Politik

Gedenktafel für das NSU-Opfer Theodoros Boulgarides in der Nähe des türkischen Imbisses "Munich Premium Döner". Dort hatte früher der von der NSU ermordete Schlüsseldienstbetreiber Theodoros Boulgarides sein Geschäft. (Foto: Matthias Balk/dpa)

05.07.2018

Welche Rätsel bleiben nach dem NSU-Prozess?

Auch am Ende des NSU-Prozesses sind wichtige Fragen nicht beantwortet. Das ist vor allem für die Familien der Mordopfer schmerzlich

In wenigen Tagen will der Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichts das Urteil gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte im NSU-Prozess verkünden. Mit bislang 437 Verhandlungstagen und einer Dauer von mehr als fünf Jahren war er ein Mammutprozess. Trotzdem blieb vieles offen. Hier die wichtigsten sechs Fragen, die der NSU-Prozess nicht klären konnte:

1) Warum endete die Serie der rassistisch motivierten Morde mit der immer gleichen Tatwaffe vom Typ "Ceska" im Jahr 2006?
Darüber gibt es nur Spekulationen. Eine lautet: Beim letzten Mord in einem Internetcafé in Kassel sei ein Verfassungsschutzbeamter am Tatort gewesen. Die beiden Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten gefürchtet, jetzt könnten sie auffliegen. Tatsächlich gilt aber gerade das Auftauchen dieses Beamten während der Tatzeit als weiteres Rätsel. Die Behörden sprechen von Zufall. Eine Verwicklung des Beamten wurde immer wieder vermutet, ließ sich aber nicht beweisen.

2) Warum änderten Mundlos und Böhnhardt für ihren letzten Mord das Motiv?
Der letzte Mord war der an der Heilbronner Polizistin Michéle Kiesewetter im Jahr 2007. Die Bundesanwaltschaft meint, die Täter wollten damit den Staat und seine Repräsentanten angreifen. Einen plausiblen Grund für den Wechsel des Mordmotivs nennt die Anklage nicht. Bis dahin waren alle Opfer Gewerbetreibende mit türkischen oder griechischen Wurzeln. Beate Zschäpe hat in ihren Einlassungen einen anderen Grund für den Kiesewetter-Mord genannt: Es sei Mundlos und Böhnhardt nur um die Waffen der Polizistin und deren Kollegen gegangen.

3) Woher hatten die NSU-Terroristen ihr Waffenarsenal?
Zwei Maschinenpistolen, ein Gewehr, der Rest Pistolen und Revolver - insgesamt 20 Waffen. Woher sie stammen, hat der NSU-Prozess nicht geklärt. Nur die Herkunft einer einzigen Waffe will die Bundesanwaltschaft nachvollzogen haben: Die Mordpistole vom Typ "Ceska" stammt beweisbar aus der Schweiz. Auch der weitere Weg bis in die Hände der Terroristen gilt als aufgeklärt, jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit. Über die anderen Waffen ist nichts bekannt. Und offen ist auch, ob es nicht noch weitere NSU-Waffen gibt, die nie gefunden wurden. Das Gericht hält das für möglich und hielt das in einem Beschluss auf einen Beweisantrag auch schriftlich fest.

4) Woher hatten die Terroristen die Adressen von rund 10 000 potenziellen Anschlagszielen?
Parteibüros, Kirchen und Moscheen, Bürgerinitiativen, sogar eine Geflügelfarm, die ihre Hennen klassisch in geschlossenen Massenställen hält: Quer durch ganz Deutschland hatten die Terroristen Namen und Adressen gesammelt und meist noch Kartenausschnitte beigefügt. Die gesammelten Unterlagen fanden sich in den Trümmern der Zwickauer Fluchtwohnung. Die Einträge passen mehr oder weniger gut zu denkbaren Motiven von Neonazi-Terroristen. Wie diese Liste zusammengestellt wurde, ist aber völlig unklar. Mundlos und Böhnhardt sollen viel gereist sein, auch mit der Bahn. Es könnte Tippgeber vor Ort gegeben haben. Der Prozess brachte dazu nichts Eindeutiges. Beweisanträgen, vor allem von Nebenklägern, ging der Senat oft nicht nach.

