Politik

10.07.2020

Wehrpflicht-Wiedereinführung: Schnapsidee

Ein Kommentar von Jürgen Umlauft

Mal Hand aufs Herz: Wer kannte vor vier Wochen Eva Högl? Im Berliner Politikbetrieb bestimmt die meisten, aber sonst in der Republik? Wie also macht man sich bekannt im neuen Amt als Wehrbeauftragte des Bundestags, gerade wenn man in diesem Politikfeld bislang eher nicht aufgefallen ist? Richtig, mit einem provokanten Vorschlag. Ein solcher ist die Äußerung der SPD-Politikerin, man müsse angesichts rechtsextremer Umtriebe in der Bundeswehr über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutieren.

Selbst wenn Högls Motive ehrenwert gewesen sein sollten, am Urteil ändert das nichts. Denn die Argumente gegen die Wehrpflicht haben sich seit 2011 nicht verändert. Um nur zwei zu nennen: Da ist die Frage der Wehrgerechtigkeit, wenn wie zuletzt nur rund ein Drittel der jungen Männer „gezogen“ wurde, während der Rest – samt aller jungen Frauen übrigens – sich ein Jahr der Selbstverwirklichung gönnen oder schon an der Karriere feilen durfte. Und da sind die vielen Auslandseinsätze der Truppe, für die Wehrpflichtige nur sehr bedingt einsetzbar sind.

Högl meint, eine Wehrpflichtigenarmee, die sich aus einem Querschnitt der Bevölkerung rekrutiert, sei eher immun gegen rechte Tendenzen. Das suggeriert, dass ein erheblicher Teil der freiwillig bei der Bundeswehr Dienenden potenziell rechtsextrem ist. Selbst wenn das so wäre, würde eine Wehrpflicht daran kaum etwas ändern. Denn Wehrpflichtige besetzen Mannschaftsdienstgrade ohne Befehlsautorität. Die haben Berufs- und Zeitsoldaten inne, an denen es schon heute ist oder wäre, rechtsextreme Auswüchse zu bekämpfen. Ganz nebenbei: Auch in der Wehrpflichtigenarmee früher war rechtes Gedankengut und Wehrmachtsnostalgie verbreitet, gab es seltsam archaische Rituale. Dem Einhalt zu gebieten, ist keine Frage der Zusammensetzung, sondern der Haltung – und der politischen Führung.

Kommentare (5)

  1. Winni am 23.07.2020
    Wozu Wehrpflicht? Wenn wir uns jetzt über nationalsozialistisches Gedankengut empören, liegt das doch eher daran, dass heute mehr Medien für die Verbreitung genutzt werden können. Unsere Vorfahren haben ihren Führer verehrt, sind ihm blind gefolgt und haben nach dessen Scheitern nichts von dessen Greueltaten gewusst. Im Nachkriegsdeutschland wollte man alles besser machen. Leider war es aber unumgänglich Positionen mit genau den Leuten zu besetzen, die diese schon im dritten Reich innehatten. "Man schüttet kein dreckiges Wasser weg, wenn man noch kein sauberes hat." sagte dazu Konrad Adenauer. Ob er dabei die Hoffnung hatte, dass dieses dreckige Wasser sich durch nachwachsene Generationen so verdünnen könnte, dass man es irgendwann mal als sauber bezeichnen kann? Es war damals unumgänglich, dass Richter, die zuvor nach geltendem "Nazirecht" die Menschen in die Lager oder in den Tod geschickt haben, jetzt nach neuen Gesetzen urteilten. Es war unumgändlich, dass Polizisten, die nach Nazirecht gemordet haben wieder für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung eigesetzt wurden. Auch die Wiederbewaffnung wär ohne Mitwirkung der alten Wehrmachtrecken nicht durchführbar gewesen. Es waren auch sicherlich nicht die vielen kleinen Soldaten, die wirklich Dreck gefressen haben, die zehn Jahr nach Ende des 2. Weltkrieges schon wieder Lust hatten, Soldat zu werden. So ist es nicht verwunderlich, dass sich nationalsozialistisches Gedankengut in Behörden, bei Vollzugskräften oder auch bei der Bundeswehr erhalten konnte. Als ich selbst meine Wehrdienst abgeleistet habe, were die Alternative Ersatzdienst (Nach überstandener Gewissensprüfung) gewesen. Auch hier hätte man sich alten Nazis, die in einem den feigen Drückeberger sahen, ausliefern müssen. Wie übrigend damals auch bei der Bundeswehr. Das Berufsbild des Soldaten besteht seit tausenden von Jahren darin, auf Befehl Menschen zu töten. Daran wird sich nichts ändern. Das betrifft auch Bundeswehrsoldaten. Wenn man sich dafür beruflich entscheidet heißen die Vorbilder nicht Mutter Theresa oder Mahatma Ghandi sondern General Rommel oder General Guderian oder wie sie alle hießen. Schließlich sind das die Deutschen Soldaten, die noch Erfolge aufzuweisen haben. Wer mag sich da über nationalsozialistisches Gedankengut in der Truppe wundern? Das kann man nicht wegbeten. Es wäre wohl sehr optimistisch, zu glauben, dass Wehrpflichtige junge Menschen hier eine Änderung herbeiführen könnten. Viel sinnvoller wäre es, junge Menschen vor dem Einfluss von braun angehauchten "Militärischen Vorgesetzten" zu schützen. Für eine nachhaltige Bekämpfung nationasozialistischen Gedankengutes gibt es für unseren Staat nur einen nachhaltigen Weg. Der heißt "Bildung".
  2. Markus am 12.07.2020
    Die Argumente gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht sind aus folgenden Gründen nicht hinreichend glaubwürdig:
    Die Verteidigungsfähigkeit eines Staates ist nur dann gegeben, wenn die Grundbereitschaft für den Staat letztendlich das eigene Leben einzusetzen von der Bevölkerung mitgetragen wird. "Staatsbürger in Uniform" dienen dem eigenen Staat und arbeiten nicht für einen herkömmlichen Arbeitgeber. 

