Politik

Wenn Politiker*innen nur noch über Urlaube oder Gartenarbeit postet, fragen sich viele Menschen zu Recht: Wann will er oder sie denn noch das Land regieren? (Foto: dpa)

11.04.2024

"Viele biedern sich mit vermeintlich lustigen Videos an"

Seit dieser Woche ist auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Tiktok – warum sich immer mehr Politiker*innen in sozialen Netzwerken inszenieren

BSZ: Herr Hoffjann, wie bewerten Sie es, wenn Politiker*innen Tiere oder Essen anstatt politischer Inhalte posten?
Olaf Hoffjann: Die Inszenierung des Privaten gab es in der Politik schon immer. Sie befriedigt einerseits unsere Neugierde am Leben der Politprominenz. Andererseits wollen wir gerade bei Spitzenkandidatinnen und -kandidaten wissen, was für ein Mensch sich hinter der Politiker-Fassade verbirgt. Wie lebt er? Welche Hobbies hat sie? Wer ist ihr Partner beziehungsweise seine Partnerin? Wo verbringt er seinen Urlaub? Das ist bei Bewerbungen im Berufsleben im Übrigen gar nicht so viel anders: Dort nennen viele ja auch ihre Familiensituation und ein ungewöhnliches Hobby, um die eigene Persönlichkeit herauszustellen. All das ist kein Problem, solange es ein Nebenaspekt bleibt. Wenn ein Politiker hingegen nur noch über seine Urlaube, die Gartenarbeit und seine Kinobesuche schreiben würde, würden sich die Menschen irgendwann doch fragen, wann er denn noch das Land regieren will.

BSZ: Warum machen sie das überhaupt?
Hoffjann: Diese Inszenierung des Privaten hat durch die sozialen Medien weiter zugenommen, weil Instagram, TikTok und Co. am Besten über Personen und Emotionen funktionieren. Daher wird es für Politikerinnen und Politiker immer schwerer, sich dieser Erwartung vollkommen zu entziehen. Angela Merkel und Olaf Scholz sind hingegen Beispiele für einen Politikertypus, der solch private Einblicke weitgehend verwehrt.

BSZ: Was ist das Erfolgsrezept auf Social-Media?
Hoffjann: Die zehn goldenen Regeln gibt es nicht. Die einen posten jeden selbst gebackenen Kuchen, andere Lieblingssongs, die zum politischen Tagesgeschehen passen, Dritte Essensfotos. Am Ende gilt: Die Themen, vor allem aber die Tonalität müssen zur Rolle als Politiker und zur aktuellen Situation passen. Ein Markus Söder, der sich stets als Polit-Macher präsentiert, würde viele verstören, wenn er sich Zuhause beim Abwasch inszenieren würde. Und der Verteidigungsminister Scharping musste zurücktreten, als er sich im Pool auf Mallorca mit seiner neuen Partnerin in der Bunten zeigte, während Bundeswehrsoldaten sich auf einen Einsatz auf dem Balkan vorbereiteten.

BSZ: Sind die Menschen nur neugierig auf den Privatmensch oder sind Follower auch potenzielle Wähler*innen?
Hoffjann: Bei einer Wahlentscheidung kommen viele Faktoren zusammen und sind kaum voneinander zu trennen. Ein wichtiger Faktor ist ohne Zweifel die Person des Spitzenkandidaten. Und dabei sind nicht nur die wahrgenommene Kompetenz, Durchsetzungsstärke und Integrität wichtig, sondern auch affektive Aspekte wie Sympathie, Attraktivität und Authentizität. Ohne diese Aspekte ist der Erfolg von Politikern wie John F. Kennedy und Barack Obama nicht zu verstehen.

"Viele demokratische Parteien sind in den sozialen Netzwerken noch sehr mut- und ambitionslos"

BSZ: Wut und reißerische Überschriften funktionieren in sozialen Netzwerken immer. Wie müssen die anderen Parteien auf den Erfolg der AfD in reagieren?
Hoffjann: Extreme Zuspitzung, Polarisierung, Desinformation, Ausgrenzung und Sensationalismus sind einige Zutaten der AfD-Inhalte in den sozialen Medien. Da können und sollten andere Parteien nicht mithalten wollen. Aber besser machen könnten sie es schon. Man kann auch für Positionen der Mitte klarer, verständlicher und emotionaler werben. Da sind viele demokratische Parteien und Politiker in den sozialen Medien noch sehr mutlos und ambitionslos. Das gilt gerade für eine Plattform wie TikTok. Während die AfD dort ihre Positionen schonungs- und schamlos, gleichwohl klar vertritt, biedern sich manche Politiker der Mitte mit vermeintlich lustigen Videos an und vergessen dabei die politische Botschaft. Ich hoffe, dass das erste TikTok-Video des Bundeskanzlers in dieser Woche hier noch eine Ausnahme war. (Interview: David Lohmann)
 

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