5) Lebten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe die gesamten fast 14 Jahre als Trio im Untergrund zusammen?
Die Bundesanwaltschaft scheint das so zu sehen. Sie lässt jedenfalls keine Alternative zu dieser Möglichkeit gelten. Es gibt aber Zweifel an der offiziellen Version. Ein Zeuge sagte im Prozess aus, Mundlos habe sich vorübergehend ausquartiert und sei allein bei einem Bekannten untergekommen. Zschäpe selber erklärte, die beiden Männer seien manchmal längere Zeit unterwegs gewesen und sie habe nicht gewusst, wo sie steckten. Diese Frage ist nicht geklärt.

6) Gehörten noch mehr Leute zum "Nationalsozialistischen Untergrund" als die drei, die die Bundesanwaltschaft dafür hält - Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe?
Beim Bundeskriminalamt gibt es Ermittler, die diese Frage für sich bejahen. Man sei auf Hinweise gestoßen, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Teil einer deutlich größeren Gruppe gewesen seien. Die Bundesanwaltschaft bleibt dagegen bei ihrer Überzeugung vom abgeschotteten Trio.
(dpa)

Die blutige Spur des NSU
Morde, Sprengstoffanschläge, Raubüberfälle: Die rechtsextreme Terrorgruppe NSU ("Nationalsozialistischer Untergrund") hat eine blutige Spur der Gewalt durch Deutschland gezogen:

Januar 1998: Nach einer Razzia in ihrer Bombenwerkstatt in Jena tauchen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unter.

September 2000: Die Mordserie beginnt: Mundlos und Böhnhardt erschießen den türkischen Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg.

Dezember 2000/Januar 2001: Kurz vor Weihnachten deponieren die Täter eine Christstollendose mit einem eingebauten Sprengsatz in einem Lebensmittelgeschäft einer iranischstämmigen Familie in Köln. Die Tochter öffnet die Dose einige Wochen später, wird schwer verletzt.

Juni 2001: Der Türke Abdurrahim Özüdogru wird in seiner Änderungsschneiderei in Nürnberg erschossen. Sein Landsmann Süleyman Tasköprü stirbt in Hamburg.

August 2001: Mord an dem Gemüsehändler Habil Kilic in München.

Februar 2004: In Rostock wird der Imbiss-Verkäufer Mehmet Turgut erschossen.

Juni 2004: Eine Nagelbombe explodiert in der Kölner Keupstraße. Mehr als 20 Menschen werden verletzt, einige lebensgefährlich.

Juni 2005: Mord an dem Imbiss-Inhaber Ismail Yasar in Nürnberg. Wenige Tage später wird der Grieche Theodoros Boulgarides in seinem Münchner Schlüsseldienst erschossen.

April 2006: In Dortmund wird der türkischstämmige Kioskbetreiber Mehmet Kubasik erschossen. Zwei Tage später treffen tödliche Schüsse Halit Yozgat in seinem Kasseler Internet-Café.

April 2007: Die Täter erschießen in Heilbronn die Polizistin Michéle Kiesewetter. Ihr Kollege wird schwer verletzt.

November 2011: Sparkassen-Überfall in Eisenach. Böhnhardt und Mundlos verstecken sich in einem Wohnmobil. Den Ermittlern zufolge erschießen sie sich, als die Polizei sie entdeckt. Zschäpe zündet die gemeinsame Wohnung in Zwickau an, kurz darauf stellt sie sich in Jena.

Juni 2012: Es wird bekannt, dass beim Verfassungsschutz Akten vernichtet wurden, nachdem die Terrorgruppe aufgeflogen war. Wegen der schweren Ermittlungspannen räumt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, im Juli seinen Posten.

November 2012: Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Zschäpe.

Mai 2013: Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und von weltweitem Medieninteresse begleitet, beginnt in München der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Zschäpe und vier Mitangeklagte.
(dpa)

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