Politik

Ludwig Spaenle (CSU) ist seit 2018 Bayerns Antisemitismus-Beauftragter. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

06.08.2021

"Vergleiche mit dem Dritten Reich sind inakzeptabel"

Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU) über Verschwörungstheorien, Corona-Demonstrationen und alarmierende Meinungsumfragen

Sein offizieller Titel ist etwas umständlich: Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Seit Mai 2018 hat Ludwig Spaenle (CSU) dieses Amt inne, das angesichts der derzeitigen Hochkonjunktur von Verschwörungsgeschichten besondere Brisanz hat.

BSZ: Herr Spaenle, sind Sie zufrieden mit Ihrer Bilanz als Antisemitismusbeauftragter?
Ludwig Spaenle: Zentral sind für mich zwei Tätigkeiten: einmal die als Obmann für Jüdinnen und Juden, also als Ansprechpartner. Dieses Angebot durch mich und meine Geschäftsstelle wird gut angenommen. Und einmal von mir als Person, die im Auftrag der bayerischen Staatsregierung Impulse gibt, in Staat und Gesellschaft. Hier konnte ich in den vergangenen gut drei Jahren einiges bewegen, etwa eine niederschwellige Anlaufstelle für Jüdinnen und Juden mit ins Leben rufen, nämlich RIAS Bayern. Ich konnte auch staatliche Einrichtungen und gesellschaftliche Organisationen dazu anregen, sich mit dem Thema Antisemitismus auseinanderzusetzen und sich dagegen zu positionieren.

BSZ: Wie seltsam ist es, für etwas zuständig zu sein, das auf den ersten Blick in Bayern derzeit praktisch nicht vorkommt, aber dennoch andauernd präsent ist?
Spaenle: Antisemitismus hat es leider auch in den vergangenen Jahrzehnten und Jahren immer wieder gegeben. Allerdings tritt er mit seiner Fratze in den jüngsten Jahren immer deutlicher und offener in Erscheinung. Und entsprechend entschieden und differenziert müssen wir gegen Antisemitismus vorgehen. Zum Beispiel hier den rechtsextremen Antisemitismus bekämpfen, dort den islamistischen Antisemitismus zurückdrängen und schließlich Tendenzen entgegentreten, die das Existenzrecht des demokratischen Staates Israel infrage stellen.

BSZ: Der Judenstern mit der Aufschrift „Ungeimpft“ gehört schon fast zum Repertoire der Pandemieleugner. Wie geschockt sind Sie?
Spaenle: Der Judenstern steht für mich für die systematische Ausgrenzung, Deportation und Ermordung von Millionen von Jüdinnen und Juden in der NS-Diktatur. Wer heute seine Situation aufgrund von Schutzmaßnahmen eines demokratischen Staates gegen eine Pandemie mit dem Schicksal der Jüdinnen und Juden im Dritten Reich vergleicht, der missbraucht ein Symbol und entehrt damit die Opfer des Nationalsozialismus. Das dürfen wir nicht dulden.

BSZ: Wie konnte es so weit kommen?
Spaenle: Ich kann das nicht verstehen. Schutz vor der Pandemie und damit verbundene überschaubare Einschränkungen, die der eigenen Gesundheit dienen, mit dem Schicksal von Ausbeutung und Ermordung auch nur in einen Zusammenhang zu bringen, das geht gar nicht.

BSZ: Wenn Bill Gates, der Lieblingspopanz der Covid-19-Verschwörungsgemeinde, als Jude bezeichnet wird, reicht es dann zu sagen: Quatsch, Bill Gates ist kein Jude?
Spaenle: Entscheidend ist, diesen Verschwörungstheorien massiv entgegenzutreten. Leider ist es aber so, dass viele Verschwörungstheoretiker mit rationalen Argumenten und Tatsachen nicht erreicht werden. Wer einen Mantel der Dummheit um sich trägt, den kann man mit Wissen und Bildung kaum erreichen. Hier muss – je nach der Form der Äußerungen – auch das Instrument des Strafrechts bemüht werden.

BSZ: Muss es ständig alarmierende Meinungsumfragen geben, wonach der Antisemitismus wieder zugenommen hat, um das Thema auf den Tisch zu bringen?
Spaenle: Es muss keine alarmierenden Meinungsumfragen zu wachsendem Antisemitismus geben, um die Gefahr dieses Irrsinns von Judenhass und Antisemitismus zu erkennen. Aber die Meinungsumfragen können hilfreich sein, dass die Mehrheit der Bevölkerung ihre Augen öffnet und Jüdinnen und Juden im Kleinen wie im Großen Solidarität zuteil werden lässt.

BSZ: Diejenigen, die sich in Bayern antisemitisch äußern, sind eine Minderheit. Die übergroße Mehrheit sagt zum Thema schlicht nichts. Macht Ihnen diese schweigende Mehrheit Angst?
Spaenle: Antisemitische Strömungen sind mittlerweile bis in die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft vorgedrungen. Das bereitet mir auch ein Stück weit Sorge. Aber vor allem fordert diese Situation mich heraus, mit allen nur möglichen Mitteln dagegen zu diskutieren und anzugehen. Und ich habe mittlerweile erlebt, auch in der Debatte um die Annahme der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance, dass viele Bürgerinnen und Bürger ihre Verantwortung für Jüdinnen und Juden erkannt haben. Und dass sie verinnerlicht haben, dass antisemitisches Handeln auch ein Handeln gegen unsere demokratische Gesellschaft darstellt, das wir nicht hinnehmen dürfen. Eine wehrhafte Demokratie muss handeln.

BSZ: Den Juden wird gern unterstellt, dass sie an den Schalthebeln der Macht sitzen. Wissen Sie, wann zuletzt ein Jude Mitglied der bayerischen Regierung war?
Spaenle: Das weiß ich nicht. Ich frage auch nicht, ob ein Regierungsmitglied Katholik, Protestant, Jude oder Muslim ist. Wichtig ist, dass im Kabinett verfassungstreue Frauen und Männer wirken, die die Werte unserer Verfassungsmütter und -väter auch heute aktiv umsetzen.

BSZ: Wie wichtig ist Wissen im Kampf gegen den Antisemitismus?
Spaenle: Sehr wichtig. Ich konnte Impulse für eine umfassende Bildungsarbeit gegen Antisemitismus – von der Schule bis zur außerschulischen Bildung – setzen. Dazu habe ich unter anderem eine Publikation „Wissen gegen Judenhass“ und gemeinsam mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit ein Themenheft vorgelegt. Erst jüngst habe ich zudem konkrete Vorschläge für eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung des Antisemitismus in Staat und Gesellschaft gemacht.
(Interview: Florian Sendtner)

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