Politik

Hände lassen sich auch mit Wasser und Seife reinigen. Desinfektionsmittel belasten die Umwelt, und vor allem: Sie nützen kaum etwas, um das Coronavirus im alltag zu bekämpfen. (Foto: dpa/Karmann)

05.01.2023

Verseuchte Waldböden wegen übertriebener Hygiene

Durch den Desinfektionswahn können sich multiresistente Keime entwickeln – Fachleute sind alarmiert, die Politik zögert

Desinfektionsmittelspender, wo man geht und steht: In fast jedem Geschäft, in Sportstätten oder Behörden wird noch immer eine Handdesinfektion angeboten – und fast alle machen davon Gebrauch. Man will ja nicht als Hygienemuffel dastehen, schließlich schützen saubere Hände vor Krankheitskeimen. Richtig?

Nicht ganz. Denn erstens: Sehr lange dürften Hände nicht aseptisch bleiben nach einer Desinfektion. Dass nämlich sämtliche Waren, die man beim Shoppen berührt, keimfrei sind, ist unrealistisch. Das Gleiche gilt für Türgriffe, Geldbeutel, Kleidung oder Handy. Letzteres ist übrigens einer der Alltagsgegenstände, die am stärksten mit Keimen belastet sind.

Vor allem aber ist es so, dass das Coronavirus mit der Luft übertragen wird – und „nur in den wenigsten Fällen über Oberflächen“, sagt Ulrike Protzer von der Technischen Universität München. Die Virologin gehört dem Corona-Expertenrat der bayerischen Staatsregierung an. Wer Hände oder Oberflächen säubern will, sollte laut Protzer auf Seife und normale Reiniger setzen: „Die meisten Krankheitserreger werden sehr effizient durch handelsübliche Reinigungsmittel unschädlich gemacht, die deutlich besser verträglich und weniger umweltschädlich sind.“

Desinfektionsmittelrückstände im Wald, in Weinbergen und Ackerböden  - die Grünen warnen trotzdem davor, Gesundheits- und Hygieneschutz gegeneinander auszuspielen

Tatsächlich hat ein Forschungsteam der Universität Gießen jetzt bedenkliche Wirkstoffe aus Desinfektionsmitteln in Bodenproben entdeckt, auf Ackerflächen, in Weinbergen und sogar im Wald. Darüber berichtete vor Kurzem die Welt. Erstaunlicherweise zeigten sich vor allem FDP, Linke, Union und AfD betroffen, während ausgerechnet die Grünen vor Panik warnen.

Zu viele Desinfektionsmittel belasten die Umwelt, räumt die bayerische Grünen-Landtagsabgeordnete Christina Haubrich ein – aber „nicht erst seit Corona“. Sie plädiert für mehr Forschung. Den Grünen sei jedoch wichtig: Hygienemaßnahmen und Umweltschutz „sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden“. Ähnlich luftig formuliert es eine Sprecherin des bayerischen Gesundheitsministeriums: Desinfektionsmittel müssten „richtig ausgewählt und eingesetzt werden.“ Besorgnis klingt anders.

Fachleute wie der Chemiker Michael Braungart fordern dagegen ein sofortiges Gegensteuern. Weil sich im Zuge des Desinfektionswahns multiresistente Keime entwickeln können. Genauso wie durch zu häufigen Einsatz von Antibiotika. Das heißt: Antibiotika können dann nicht mehr wirken. Daneben können die in Desinfektionsmitteln enthaltenen Stoffe laut Braungart Nerven- oder Leberschäden verursachen. Der Ökoforscher lehrt an mehreren Universitäten und leitet das Hamburger Umweltinstitut. Schon früh beklagte er den seit der Pandemie verbreiteten „Mumpitz“, Alltagsgegenstände wie etwa Hotelkugelschreiber zu desinfizieren.

Virologin Protzer bringt es so auf den Punkt: Ein „vorsichtigerer Einsatz“ von Desinfektionsmitteln und stattdessen „die Verwendung verträglicher handelsüblicher Reinigungsmittel“ sei dringend nötig. „Ich habe das seit Beginn der Pandemie immer wieder betont.“ Warum das auf politischer Ebene kein Thema ist? Protzer ist ratlos: „Das kann ich Ihnen auch nicht sagen.“ (Waltraud Taschner)

 

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