Politik

Anwohner spielen Polizei (hier in Düsseldorf): Via Internet formieren sich in immer mehr Städten und Gemeinden Bürgerwehren. (Foto: dpa)

05.02.2016

Wenn Bürger patrouillieren

Angeblich wollen sie für mehr Sicherheit sorgen, tatsächlich sorgen sie für Unruhe: Der Trend zur Bildung von Bürgerwehren alarmiert Politik und Polizei in Bayern

Mit der Zahl der Flüchtlinge steigt bei vielen Menschen das Unsicherheitsgefühl. Manche rüsten sich mit Pfefferspray und Waffen. Einige bilden gar private Sicherheitstrupps, um gemeinsam durch Städte und Gemeinden zu ziehen. Experten warnen: Oft sind sie von Rechtsextremen unterwandert. Im Freistaat gibt es auch eine offizielle Möglichkeit, die Polizei ehrenamtlich zu unterstützen. Aber auch der Nutzen der so genannten Sicherheitswacht leuchtet nicht jedem ein. Die Übergriffe in Köln waren für einige Zeitgenossen eine Initialzündung. Vor allem auf Facebook häuften sich Aufrufe, das Recht selbst in die Hand zu nehmen – ein Trend zur zweifelhaften Selbsthilfe, der Politik, Polizei und Gewerkschaften in Bayern alarmiert. „Bürgerwehr München“ heißt zum Beispiel eine Initiative in der Landeshauptstadt, eine andere nennt sich „Münchner helfen Münchner“ (sic!). Die Mitglieder verabredeten sich, auf „Spaziergängen“ Streife zu gehen, um „Frauen zu schützen“. Dass es nach Erkenntnissen der Polizei bisher wohl bei Ankündigungen blieb, ist nach Ansicht aller Fachleute eine gute Nachricht.

„Wir halten nichts von der Einrichtung von Bürgerwehren“, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). „Die Sicherheit ist eine der wichtigsten Kernaufgaben von Staat und Polizei.“ Darin sind sich die innenpolitischen Sprecher aller Landtags-Fraktionen einig: „Auf die Unterstützung selbsternannter Ordnungshüter sind wir in Bayern nicht angewiesen“, betont Florian Herrmann (CSU). „Wir lehnen Bürgerwehren ab, sie verschärfen die Sicherheitslage, statt sie zu verbessern“, meint Paul Wengert (SPD). Eva Gottstein (Freie Wähler) sieht im Gewaltmonopol des Staates „eine fundamentale Grundlage unserer Rechtsordnung“. Fast wortgleich Katharina Schulze (Grüne): „Das Gewaltmonopol des Staates darf in keinem Fall aufgeweicht werden.“

Quer durch die Parteien geht zudem die Befürchtung, Bürgerwehren würden von Rechtsradikalen unterwandert. „Oft sind bekannte Rechtsextremisten unter den Strippenziehern“, sagt Katharina Schulze. Und SPD-Sicherheitsexperte Wengert bestätigt: „Nach allen Erfahrungen rekrutieren diese Gruppen ihre Mitglieder überwiegend am äußersten rechten Rand.“ Innenminister Herrmann betont: „Diese Umtriebe beobachten Polizei und Verfassungsschutz natürlich sehr genau.“

Unklar ist, wie viele solcher Gruppierungen es in Bayern gibt. Im Innenministerium wird darüber nicht Buch geführt. „Viele existieren nur auf Facebook“, heißt es. Und dort versuchen Neonazis aus einem diffusen Unsicherheitsgefühl Kapital zu schlagen. In Bayreuth, Memmingen, Landshut, Neumarkt und Miesbach gibt es Gruppen: Unter der Facebook-Seite „Neumarkt passt auf“ findet sich etwa der Eintrag, die Gruppe verstehe sich als „Gegenpol zum Aufmarsch der neuen nicht integrierbaren Mitbürger“. Diese betrachteten „unsere Mütter, Schwestern und nicht zuletzt unsere Töchter als Schlampen“.

Jeder Bürger darf einen Täter vorläufig festnehmen

Im Netz gibt es neben Maulhelden aber auch ganz konkrete Anweisungen, was bei der Gründung einer Bürgerwehr zu bedenken sei: Man könne „Holster und Gürtel“ tragen, „Pfefferspray und Schrillalarme“, Motorradhandschuhe und „stichfeste Westen“. Auch uniformähnliche Kleidung sei nicht ausdrücklich verboten. Gemeinsam spazieren gehen erst recht nicht.

Fraglich ist, ob man derart ausgerüsteten Zeitgenossen tatsächlich begegnen möchte, verboten sind sie nicht. Denn für alle, ob Bürger oder „Bürgerwehr“, gilt das so genannte „Jedermanns-Festnahmerecht“: Nach Paragraf 127 der Strafprozessordnung kann jedermann einen Täter, der auf frischer Tat ertappt wurde, bis zum Eintreffen der Polizei vorläufig festnehmen. Aber: Der bloße Verdacht reicht nicht aus, stellt Justiziar Sascha Braun auf der Webseite der Polizei-Gewerkschaft GdP klar. Niemand außer der Polizei darf andere anhalten oder kontrollieren. Selbstjustiz ist selbstverständlich verboten. Das Tragen von Waffen bedarf einer behördlichen Genehmigung. Auch Sportschützen dürfen, so sie als Mitglied einer Bürgerwehr unterwegs sind, ihre Waffen nicht bei sich führen.

