Immer mehr Menschen lehnen Plastik ab. Laut einer Umfrage des Naturschutzbunds bevorzugen über drei Viertel der Deutschen Obst und Gemüse ohne Verpackungen. Der Hauptgrund: Plastikmüll vermeiden. Jeder Deutsche produziert pro Jahr im Schnitt 188 Kilogramm Hausmüll – in Bamberg sind es sogar 318 Kilogramm. Bisher hatten Kunden aber oft gar keine Wahl. Für den Handel bieten Verpackungen logistische Vorteile beim Transport und Stapeln. Doch jetzt wehren sich immer mehr Menschen. In den letzten Monaten sind in München, Augsburg, Regensburg, Passau, Würzburg und Bamberg verpackungsfreie Supermärkte entstanden. Dort können Obst und Gemüse in mitgebrachte Beutel, Reis und Nudeln in Schüsseln und Olivenöl oder Waschmittel in Becher gefüllt werden.
Doch nicht nur der Umweltgedanke ist verantwortlich für den Boom, sondern auch der Weichmacher Bisphenol A (BPA). „Wir verzichten komplett auf Plastik und Aluminium, weil das schädlich für die Umwelt und den Körper ist“, erklärt Thomas Linhardt, der in Nürnberg bald den ersten Unverpacktladen eröffnet. Bereits jetzt fragen viele Kunden, ob seine Tritan-Verpackungen BPA-frei sind. Die Chemikalie steht im Verdacht, für Übergewicht, Herzkrankheiten, Fruchtbarkeitsstörungen sowie Brust- und Hodenkrebs mitverantwortlich zu sein. Zudem stellt sie laut Umweltbundesamt wegen der hormonellen Wirkung auf Umweltorganismen einen „besonders besorgniserregenden“ Stoff dar.
Dennoch findet sich BPA in Alltagsprodukten wie Kunststoffen, Spielzeug, Trinkwasserrohren – und Lebensmittelverpackungen. Für die Herstellung von Babyflaschen ist BPA zwar in der EU seit 2011 verboten, für Thermopapiere wie Kassenzettel soll das ab 2019 gelten. Doch im Gegensatz zu Frankreich und Japan, wo ein weitreichendes BPA-Verbot existiert, werden in Deutschland noch immer vor allem Konservendosen zum Schutz vor Korrosion mit BPA-Kunststoffen ausgekleidet – die dann ins Essen gelangen.
Verpackungsfrei einkaufen
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat BPA in einer Studie in Thunfisch-, Tomaten- und Kokosmilchkonserven von großen Handelsketten nachgewiesen. Laut Untersuchung waren knapp 74 Prozent der untersuchten Lebensmittelproben mit der Chemikalie belastet. Der niedrigste Wert betrug 7,4, der höchste 510 Mikrogramm pro Kilogramm. Untersuchungen von einer österreichischen Umweltschutzorganisation führten zu ähnlichen Ergebnissen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit rät aktuell, pro Tag höchstens vier Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht aufzunehmen. Bis 2015 lag die Grenze noch bei 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht.
Die Grünen in Bayern verlangen, BPA komplett zu verbieten. Warum das bisher nicht gelungen ist, ist für die verbraucherschutzpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, Rosi Steinberger, klar. Weltweit würden jährlich rund vier Millionen Tonnen davon hergestellt. „Hier besteht natürlich seitens der Hersteller-Industrie ein massives Interesse, das fortzuführen“, sagt sie der Staatszeitung. Steinberger wundert sich, dass das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) trotz der 2015 abgeschlossenen Studie zur „Verfügbarkeit von BPA in Lebensmittelverpackungen“ bisher noch keine Ergebnisse vorgelegt hat. „Solange es keinen Beweis dafür gibt, dass BPA ungefährlich ist, darf es nach dem Vorsorgeprinzip nicht in den menschlichen Körper gelangen“, fordert Steinberger.
Das Umweltministerium bereitet nach eigenen Angaben derzeit die Veröffentlichungen der Projektergebnisse vor. „Gemäß toxologischer Bewertung durch das LGL war bei den 200 untersuchten Lebensmitteln eine Gesundheitsgefährdung auszuschließen“, versucht ein Sprecher von Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) zu beruhigen. Das Verbot von BPA in Babyflaschen solle lediglich sensible Säuglinge, das Verbot in Thermopapier das Kassenpersonal schützen. Für alle anderen Bevölkerungsgruppen lägen die BPA-Grenzwerte unterhalb der täglich tolerierbaren Aufnahmemenge – das gilt laut Gesundheitsministerium auch für BPA im Trinkwasser.
Ein Verbot kommt auch für Otto Hünnerkopf (CSU), Vizevorsitzender des Umweltausschusses im Landtag, nicht in Frage. Durch andere Materialien verkürze sich die Haltbarkeit der Konserven. „Bei Ersatzstoffen ist zudem nicht ausgeschlossen, dass auch diese gesundheitlich bedenklich sind.“ Aus diesem Grund habe die CSU-Fraktion die BPA-Verbotsanträge der Opposition abgelehnt. „Die Bewertung möglicher Alternativen ist noch nicht abgeschlossen“, bestätigt eine Sprecherin des Umweltbundesamts der BSZ. Vieles deute aber tatsächlich darauf hin, dass einige Alternativstoffe ebenfalls hormonelle Wirkweisen haben könnten.
Die Grüne Steinberger überzeugt das nicht: „Der Gesetzgeber muss gefährliche Inhaltsstoffe kennzeichnen, gefährliche Verpackungen verbieten, unschädliche Verpackungen fördern und nach weiteren Alternativen forschen.“ In anderen Ländern sei das schließlich bereits gelungen. Aktuell arbeite zum Beispiel das Fraunhofer-Institut an BPA-Alternativen, und selbst Hersteller von Konservendosen würden freiwillig auf BPA verzichten. Bis zu einer Gesetzesänderung rät Steinberger Verbrauchern, auf Glas umzusteigen oder zumindest nur PE- beziehungsweise PP-Folien zu nutzen.
Einige Supermarktketten haben bereits reagiert. Auslöser ist zwar laut der Firmensprecher von Netto und Rewe nicht BPA, sondern generell die Vermeidung von Verpackungen. Trotzdem können Netto-Kunden in Bayern bis Herbst testweise Bio-Ingwer und Bio-Gurken ohne Aufkleber oder Verpackung kaufen. Die Kennzeichnung wird stattdessen direkt auf das Produkt gelasert. Bei Rewe wird mit verpackungsfreien Bio-Avocados, Bio-Süßkartoffeln und Bio-Mini-Wassermelonen experimentiert. Wenn der Test kein Erfolg wird, bleibt nur, auf die Politik zu hoffen.
Derzeit diskutieren die EU-Mitgliedsstaaten über eine Änderung der Lebensmittel-Kunststoff-Verordnung. Sollte der BPA-Grenzwert tatsächlich von 600 auf 50 Mikrogramm pro Kilogramm Lebensmittel abgesenkt werden, würde das zum Beispiel auch für Konservendosen gelten. Bisher, so ist zu hören, unterstützt der Freistaat das Vorhaben. (David Lohmann)
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