Hat er sich jetzt wirklich für den Bau ausgesprochen? Oder das Thema erst einmal geschickt beerdigt? Horst Seehofers Plädoyer für einen neuen Bürgerentscheid in München über die geplante dritte Start- und Landebahn am Münchner Flughafen stößt auf geteilte Reaktionen.
Die Lufthansa „begrüßt die positive Äußerung des Ministerpräsidenten“. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) freut sich in einer ersten Reaktion „über dieses klare Bekenntnis. Der Weg für den Bau muss jetzt zügig bereitet werden.“ Schließlich schaffe die dritte Startbahn „zusätzliche Wertschöpfung von 850 Millionen Euro im Jahr und mehr als 15 300 weitere Arbeitsplätze“, so vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Peter Driessen, IHK-Hauptgeschäftsführer in München und Oberbayern, gibt sich zugeknöpfter: „Was die Staatsregierung für unentbehrlich hält, sollte sie politisch durchsetzen. Juristisch ist alles geklärt. Für die dritte Startbahn gibt es Baurecht.
Aus Sicht der Wirtschaft ist es falsch, wenn Seehofer die Verantwortung an die Bürger zurückgibt.“ Driessen findet es zudem „absurd“, dass wenige Münchner erneut über ein Projekt von gesamtbayerischer oder sogar nationaler Bedeutung abstimmen. „Die Bürger Münchens haben ihr Stimmrecht allein dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass die Stadt München über Anteile an der Flughafengesellschaft verfügt.“
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) fühlt sich von Seehofer bestätigt. Die dritte Startbahn könne nur kommen, „wenn sich die Münchnerinnen und Münchner in einem neuen Bürgerentscheid dafür entscheiden“. Ob und wann es einen solchen neuen Bürgerentscheid geben wird, entscheidet der Stadtrat. Bei der Stadtrats-CSU gibt man sich erstaunlich zurückhaltend: „Das weitere Vorgehen muss nun stadtintern besprochen werden.“ Die Stadtrats-SPD hingegen bietet Seehofer die Stirn und „sieht derzeit keine Notwendigkeit für ein Ratsbegehren zu einem neuen Bürgerentscheid“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Alexander Reissl. Es fehle der Nachweis, dass die Starts und Landungen über einen längeren Zeitraum deutlich anstiegen.
Grüne: Zuwachs bei den Flugbewegungen ist "künstlich verursacht"
In dieses Horn stößt auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Christian Magerl, der seit Jahren gegen die dritte Startbahn kämpft: „Ein spärliches Wachstum in einem Zeitraum von sechs Monaten ist keine Rechtfertigung, erneut abstimmen zu lassen.“ Zudem sei das Mehr an Flugbewegungen, das Seehofer ins Feld führt, „künstlich verursacht“. Magerls Landtagskollege Benno Zierer von den Freien Wählern verweist auf „Billig-Airlines wie die niederländische Transavia, die sich in München angesiedelt haben und sich einen Konkurrenzkampf mit der Lufthansa liefern“. Zusätzliche Verbindungen auf Strecken, die „bereits acht Mal täglich aus München angeflogen werden“, generierten kein zusätzliches Wachstum, sondern kannibalisierten sich nur gegenseitig.
Die Flughafengesellschaft verweist auf ihr bestehendes, durch alle Instanzen erkämpftes Baurecht. Der Ball liege aber derzeit bei den Gesellschaftern und müsse „rein auf politischer Ebene entschieden werden“. Gesellschafter sind der Freistaat Bayern mit 51 Prozent, die Bundesrepublik Deutschland mit 26 Prozent und die Landeshauptstadt München mit 23 Prozent. Die Entscheidung über den Bau einer neuen Startbahn müssen die Gesellschafter einstimmig treffen. München aber fühlt sich politisch an einen Bürgerentscheid vom Juni 2012 gebunden, der gegen den Bau ausfiel. Rechtlich bindend ist er mittlerweile nicht mehr.
Selbst wenn es zu einem neuen Bürgerentscheid käme: Der Ausgang ist höchst ungewiss
Solange sich die Stadtratsmehrheit aber nicht mindestens auf einen neuen Bürgerentscheid einigt, bleibt der (angeblich rund siebenjährige) Bau der dritten Startbahn weiter in der Schublade. Und selbst wenn es zu einem erneuten Bürgerentscheid käme: Sein Ausgang ist ungewiss. Generell mobilisieren solche Abstimmungen Gegner von Infrastrukturprojekten stärker als Befürworter. Immer weiteres Wachstum ist vielen Bürgern in der florierenden Landeshauptstadt zudem nicht leicht vermittelbar.
Seehofer ist also vor der Landtagswahl zweierlei gelungen: Einen heftigen Streit mit seiner Landtagsfraktion hat er abgeräumt und in den Münchner Stadtrat verschoben – und damit den Bau der Startbahn bis auf Weiteres auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verlegt. (Jan Dermietzel)
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