Politik

Die sogenannten Superblocks – wie hier in Barcelona – schirmen Wohnbereiche großflächig vom motorisierten Verkehr ab. (Foto: Stadt Barcelona)

24.03.2023

„Weg vom Gedanken der autogerechten Stadt“

Uta Bauer, Wissenschaftlerin am Deutschen Institut für Urbanistik, über die umstrittene sogenannte 15-Minuten-Stadt

Im Netz kursieren Befürchtungen, dass Menschen durch die 15-Minuten-Stadt künftig in ihrem Viertel nahezu eingesperrt werden sollen und dieses nicht mehr auf eigene Faust verlassen dürfen. Das ist Unsinn. Trotzdem: Private Autos sollen aus urbanen Zentren rausgedrängt und stattdessen dort der Fuß- und Radlverkehr priorisiert werden.
 

BSZ: Frau Bauer, gibt es 15-Minuten-Städte auch schon in Deutschland?
Uta Bauer: Die 15-Minuten-Stadt ist keine ganz neue Idee und speziell in den dicht bebauten Innenstädten ist das längst Realität. Um es klar zu sagen: Es ist ein Leitbild oder meinetwegen eine Vision – aber kein Konzept. Eher neu ist die Idee der sogenannten spanischen Superblocks, in Berlin nennt man sie Kiezblocks. Darunter versteht man die Ansammlung mehrerer Häuserblöcke, die durch größere Straßen begrenzt werden. Zentrales Element der Superblocks sind sogenannte Modalfilter – also Fahrbahnbarrieren wie beispielsweise Poller oder Pflanzenkästen –, die nur bestimmten Verkehrsmitteln wie Fahrrädern und Elektrorollstühlen die Durchfahrt erlauben. Kraftfahrzeugen wird damit lediglich die direkte Einfahrt zum jeweiligen Zielort und anschließende Rückkehr zur Hauptstraße gewährt, ohne die Querung mehrerer Nebenstraßen zuzulassen. Damit werden diese Quartiere sehr viel leiser und sicherer – gerade für Kinder und Ältere.

BSZ: Was ist der Kerngedanke?
Bauer: Im Wesentlichen geht es darum, die wichtigsten Alltagsziele in eben diesen 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erreichen. Die Stadt der kurzen Wege – im Unterschied zum früheren Leitbild der sogenannten autogerechten Stadt, was die prägende Vision der Nachkriegszeit war und wohin man in den vergangenen Jahrzehnten die Städte konzipiert und entwickelt hat. Die 15-Minuten-Stadt ist die Umkehr dessen und stellt wieder den Menschen statt das Auto in den Mittelpunkt.

BSZ: Aber in vielen deutschen Großstädten gestaltet man die Citys schon geraume Zeit nach den Bedürfnissen der Fußgänger*innen um.
Bauer: Die Rahmenbedingungen des Zufußgehens und des Fahrradfahrens müssen verbessert werden. In vielen Städten, auch in Deutschland, gibt es immer noch die Vorherrschaft des Autos. Mit dem Rad oder zu Fuß stoße ich an viele Unbequemlichkeiten. Und ich bin teilweise auch nicht sicher unterwegs – wenn ich nicht gerade sportlich begabt bin. Mit dem Rad in Städten unterwegs zu sein ist nicht ungefährlich. Aber es sollen ja mehr Menschen als bisher das Rad nutzen oder zu Fuß gehen. Und für die muss es sicherer werden.

BSZ: Bei Ihnen in Berlin zum Beispiel ist man doch schon gut dabei, das Auto aus der Stadt zu drängen.
Bauer: Glauben Sie das wirklich (lacht)? Ja, die deutsche Kommunalpolitik ist dabei, konzeptionell umzusteuern. Aber das heißt noch nicht, dass es rechtlich schon umgesetzt ist, und schon gar nicht praktisch. Andere Städte in Europa sind da wesentlich weiter.

