahren abläuft oder welche Rechte sie überhaupt haben“, sagt Tontsch. „Eine entsprechende Beratungsmöglichkeit für Flüchtlinge findet in der Einrichtung de facto nicht statt.“

An den Standorten des Balkanzentrums in Manching und Ingolstadt gibt es nur in der Max-Immelmann-Kaserne und in einer der drei Dependancen eine Beratung. Und auch das nur theoretisch. Die zwei Stellen in der Dependance sind nicht besetzt, und auch in der Kaserne fehlt Personal. In dieser Woche kümmert sich eine Sozialarbeiterin um 1000 Flüchtlinge. „Die Arbeit ist nicht zu bewältigen“, sagt Gabriele Störkle von der Caritas, die hier für die Asylsozialarbeit zuständig ist. Ende 2015 hatte die Regierung überlegt, das Beratungsangebot komplett einzustellen. Diese Pläne sind aber offenbar vom Tisch.

Jetzt sitzen in den ankommenden Bussen Flüchtlinge aus der Ukraine

Abgeschafft wurde jedoch anderes: Als die Kaserne noch Erstaufnahmeeinrichtung war und nicht Balkanzentrum, gab es Deutsch-Kurse, eine Kleiderkammer und Ausflüge, die Ehrenamtliche organisierten. Das gibt es alles nicht mehr. „Die Menschen hier sollen sich in keiner Weise angenommen fühlen“, sagt Störkle. Deshalb gibt es in beiden Zentren für die Flüchtlingskinder auch nur einen abgespeckten Schulunterricht von wenigen Wochenstunden. Unterrichtet werden Fächer wie Mathematik und Naturwissenschaften, gesprochen wird dabei englisch. Deutsch brauchen die Kinder bald eh nicht mehr, lautet die Argumentation. „Zynisch“, findet Störkle diese Regelung. „Viele der Kinder sind monatelang auf Regelschulen gegangen und sprechen recht gut deutsch.“ Dass die Kinder nicht mehr in Regelschulen unterrichtet werden, ist nach Ansicht von Barbara Lochbihler und Volker Beck eine systematische Verletzung der Kinderrechte. Die beiden Grünen-Politiker haben deshalb Beschwerde beim Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen in Genf eingereicht.

Mitte März ist das Asylpaket 2 in Kraft getreten. Die Situation für Flüchtlinge in den Balkanzentren ist seitdem noch schwieriger, denn es gilt die verschärfte Residenzpflicht. Wer das Zentrum unerlaubt verlässt, muss damit rechnen, ausgewiesen zu werden. Kurzfristige Termine beim Anwalt seien für die Flüchtlinge so kaum mehr zu realisieren. Die Verlassenserlaubnis gibt’s nur bei der Ausländerbehörde, und dort auch nur mit Termin.

Aus den Balkanländern kommen nur noch wenige Flüchtlinge nach Deutschland und Bayern. Ob die harte Tour der bayerischen Regierung Wirkung gezeigt hat, oder ob dies einfach eine Konsequenz aus der geschlossenen Balkanroute ist, sei dahingestellt. Sicher ist, dass den Balkanzentren allmählich die Balkan-Flüchtlinge ausgehen. „Wir wollen die Zentren in Zukunft noch intensiver nutzen“, hatte Herrmann vor Kurzem angekündigt. Was er gemeint haben könnte, zeigt sich am Standort Max-Immelmann-Kaserne. In den Bussen, die hier ankommen, sitzen seit vergangener Woche Flüchtlinge aus der Ukraine. (Beatrice Oßberger)

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