Politik

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und sein Stellvertreter von den Freien Wählern, Hubert Aiwanger (rechts), sind mit ihrem Kabinett am 16. Februar 100 Tage im Amt. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

12.02.2024

Viel Sand im Getriebe

100 Tage neue Staatsregierung

Für diese Erkenntnis brauchte es keine 100 Tage: Seit dem Start der neuen Regierung ist das schlechte Verhältnis zwischen Ministerpräsident Markus Söder und seinem Vize Hubert Aiwanger nicht besser geworden. Nach wie vor sprechen der CSU-Vorsitzende und der Chef der Freien Wähler nur das Notwendigste miteinander, ist aus den Umfeldern der ungleichen Alpha-Tiere zu hören. "Die zwischenzeitliche Lockerheit ist nicht mehr da", sagt ein Kabinettsmitglied. Er skizziert damit auch das generelle Miteinander in der selbst ernannten "Bayern-Koalition", die am Freitag 100 Tage im Amt ist (16. Februar).

Rückblick: Auch in der vergangenen Legislatur hatte es wiederholt teils heftig zwischen den Koalitionären gekracht. Insbesondere in der Corona-Zeit. Doch trotz aller Rivalitäten, Charakterunterschiede oder Meinungsverschiedenheiten betonten damals beide Seiten noch, dass es menschlich gut laufe, in der Koalition. Zudem gab es von Söder mit Blick auf das Ansehen der Koalition den Wunsch, bei allem Ärger keinen Streit loszutreten.

Und genau hier zeigen sich große Unterschiede im neuen Mit- und Gegeneinander - die Konfrontation auch auf offener Bühne gehört in der neuen Regierung ebenso zum guten Ton wie die Erinnerung an die "gemeinsame demokratische Überzeugung" in der Präambel des Koalitionsvertrages. Die Koalition sei "keine Liebesheirat", hatte Söder selbst die Koalition umschrieben. Es sei "keine Kuschelkoalition", aber es gebe ein Vertrauen.

Vertrauen wird erwartet

Nun werden Liebe oder Kuscheln nicht von einer Regierung erwartet. Vertrauen schon. Seit dem 8. November ist das Kabinett im Amt. So gern sich Söder, Aiwanger und Co als Gegenentwurf zur Ampel im Bund präsentieren - in der Praxis gibt es wohl in München mehr Parallelen zu dem viel kritisierten Umgang in Berlin als den Bayern lieb ist.

Anders als bei der Ampel sind es zwar keine großen inhaltlichen Differenzen, die die Zusammenarbeit von CSU und Freien Wählern erschweren. Dies zeigte sich etwa bei der Aufstellung des Doppelhaushalts 2024/2025. Trotz negativer Steuerprognosen und dank (noch) üppiger Rücklagen einigten sich beide Seiten auf ein 149 Milliarden Euro Paket.

Gerade bei kleinen Themen ist aber in den ersten 100 Tagen deutlich mehr Sand im Getriebe als früher. Immer wieder werden Streitereien laut, Spannungen und Gereiztheit nehmen zu. Jüngste Beispiele sind ein Machtwort der CSU in der Debatte um Streichungen beim Religionsunterricht oder die beleidigte Reaktion von Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl auf eine CSU-Resolution: "Dass die CSU unsere gemeinsame Agenda für den ländlichen Raum jetzt als eigene Ideen verkauft, ist offensichtlich ein Reflex darauf, in der Fläche nicht mehr als Kümmerer wahrgenommen zu werden."

Aiwanger als Grund für die Missstimmung?

Wer konkreter nach den Gründen der Missstimmung sucht, der hört immer wieder den Namen Aiwanger - nicht nur aus der CSU. Auch dessen Parteifreunde wissen, dass der Niederbayer die CSU mit seiner Art vor völlig neue Herausforderungen stellt. "Aiwanger macht den neuen Franz Josef Strauß", umschrieb es der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Ramsauer. Die "Augsburger Allgemeine" bezeichnete ihn jüngst als "Stachel" in der CSU und verwies auf dessen "schrittweise Radikalisierung".

Umgekehrt sind bei den Freien Wählern viele genervt, dass die CSU unter Fraktionschef Klaus Holetschek deutlich aktiver geworden ist und versucht, Themen für sich alleine zu reklamieren. Die CSU will ihr Profil schärfen, auch in Abgrenzung zu den Freien Wählern.
Doch zurück zu Aiwanger: In der Tat lässt sich ein Wandel konstatieren. Ausgangspunkt war die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt im vergangenen Sommer, das bei Aiwanger in dessen Schulzeit gefunden worden war. Dieser witterte eine Kampagne, am Ende konnten die Freien Wähler aber genau deswegen bei der Wahl ein Rekordergebnis einfahren. In der CSU markiert die Affäre einen Wendepunkt: Lachten sie hier gern früher laut und leise über "Hubsis" ganz eigene Art, unterschätzt ihn seither garantiert niemand mehr.

Bekanntheitsgrad verbessern

Fakt ist, die CSU wie Söder haben bisher noch kein echtes Mittel gefunden, um Aiwanger unter Kontrolle zu halten. Bestes Beispiel waren die Bauern-Demos. Aiwanger - fachlich gar nicht zuständig - besuchte zig Veranstaltungen und präsentierte sich als Mann mit Hut, dem die Bauern vertrauen. Wenn er durfte, schimpfte er auf die Ampel und versuchte so, den Bekanntheitsgrad seiner Partei zu verbessern - auch mit Blick auf die Europawahl.

Wie schon bei einer Demo gegen das Heizungsgesetz der Ampel im vergangenen Jahr belegen Aiwangers Demo-Auftritte auch die Verschiebung seiner politischen Koordinaten nach rechts. Sprachlich kommt er damit bei den Anhängern fernab der politischen Mitte gut an, Vorwürfe, er würde am "rechten Rand fischen" perlen dagegen bisher an ihm ab.    

In der CSU sorgte das nicht nur für Augenrollen, sondern auch für hektische Betriebsamkeit, denn die Kritik an Aiwanger droht auch auf sie überzuspringen. Seither hagelt es aus der CSU aber auch von Wirtschaftsverbänden Kritik an Aiwangers Arbeit als Wirtschaftsminister. Das Fass zum Überlaufen brachte zuletzt ein Bürgerentscheid gegen das Windkraft-Prestigeprojekt der Staatsregierung in der Gegend um Altötting - während Aiwanger als zuständiger Minister auf Bauern-Demos gegen die Ampel wetterte. Nun sei die Stimmung in der Koalition noch eisiger, heißt es. Schlechte Aussichten für die nächsten 100 Tage.
(Marco Hadem, Michael Donhauser und Christoph Trost, dpa)

 

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