Politik

Deutschland hat die strengsten Coronaregeln welt weit und erklärt sie zudem schlecht. Warum? (Foto: Getty Images/Andriy Onufriyenko)

28.01.2022

Was niemand versteht

Pandemiemaßnahmen besser erklären? Ja, bitte!

Sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht: Die Politik muss Maßnahmen in der Pandemie besser erklären. Das fordern auch politisch Verantwortliche. Viel geändert hat sich trotzdem nicht. Konfusion allerorten – warum gilt was wo? Eine Auswahl.

Sperrstunde: Obwohl die Gäste ohne Maske am Platz sitzen und ohne Abstand, gilt für Bayerns Gastronomie nicht wie bei Kulturveranstaltungen die 2G-plus-Regel sowie eine Kapazitätsgrenze. Dafür aber eine Sperrstunde. Als wäre das Coronavirus im Wirtshaus ungefährlicher als im Theater, jedenfalls bis 22 Uhr. Was diese Maßnahme bezwecken soll: höchst unklar. Vielleicht steht hinter dieser Regelung aber auch einfach Symbolpolitik. Eine, die sich übrigens viele andere Bundesländer sparen. Denn wenn ein Wirtshaus vor 22 Uhr coronakonform ist, ist es das nach 22 Uhr auch noch.

Verbotsintensität: Laut Covid-Stringency-Index der Universität Oxford hat Deutschland die strengsten Maßnahmen gegen die Pandemie weltweit. Andere Länder haben trotz Rekorden bei den Neuinfektionen einen anderen Weg eingeschlagen. Spanien etwa will Corona wie eine Grippe einstufen. Die EU-App CovPass? Selbst in Touristengebieten weitgehend unbekannt. In England braucht es weder Impfnachweis noch Masken. In Frankreich öffnen die Diskotheken, auch Dänemark lockert. Selbst das früher restriktive Israel öffnet die Grenzen und lässt Maßnahmen auslaufen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagt: geht hier alles nicht – wegen der niedrigen Impfquote. Tatsächlich sind bei uns 84 Prozent der über 18-Jährigen und 88 Prozent der über 60-Jährigen geimpft – davon 73 Prozent geboostert. Wobei die Quoten laut Bundesgesundheitsministerium wohl um bis zu 5 Prozent höher liegen.

Genesenenstatus: Dass dieser Status seit Kurzem nur noch drei Monate lang gilt statt wie bisher sechs, wurde überhaupt nicht richtig erklärt. Welche Studien legen das nahe? Warum wissen andere Staaten nichts davon? In Österreich gilt der Status sechs Monate, in der Schweiz neun. Der Virologe Hendrik Streeck sagte diese Woche, es sei belegt, dass die Immunität nach Genesung 300 Tage anhalte. Die EU fand jetzt übrigens eine einheitliche Linie für den Genesenenstatus: sechs Monate Gültigkeit. Nur Deutschland handhabt es anders. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki nennt es ohnehin „aus rechtlicher Sicht sehr fraglich, ob das RKI eigenständig über die Beschränkung von Grundrechten entscheiden darf“.

Corona-Daten: Bis Mitte Dezember letzten Jahres war bei rund 70 Prozent der Menschen auf Intensivstationen der Impfstatus unbekannt. Dennoch wurden sie in Bayern und anderen Bundesländern immer den Ungeimpften zugeschlagen. Das Robert Koch-Institut (RKI) versprach mehr Transparenz. Jetzt zeigt sich: Statt wie behauptet 10 Prozent sind 30 Prozent der Hospitalisierten geimpft. Hinzu kommen 11 Prozent Genesene und Menschen, die mit Johnson & Johnson geimpft wurden, aber seit 15. Januar nicht mehr als vollständig geimpft gelten. Somit liegt das Verhältnis in Wirklichkeit bei rund 41 zu 59. Außerdem: Bei der Auswertung der Daten wird nicht unterschieden, ob eine Person mit oder wegen Corona auf der Intensivstation liegt. Bei elf Prozent aller Fälle ist der Impfstatus weiterhin unbekannt. Wie ungenau die Datenerhebung ist, zeigt sich auch bei den digitalen Impfzertifikaten. Laut Bundesgesundheitsministerium wurden bislang 205 Millionen Zertifikate ausgestellt, obwohl es „nur“ 162 Millionen Impfungen gab.

Tests: Unklar ist auch, welche Tests in die Infektionsstatistik einfließen. Während Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kürzlich sagte, auch Antigen-Schnelltests würden als Covid-19-Fall gewertet, stritt das RKI dies ab. Als ob das nicht schon intransparent genug wäre, fließen wegen der knappen PCR-Testkapazitäten bereits Schätzungen in die Infektionszahlen ein. Und warum sind die PCR-Testkapazitäten überhaupt so gering? Laut RKI konnten in der dritten Kalenderwoche 180 Labore in ganz Deutschland täglich 430.000 PCR-Tests durchführen. In Großbritannien können nach Regierungsangaben täglich fast eine Million Tests durchgeführt werden, das österreichische Wien hat tägliche Kapazitäten von über 900.000 Tests.

Quarantäne: Geboosterte müssen jetzt überhaupt nicht mehr in Quarantäne, wenn sie Kontakt zu einer Covid-infizierten Person hatten, das Gleiche gilt drei Monate lang für Menschen mit Zweifachimpfung sowie Genesene. Wie kann das sein? Wo doch bekannt ist, dass sich selbst Geboosterte anstecken, erkranken und die Infektion weitertragen können? Eine geboosterte Person darf dennoch nach einem Viruskontakt überall hin.
(A. Kahl, D. Lohmann, W. Taschner)

 

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