Politik

Grundschüler beim Essen: Oft gibt es nur eine einfache Mittagsbetreuung – mit dem Konzept Ganztagsschule hat das wenig zu tun. (Foto: dpa/Schutt)

06.12.2019

"Völlig utopisch, dass wir das stemmen"

Schulleiterin Andrea Zran über den geplanten Rechtsanspruch auf Ganztag in Grundschulen und ihre eigenen Erfahrungen mit dieser Schulform

2025 sollen Eltern das Recht bekommen, ihre Kinder in der Schule auch nachmittags betreuen zu lassen. Andrea Zran, Leiterin der St.-Konrad-Grundschule in Haar, sieht das äußerst kritisch. Denn dafür fehle den Schulen Personal und Platz. Sie betont: Der gebundene Ganztag funktioniere an ihrer Schule nur deshalb, weil die Gemeinde sehr viel Geld zuschießt.

BSZ: Frau Zran, ab 2025 kommt der Rechtsanspruch auf Ganztag in den Grundschulen. Aus Ihrer Sicht eine gute Idee?
Andrea Zran: Es wäre wichtig, dass der Ganztag endlich flächendeckend angeboten wird. Und zwar der gebundene Ganztag. Es ist aber absolut utopisch, bis 2025 einen Rechtsanspruch zu stemmen. Hier passiert etwas, was leider allzu oft geschieht. Man setzt einen Termin fest und denkt erst dann darüber nach, ob es funktionieren kann. Kann es nicht, weil die Strukturen nicht passen. Es droht deshalb ein Flickwerk, das uns jede Menge Probleme bereiten wird. Das fängt bei den Schulbauten an. Für den Ganztag benötigen Schulen viel mehr Platz und Raumvielfalt

BSZ:
Wofür zum Beispiel?
Zran: Wichtig ist zum Beispiel, dass man, gerade in den Übungszeiten, Klassen teilen und kleinere Gruppen bilden kann. Sich von acht Uhr bis 16 oder 17 Uhr permanent in einer so großen Gruppe wie einem Klassenverband aufzuhalten, ist ein Mega-stress. Das kann kein Kind aushalten. Rückzugsorte für die Kinder sind aber in Schulgebäuden in der Regel nicht vorgesehen. Und nicht jede Kommune kann so viel Geld in den Ganztag und damit auch in notwendige Umbaumaßnahmen stecken, wie es zum Glück bei uns der Fall war.

BSZ: An Ihrer Schule gibt es seit einigen Jahren schon Ganztagsklassen. Wie kam es dazu?
Zran: Der Wunsch kam von der Gemeinde, auch weil der stark gewachsene Bedarf an Nachmittagsbetreuung in Haar kaum mehr gedeckt werden konnte. Anfangs waren wir sehr skeptisch. Von der Staatsregierung gab es anfänglich nur zwölf Lehrerwochenstunden und jährlich 6000 Euro zusätzlich für eine Klasse im gebundenen Ganztag. Das reicht bei Weitem nicht, um den Kindern gerecht werden zu können. Zum Glück aber unterstützt uns die Gemeinde. Ohne diese Mega-Finanzspritze ginge es nicht.

BSZ: Sie sprechen vom gebundenen Ganztag – was ist das und wie sieht er an Ihrer Schule aus?
Zran: Im gebundenen Ganztag gibt es einen rhythmisierten Tagesablauf, soweit das die Vorgabe von Fachstunden ermöglicht – das heißt, über den ganzen Tag verteilt wechseln sich Zeiten des Lernens, Übens und Entspannens immer wieder ab. Die verpflichtende Unterrichtszeit geht bei uns bis 16 Uhr, manche Kinder bleiben bis 17 Uhr. Und jede Klasse hat zusätzlich zur Lehrkraft einen Pädagogen. Im offenen Ganztag dagegen haben die Kinder wie in den Regelklassen am Vormittag Unterricht. Am Nachmittag stehen Freizeitaktivitäten und Hausaufgabenbetreuung an.

"Offener Ganztag ist eine schlechte Alternative zum Hort"

BSZ: Der offene Ganztag ist also nicht viel mehr als eine Alternative zum Hort, nur dass die Betreuung eben auch im Schulhaus stattfindet?
Zran: Ja, in meinen Augen aber ist der offene Ganztag eine schlechte Alternative zum Hort.

BSZ: Warum?
Zran: Im Hort gibt es Fachpersonal und feste Betreuer für die jeweiligen Gruppen, die nach einem pädagogischen Konzept arbeiten. Im offenen Ganztag dagegen haben es die Kinder mit wechselnden Betreuungspersonen zu tun und mit aneinandergereihten unterschiedlichen Freizeitangeboten. Das ist, sehr überspitzt gesagt, oft nicht viel mehr als eine bloße Beaufsichtigung bei unterschiedlichen Aktivitäten, je nach Ausbildung der Gruppenleiter. Kindern im Grundschulalter aber wird das nicht gerecht, denn sie benötigen unbedingt verlässliche Stützfaktoren. Unsere Ganztagsschülerinnen und -schüler haben deshalb feste Klassenpädagogen, die ab 11 Uhr gemeinsam mit der Lehrkraft die Kinder betreuen und soziale Themen in gemeinsamen Gesprächen oder Projekten je nach Bedarf der Gruppe aufgreifen und bearbeiten. Das pädagogische Fachpersonal kommt über den Kreisjugendring München-Land, mit dem eine Kooperation besteht.

