Politik

Bei den Stichwahlen zu den Kommunalwahlen hat die Staatsregierung komplett auf Briefwahl umgestellt. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

01.04.2020

Wählen ohne Wahllokale

Briefwahl als Normalfall in den Kommunen? Bayern bleibt skeptisch

Seit Jahrzehnten machen sich Demokratieforscher Sorgen um die sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland. Ausgerechnet die kommunale Stichwahl in Bayern, die wegen der Corona-Krise unter besonders schwierigen Bedingungen stattfinden musste, könnte einen Ansatz im Kampf gegen Wahlmüdigkeit aufgezeigt haben. Denn obwohl es diesmal keinen Gang zur Urne gab, sondern die Menschen eine reine Briefwahl akzeptieren mussten, stieg die Beteiligung in vielen Gemeinden im Vergleich zum ersten Wahlgang an. Manche fordern nun, künftig immer automatisch Briefwahlunterlagen an alle Bürger zu verschicken. Das bayerische Innenministerium sieht dies skeptisch.

Michael Weigl, Politikwissenschaftler der Universität Passau, kann sich vorstellen, dass es nun eine Diskussion gibt, ob die generelle Zusendung der Wahlunterlagen auch nach der Pandemie zum Normalfall wird. "Von der demokratischen Idee spricht nichts dagegen, den Wahlakt so leicht wie möglich zu machen", sagt er. "Man hat gesehen, es hat technisch funktioniert und der Wähler kann damit umgehen."

Die Fachleute der Bertelsmann Stiftung überrascht die gestiegene Beteiligung bei dieser besonderen Kommunalwahl überhaupt nicht. Die Stiftung hatte schon vor Jahren vorgeschlagen, automatisch den Bürgern die Unterlagen ins Haus zu liefern. Es gebe Erfahrungen aus den USA, dass mit dieser Methode die Wahlbeteiligung in den Kommunen signifikant gesteigert werden könne, sagt Robert Vehrkamp, Demokratieexperte der Stiftung. "Der Effekt auf die Wahlbeteiligung ist eigentlich ziemlich unstrittig."

Innenminister Herrmann möchte nicht, dass Briefwahl Standard wird

Vehrkamp erklärt, dass die Beteiligung bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen sich deutlich unterscheide, weil die Bürger die Bedeutung der Abstimmungen unterschiedlich einschätzten. "Es gibt schon ein Ranking und die subjektiv gefühlte Wahlpflicht ist bei der Bundestagswahl vergleichsweise am größten." Gerade für die Wähler, die nicht bereit seien, für einen Urnengang in ihrer Stadt die Wochenendplanung zu ändern, seien die ungefragt zugesandten Wahlunterlagen "eine echte Chance". Vehrkamp hofft, dass dies nun auch bei den für 13. September 2020 geplanten Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen diskutiert wird.

Der Vizepräsident des bayerischen Landtags, Markus Rinderspacher (SPD), hatte sich bereits vor der Auszählung für eine komplette Umstellung auf Briefwahlen ausgesprochen. "Sie könnte künftig in Bayern und Deutschland die Regel sein", sagte er dem "Münchner Merkur". Rinderspacher findet, dass dann die meisten Wahllokale auch geschlossen bleiben könnten.

Das Innenministerium in München betont hingegen die besondere Situation in der Corona-Krise und möchte die Methode nicht zum Standard werden lassen. Das Ministerium verweist auf entsprechende Grundsatzentscheidungen in Karlsruhe. Sprecherin Sandra Schließlberger sagt, die generelle unaufgeforderte Zusendung von Briefwahlunterlagen an alle könnte "das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Leitbild der Urnenwahl" unterlaufen. Dies wäre dann mit einem erheblichen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden.

Auch Politikwissenschaftler Weigl ist dagegen, künftig nur noch per Post abzustimmen. Das "duale System" sollte auf jeden Fall bestehen bleiben. "Wahllokale sollen und müssen immer geöffnet sein", betont er. Weigl verweist auch darauf, dass Briefwahlen leichter manipuliert werden können, wenn beispielsweise Eheleute für ihren Partner mit abstimmen: "Sie wissen im Grunde nicht, wer wählt."
Briefwahl-Befürworter Vehrkamp sieht dieses Problem auch. Es sei aber möglich, die Briefwahl noch sicherer als bisher zu machen. Der Bürger könnte beispielsweise seine Personalausweisnummer auf den Unterlagen notieren. Dies könnte das Wahlamt dann abgleichen.

Die Kommunalpolitische Vereinigung von CDU und CSU sieht die Briefwahl ebenfalls als Mittel zur Steigerung der Wahlbeteiligung. "Um die Barrieren weiter abzubauen, sollten in Zukunft auch Online-Wahlen möglich sein", meint der Vorsitzende der Vereinigung, der Bundestagsabgeordnete Christian Haase.

Doch Internetwahlen bleiben wohl noch für einige Zeit Zukunftsmusik. Das Innenministerium in München verweist auf offene Fragen und Risiken. Bei solch einer Wahl sei unklar, ob einerseits die geforderte Transparenz gewährleistet werden könne und andererseits das Wahlgeheimnis gewahrt werde. Zudem drohten Hacker-Angriffe, betont die Ministeriumssprecherin. Derzeit könne kein technisches Verfahren die Anforderungen erfüllen. Auch Weigl hat solche Sicherheitsbedenken beim sogenannten E-Voting: "Die Gefahr ist da, dass man herausfinden kann, wer hat was gewählt."
(Ulf Vogler, dpa)

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