„Die Gründung solcher Gruppen ist für die Polizei vor Ort Grund zu großer Sorge“, heißt es im bayerischen Innenministerium. Sie seien Indiz für ein mangelndes Sicherheitsgefühl. Dafür aber gebe es in Bayern keinen Grund. Minister Herrmann verweist auf 41 370 Stellen bei der Polizei und den damit „höchsten Personalstand“. Im Nachtragshaushalt 2016 sind 925 Stellen neu hinzugekommen. „Die Polizei ist noch in der Lage, gute Sicherheit zu produzieren“, sagt auch Thomas Bentele, stellvertretender Landesvorsitzender der GdP. Allerdings seien die neuen Kräfte in Gänze erst in sechs Jahren einsatzbereit, und der Polizei würden ständig neue Aufgaben zugeteilt. „Und dafür haben wir zu wenig Personal.“ Allein in der Landeshauptstadt München schieben 6000 Einsatzkräfte 500 000 Überstunden vor sich her, bestätigt SPD-Stadträtin Beatrix Zurek.

In Bayern gehen 722 Ehrenamtliche auf Streife

Braucht die Polizei also doch Hilfe von Bürgern? Seit 1994 gibt es in Bayern die gesetzlich verankerte Sicherheitswacht. 722 Männer und Frauen zwischen 18 und 60 Jahren sind derzeit in 124 bayerischen Städten und Gemeinden ehrenamtlich auf Streife. Sie dürfen nach 40 Stunden Ausbildung durch erfahrene Polizeibeamte durch Parks und Viertel patrouillieren – bewaffnet mit Funk und Pfefferspray. Sie erhalten dafür acht Euro pro Stunde Aufwandsentschädigung. „Sie sind weder Hilfspolizei noch Bürgerwehr“, betont Minister Herrmann: Bei verdächtigen Vorkommnissen sollen sie die Polizei rufen.

Den Einsatz dieser Bürger regelt das Sicherheitswachtgesetz. Mitglieder und Aspiranten würden „auf Herz und Nieren überprüft“, heißt es im Ministerium. Sie sollen „einen guten Ruf“ haben, und sie müssen „ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung“ ablegen. Im Einsatz soll die Sicherheitswacht dort „Präsenz zeigen“, wo „Straftaten drohen“, die Gefährdung aber „nicht so groß ist, dass Polizeibeamte ständig vor Ort sein müssen“. Zu den möglichen Einsatzgebieten gehört auch „das Umfeld von Asylbewerberheimen“. Das allerdings, betont das Ministerium, sei kein Schwerpunkt.

Im Oktober 2015 kündigte Herrmann an, die Sicherheitswacht auf 1000 Personen aufzustocken. Die SPD sieht das skeptisch: „Die Betreuung der Sicherheitswachtleute durch Polizeibeamte ist aufwendig“, kritisiert Wengert: „Nötig wäre die Entlastung der Polizeibeamten von administrativen, polizeifremden Aufgaben im Innendienst.“ Seine Idee: Tarifbeschäftigte dafür einsetzen. „Dadurch kämen mehr Polizisten auf die Straße.“ Auf absoluteAblehnung stößt die Sicherheitswacht bei den Grünen: Es sei „heikel, hoheitliche Aufgaben auf die Sicherheitswacht zu verlagern“, sagt Schulze. Die Wacht spiegele nur falsche Sicherheit vor. Nötig sei eine gut ausgestattete Polizei. Wenn Herrmann mit der Sicherheitswacht Geld sparen wolle, sei das ein „Armutszeugnis“. (Matthias Maus)

Kommentare (1)

  1. otto regensbacher am 05.02.2016
    Man kann zu diesen Bürgerwehren stehen wie man will! Dennoch wissen wir gegenwärtig schon, dass der IS gezielt Terroristen über die Balkanroute nach Deutschland schleust. Und diese Schleusung wurde von der Chaoskanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern ausgelöst und hingenommen. Wir hatten buchstäblich alle Glück, dass die Polizeibehörden gestern diese Terroristen in Gewahrsam nehmen konnten. Man muss sich aber in der Tat wundern, dass die "politische Elite" dieses Landes das rechtswidrige Verhalten der Merkel i.S. Migranten weiterhin (fast) widerspruchslos hinnimmt. Merkel, diese absolut beratungsresistente Person gefährdet mit ihrer dümmlichen Willkommenskultur die Sicherheit unseres Landes. Wahrscheinlich muss erst Schlimmeres passieren, bevor dieser verantwortungslosen Person, die gegenwärtig noch Bundeskanzlerin ist, Einhalt geboten wird!
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