BSZ: Wo sehen Sie noch Probleme mit Blick auf den Rechtsanspruch?
Zran: Ein Riesenthema ist auch das Personal. Der gebundene Ganztag benötigt unbedingt multiprofessionelle Teams. Besonders inklusive Herausforderungen bedürfen auch im Ganztag sachkompetenter Unterstützung in Form von Sonderpädagogen, Beratungsfachkräften, Schulpsychologen und Schulbegleitern. Wie will man aber einen Rechtsanspruch stemmen, wenn man schon stolz darauf ist, wenn vor jeder Klasse eine Lehrkraft steht?

BSZ: Macht sich der Lehrermangel an Ihrer Schule bemerkbar?
Zran: Toi, toi, toi: In diesem Schuljahr sieht es bei uns gut aus. Aber egal, wohin ich schaue, es wird immer knapper. Und krank darf keiner werden, denn die mobilen Reserven sind bereits voll im Einsatz. Aber auch wir hatten schon Phasen, in denen Leute vor Klassen standen, die noch nicht mal das erste Staatsexamen hatten. Oder welche, die vom Gymnasium kamen – mit der Fächerkombination Religion und Latein. Wenn man auch noch deren Ausbildung an der Schule stemmen muss, wird es echt hart. Aber es fehlt ja nicht nur an Lehrern, sondern auch an Pädagogen. Wir hatten selbst anfangs große Probleme, die richtigen Leute zu finden. Nicht jeder, der in einem Waldkindergarten gearbeitet hat, lässt sich auch in eine Schulstruktur einbinden.

"Schule wird immer öfter zum Familienersatz"

BSZ: Wie stark werden Ganztagsplätze bei Ihnen nachgefragt?
Zran: Die Nachfrage schwankt von Jahr zu Jahr. Zuletzt war bei den Eltern eher eine gewisse Flexibilität bei den Betreuungszeiten gefragt. Die können wir im gebundenen Ganztag aber nicht bieten, da der Unterricht bis auf Freitag zwingend bis 16 Uhr geht. Für das nächste Jahr scheint die Nachfrage nach unseren Ganztagsplätzen wieder groß zu sein.

BSZ:
Mit dem Ganztag ist oftmals auch die Hoffnung verknüpft, dass soziale Unterschiede abgebaut werden können. Wie ist Ihre Bilanz?
Zran: Mit einer entsprechenden Ausstattung und einem entsprechend qualifizierten Personal kann es der Ganztag etwas auffangen, wenn ein Elternhaus nicht so große Möglichkeiten hat, seine Kinder zu fördern. Wir nehmen auch gerne Kinder, die einen Sprachförderbedarf haben, da sie durch das längere Verbleiben in der Schule schneller ihre Deutschkenntnisse verbessern können. In den Lern- und Übungszeiten im Ganztag können die Kinder einerseits auch mal selbst mitbestimmen, in welcher Reihenfolge oder ob sie alleine oder mit einem Partner etwas machen möchten. Sie können aber auch mittels angepasster Wochenpläne in den Bereichen nochmal besonders üben, wo der Bedarf besteht. Allerdings besteht hier auch die Gefahr, dass immer mehr Verantwortung auf die Schulen abgewälzt wird.

BSZ: Inwiefern?
Zran: Viele Eltern setzen sich nach 17 Uhr zu Hause nicht mehr hin, um mit ihren dann auch müden Kindern zu arbeiten. Alles, was mit Lernen zu tun hat, sollte nach ihren Wünschen bereits in der Schule erledigt worden sein. So funktioniert es aber nicht. Zum Beispiel ist es beim Leselernprozess unheimlich wichtig, gemeinsam mit den Kindern zu lesen. Wir schaffen es aber auch im Ganztag nicht, uns für jedes einzelne Kind die 15 Minuten dafür Zeit zu nehmen. Und der Ganztag stößt ebenfalls an seine Grenzen, wenn er zum Familienersatz wird. Und das wird er immer öfter, weil die Stabilität in den Familien abnimmt. Wir müssen als Schule auffangen, wenn Kinder zu Hause nicht mehr das Nest haben, das sie eigentlich bräuchten. Auch deshalb ist die Qualität des Personals so wichtig.
(Interview: Angelika Kahl)

Foto (privat): Andrea Zran (49) ist seit 2007 Konrektorin und seit 2012 Rektorin der Grundschule Haar an der St. Konrad-Straße.

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