BSZ Welche Städte denn beispielsweise?
Bauer: Vor allem Städte in Skandinavien, Kopenhagen etwa tut eine ganze Menge – und natürlich die niederländischen Städte: Amsterdam und Utrecht etwa. Die verfolgen den Kurs sehr konsequent. Dort sind Sie inzwischen mit dem Auto sehr schlecht unterwegs, weil es einfach keine Parkplätze mehr gibt – auch weil der Straßenraum ganz anders aufgeteilt ist. Und deshalb ist es dort sehr viel bequemer und attraktiver, mit dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs zu sein.

BSZ: Aber angesichts des demografischen Wandels werden künftig deutlich mehr Menschen länger ihr Auto brauchen, weil sie nicht gut zu Fuß sind.
Bauer: Das stimmt. Aber für viele Ältere, die mit dem Auto unterwegs sind, ist das auch nicht ganz ungefährlich – weil deren Sinne und Koordinierungsfähigkeit nachgelassen haben. Und die meisten alten Menschen – zumindest in den Städten, auf dem Land ist es anders – sind tatsächlich zu Fuß unterwegs. Also muss man doch gerade die Rahmenbedingungen fürs Zufußgehen verbessern. Und wenn Sie sich die Unfallstatistiken in vielen Städten anschauen: Bei Personenschäden sind die älteren Menschen überproportional stark betroffen. Für die ist der Verkehr in den Städten längst nicht mehr sicher, und da muss sich dringend etwas ändern.

BSZ: In Oxford dürfen private Pkw zu bestimmten Zeiten nicht mehr durch einige Straßen fahren, dafür ist eine Sondergenehmigung notwendig: eine ziemlich restriktive Handhabung, oder?
Bauer: Ich kenne das Beispiel aus Oxford nicht. Aber von dem, was ich gelesen habe, testet Oxford ein neues Verkehrskonzept. Danach will man im historischen Zentrum den Verkehr privater Autos um 20 bis 30 Prozent reduzieren. Auch in vielen deutschen Städten ist die Durchfahrt historischer Zentren eingeschränkt, denken Sie beispielsweise an Nürnberg. Das ist nichts Neues, viele historische Stadtkerne sind auf die Menge an Pkw gar nicht ausgelegt.

BSZ: Die Städte klagen über Finanznot: Wird die Umsetzung teuer?
Bauer: In Berlin beispielsweise werden gerade viele der eingangs genannten Kiezblocks umgesetzt, das ist keine Rieseninvestition. Den Durchgangsverkehr rauszuhalten geht relativ einfach mit wenig aufwendigen Mitteln. Was teurer wird, ist den Straßenraum anders zu gestalten: mehr Grün und vor allem mehr Versickerungsflächen. Aber man gewinnt dadurch auch mehr Aufenthalts- und Lebensqualität. Das hilft bei der Anpassung an die kommenden Hitzesommer.

BSZ: Klingt vernünftig – warum kocht das Thema dann gerade emotional so hoch in den sozialen Medien?
Bauer: Ganz ehrlich? Das ist für mich unverständlich. Man kann da wirklich nur drüber lachen. Inzwischen wird hinter allem eine Verschwörung gewittert. Das Ganze ist doch nur ein Angebot, niemand wird gezwungen. Ich sperre doch niemanden in eine 15-Minuten-Stadt ein. Jeder, der will, kann auch künftig mit seinem Auto im Stau stehen. Da wollen einige Leute wohl bewusst etwas falsch verstehen und sich aufregen. Jeder kann doch sehen, dass die Städte weltweit mit der bisherigen Ausrichtung aufs Auto an ihre Grenzen stoßen. Und die Zahl der zugelassenen Pkw wächst jährlich, auch in Deutschland. Dass man da umsteuern muss, ist doch zwangsläufig. Wir können die Städte weiter in die Höhe bauen – aber mehr Straßen in den Städten, das geht nicht. Wir sind beim Platz am Limit. (Interview: André Paul)
 

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