    Ein immer wieder gewünschtes freiwilliges und möglichst familienfreundliches "Unternehmen Landesverteidigung" kann und darf es nicht geben. Unsere politische Machtelite kommt z.B. zu Recht nicht auf die Idee, die Pflicht, Steuern zu entrichten durch eine individuelle und freiwillige Entscheidung zu ersetzen.

    Die Wehrpflicht wurde 2011 mit dem Hauptargument ausgesetzt, dass sie jederzeit wieder in Kraft gesetzt werden kann, wenn es die internationale Sicherheitslage erfordere. Es dürfte unstrittig sein: seit einiger Zeit entspricht die allgemeine militärische Sicherheitslage nicht mehr den Anforderungen für eine friedfertige Welt. Eine evtl. fehlende Wehrgerechtigkeit darf in diesem Zusammenhang kein Anlass sein, die Wehrpflicht als grundsätzliche Pflicht in Frage zu stellen. 

    Es gibt keine rationalen Gründe, die Aussetzung der Wehrpflicht wieder aufzuheben. 

     
  3. Olt zS am 11.07.2020
    Die Wehrpflicht war sinnvoll, weil sie jungen Männern eine gute Unterweisung für ihr Leben gab. Sie lernten Struktur in ihren Tag zu bringen, Ordnung zu halten und Kollegialität. Das fehlt inzwischen.
  4. Oberstleutnant a.D. am 10.07.2020
    Allein die Überschrift signalisiert bereits die fehlende konstruktive Diskursfähigkeit in weiten Teil der veröffentlichten Meinung. Was nicht dem eigenen Weltbild entspricht wird diskreditiert bis abgewertet. Natürlich gibt es technologische und organisatorische Punkte die eine Wiedereinführung der Wehrpflicht erschweren würden. Aber da für die Bundeswehr immerhin ein ganzes eigenes Ministerium mit tausenden Beamten zuständig ist, sollte das doch zu bewältigen sein. Und auch fachlich scheint der Autor wenig zu wissen über die interne Struktur des Militärs. Natürlich besetzen Wehrpflichtige zunächst erst mal Mannschaftsdienstgrade. Aber früher rekrutierte sich aus diesen der Großteil des künftigen Offizierscorps. Der Anteil von Soldaten die gleich zu Beginn eine dauerhafte Verpflichtung einging war eine klare Minderheit. Die abwertende Haltung gegenüber traditionellen Formen der militärischen Initation - zB feierliche Vereidigungen, Großer Zapfenstreich - und deren Titulierung als „merkwürdige Rituale“ ist typisch für die der BW meist feindlich gesonnenen bundesrepublikanischen Presse.
    Eine Armee ist aber nicht das Technische Hilfswerk mit Waffen. Auch wenn sich das mancher Kritiker wünscht
  5. Markus am 10.07.2020
    Die Argumente gegen eine Rückkehr zur Wehrpflicht sind aus folgenden Gründen nicht hinreichend glaubwürdig:
    Die Verteidigungsfähigkeit eines Staates ist nur dann gegeben, wenn die Grundbereitschaft für den Staat letztendlich das eigene Leben einzusetzen von der eigenen Bevölkerung mitgetragen wird. "Staatsbürger in Uniform" dienen dem eigenen Staat und arbeiten nicht für einen herkömmlichen Arbeitgeber.
    Ein immer wieder gewünschtes freiwilliges und möglichst familienfreundliches "Unternehmen Landesverteidigung" kann und darf es nicht geben. Unsere politische Machtelite kommt z.B. zurecht nicht auf die Idee, die Pflicht, Steuern zu entrichten durch eine individuelle und freiwillige Entscheidung zu ersetzen.
    Die Wehrpflicht wurde 2011 mit dem Hauptargument ausgesetzt, dass sie jederzeit wieder inkraft gesetzt werden kann, wenn es die internationale Sicherheitslage erfordere (dagegen ist eine evtl. fehlende Wehrgerechtigkeit kein Grund).
    Nicht zuletzt deshalb hat die CSU seinerzeit die Wehrpflicht als einen der wichtigsten Eckpunkte aus ihrem Parteiprogramm gestrichen.

    Was spricht also wirklich dagegen, die Wehrpflicht wieder inkraft zu setzen? 
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