Am 20. Oktober 2025 hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz erklärt: „Wir haben mit dieser Partei keinerlei Übereinstimmung.“ Dies gelte sowohl für Grundüberzeugungen wie für die Tagespolitik. Die Union liege mit der AfD „so weit auseinander wie mit keiner anderen Partei“. Leider stimmt das nicht. Man muss nur die Programme der beiden konservativen Parteien übereinanderlegen. Fast drei Viertel der Positionen der Union stimmen mit denen der AfD überein, wie die Neue Zürcher Zeitung in einer Analyse der zentralen Wahlversprechen im Februar dieses Jahres festgestellt hat. Auch die Bundeszentrale für Politische Bildung kommt anhand der Thesen des Wahl-O-Mat zum Ergebnis, dass die CDU/CSU mit der Partei rechts von ihr die meisten Versprechen umsetzen könnte. Die AfD steht weiterhin zu klassischen konservativen Werten wie Kernkraft, schwarzer Null und Wehrpflicht, sieht Deutschland nicht als Einwanderungsland und lehnt die Ehe für alle ab. Ohne ihren Rechtsextremismus wäre sie der ideale Partner für die Union. Doch so befindet sich die Union in einer Koalition mit der SPD, mit der sie mit 28 Prozent die geringste Übereinstimmung aufweist, sogar noch weniger als mit den Grünen. Ein Wechsel des Regierungspartners würde sie zerreißen; Neuwahlen kämen der AfD zugute. Es bleiben nur zwei Möglichkeiten, die rechte Konkurrenz abzuwehren: sie politisch zu bekämpfen oder rechtlich zu verbieten.
Hauptgegner der Union: AfD statt Grüne
Die Union hat sich Ende Oktober dazu entschieden, die AfD anstelle der Grünen zum Hauptgegner zu erklären. Unklar bleibt freilich der Weg. Friedrich Merz hat vor zwei Jahren kraftvoll verkündet: „Mit mir wird es eine Brandmauer geben“. Heute behauptet er, nie von einer Brandmauer gesprochen zu haben, und gibt gemeinsam mit Markus Söder die Devise aus, jegliche Zusammenarbeit mit der AfD auszuschließen. Doch ob Brandmauer oder Kooperationsausschluss, beide Versprechen sind längst gebrochen. Auf europäischer Ebene wirkt man bei der Abschaffung des Green Deal intensiv zusammen und auf Bundes- wie auf Kommunalebene gibt es gemeinsame Beschlüsse zur Migrationspolitik. Das alles normalisiert die AfD zwangsläufig und lenkt von ihren rechtsextremen Zielen ab.
Bei Menschenrechten, Klimaschutz und Migration gibt es, wenn überhaupt, nur graduelle Unterschiede zwischen Union und AfD. Einig ist man sich bei der Abschaffung des Lieferkettengesetzes und des Green Deals. Die Union leugnet zwar den menschengemachten Klimawandel nicht, bremst aber bei der Reduzierung der Schadstoffe. Bei der Migration hat sie die von der AfD geforderten nationalen Maßnahmen ebenso übernommen wie das raunende Narrativ vom „Stadtbild“ und das Bedauern, dass Deutschland Zuwanderung braucht. Weder die eigenen Erfahrungen, dass man ein Stinktier nicht überstinken könne, noch die Warnungen der Konrad-Adenauer-Stiftung führen zum Überdenken einer verfehlten Strategie: Indem die Union das Kernthema der Rechten, die Migration, auch zu ihrem Kernthema gemacht hat, hat sie sich auf etwas eingelassen, worin ihr die AfD uneinholbar voraus ist. Dass dies der beste Weg ist, um die Rechten zu stärken, bestätigt der Anstieg der Umfragewerte der AfD und das Absinken der Zustimmung zur Union seit der Ablösung der Ampel. Dafür ist die Union jetzt selbst verantwortlich.
Als euro- und europaskeptische Partei profiliert
Es wird nicht viel nützen, jetzt die Unterschiede zwischen AfD und Union zu betonen. In ihrem Wahlprogramm 2025 hält die Rechtspartei eine Rückkehr der EU zu einem „Staatenbund souveräner Nationen“ für „dringend erforderlich“ wie auch die Wiedereinführung der D-Mark. Sie fordert die sofortige „Aufhebung der Wirtschaftssanktionen“ gegen Russland. Kritik daran beeindruckt die AfD-Anhänger überhaupt nicht, da sich die CSU gerne als euro- und europaskeptische Partei profiliert hat und Brüssel ebenfalls als bürokratisches Monster sieht. Was Russland angeht, haben sich die Christsozialen selbst nach der Annexion der Krim lange gegen Sanktionen ausgesprochen, um weiter das russische Gas zu nutzen.
Es bleibt der elementare Gegensatz, dass CDU und CSU demokratische Parteien sind, während die AfD darauf abzielt, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik zu zerstören, auch wenn sie das nicht in ihre Programme schreibt. Am 2. Mai 2025 hat sie der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Doch auch das hat dem weiteren Aufstieg der Partei nicht geschadet, weil es keine praktischen Folgen für sie hat.
Wohlstand für alle
In der Union glaubt man gleichwohl, man könne die AfD durch „gute Politik wegregieren“. Zu guter Politik gehören neben Glaubwürdigkeit und reibungsloser Regierungsarbeit vor allem „Wohlstand für alle“, wie in Zeile 33 der Koalitionsvereinbarung angekündigt. Doch statt Vertrauen zu schaffen hat die Union ein Wahlversprechen nach dem anderen gebrochen wie die Einhaltung der Schuldenbremse, die Lieferung des Taurus an die Ukraine, die Senkung der Stromsteuer für alle oder die Milliardeneinsparung bei der Abschaffung des Bürgergeldes. Öffentliche Diskussionen zwischen den Koalitionspartnern über Migration und Wehrpflicht spielen der AfD in die Hände, die in ihrem Strategiepapier vom Juli das Ziel ausgegeben hat, „die Gegensätze zwischen Union und SPD unüberbrückbar“ und der Union den Markenkern streitig zu machen. Wird der wirtschaftliche Niedergang seit 2015 nicht aufgehalten, den das Ifo-Institut als dramatisch bezeichnet, wird das der Regierung als Politikversagen angelastet, denn sie muss liefern, während die rechte Opposition abwarten kann. Sie wird immer mehr fordern, als die Union realisieren kann, weil sie keine roten Linien kennt.
Vor allem ist bisher nicht erkennbar, wie die Koalition den Rückstand des Ostens gegenüber dem Westen Deutschlands aufholen will: Nach 35 Jahren sind die Löhne noch immer um 20 Prozent geringer, der Anteil der Arbeitslosen ist um 30 Prozent höher, das Durchschnittsvermögen beträgt weniger als die Hälfte und die Bevölkerung ist um 16 Prozent geschrumpft, während sie im Westen um 10 Prozent gewachsen ist. Angesichts dieser Fakten bedarf es keiner tiefgründigen psychologischen und soziologischen Erklärungen, warum die AfD im Osten so stark ist.
Wehrhafte Demokratie
Meint man es ernst mit der wehrhaften Demokratie, muss man ein Verbot der Partei anstreben, so wie es parteiübergreifend 121 Abgeordnete im alten Bundestag und Unionspolitiker der neuen Plattform „Compass Mitte“ gefordert haben. Das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch bietet sowohl wichtige Argumente als auch Tatsachenmaterial zur Vorbereitung eines Verbotsverfahrens. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem NPD-Urteil von 2017 stellt auch das Bundesamt auf die Kriterien Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat ab.
Zumindest sollte man, wie es der Kölner Verfassungsrechtler Markus Ogorek vorschlägt, parallel zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Einstufung als rechtsextremistisch eine eigene Antragsschrift vorbereiten, die den Anforderungen eines Verbotsverfahrens entspricht. Markus Söder lehnt ein Verbot ab, ebenso Friedrich Merz. Das tut auch der ehemalige Vorsitzende der CDU-Grundwerte-Kommission Andreas Rödder mit der grotesken Begründung, das sei „der sichere Weg in den Bürgerkrieg“, weil es zu rot-rot-grünen Mehrheiten führe. Oder will man deswegen kein Verbot, um sich einen potentiellen Koalitionspartner offenzuhalten, um ihn zu „zähmen“ oder „einzurahmen“? Das ist bekanntlich schon einmal in der deutschen Geschichte schiefgegangen.
(Rudolf Hanisch)
(Der Beitrag stammt vom Autor des Buches „CSU in der Krise – eine Volkspartei am Scheideweg“. Er war 2005 bis 2009 Vorstandsvize der BayernLB und zuvor unter Ministerpräsident Edmund Stoiber Staatskanzleichef.)
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