Politik

Wann kommt der Bus? Im Vergleich zu anderen Ländern wie der Schweiz hat Deutschland – auch Bayern – beim ÖPNV gewaltigen Nachholbedarf. (Foto: Getty Images)

07.09.2018

Wenn kein Bus mehr kommt

Der ÖPNV in Deutschland und Bayern wird sträflich vernachlässigt - andere Länder sind viel weiter

Der chinesische Tourist konnte es kaum glauben. Fast zwei Stunden musste er am Füssener Bahnhof warten, bis ihn ein Linienbus in den einige Kilometer entfernten Ort unweit seines Hotels fuhr. Auch andere Touristen, die soeben Neuschwanstein besichtigt hatten, waren sauer.

Vor allem am Wochenende fahren in der Gegend rund um Bayerns wichtigstes touristisches Aushängeschild kaum Busse. Dabei ist die Situation im Allgäu noch weit besser als in den meisten anderen ländlichen Regionen im Freistaat. „In weiten Teilen Ostbayerns ist die ÖPNV-Anbindung auf dem Land katastrophal“, erläutert der renommierte Verkehrsforscher Heiner Monheim. Im Landkreis Straubing-Bogen fährt sonntags kein Bus, werktags sind es nur eine Handvoll Schulbusse. In Niederbayern und der Oberpfalz sitzen manche Menschen abseits der größeren Städte praktisch in ihren Orten fest. „Zudem sind Busse und Bahnen beim Umsteigen noch immer kaum aufeinander abgestimmt“, klagt Lukas Iffländer vom Fahrgastverband Pro Bahn.

Selbst schuld, wenn man da kein Auto hat, mag da mancher denken. In Zeiten des Klimawandels eine zynische Sichtweise. Die Zahl der Autos nimmt hierzulande kontinuierlich zu – auch und gerade auf dem Land. Den Preis für den wachsenden Spritverbrauch zahlen kommende Generationen. Zwar konnte Deutschland seinen Ausstoß an Kohlendioxid seit der Wiedervereinigung deutlich senken. Allerdings nahmen im Bereich Verkehr die CO2-Emissionen laut Bundesumweltamt zu, sie liegen mittlerweile um zwei Millionen Tonnen über denen des Jahres 1990. Im Jahr 2016 war der Verkehrssektor der Behörde zufolge bereits für fast ein Fünftel des Ausstoßes an Treibhausgasen Deutschlands verantwortlich – 95 Prozent davon gehen auf das Konto des Straßenverkehrs.

Vorbild Schweiz


Mobilitäts- und Klimaforscher sind sich weitgehend einig, dass die deutschen Klimaziele nur mit einer gleichzeitigen Verkehrswende erreicht werden können. „Doch die Landes- und Bundespolitik behandeln Bahn und öffentlichen Nahverkehr seit vielen Jahren stiefmütterlich“, sagt Bahn-Anhänger Iffländer. Noch immer werde viel zu wenig Geld in den Ausbau von Bahnstrecken gesteckt. Fast kein europäisches Land investiert weniger Geld in die Schienen-Infrastruktur als der angebliche Öko-Musterknabe Deutschland. 2016 waren es pro Einwohner gerade einmal 64 Euro. Zum Vergleich: In der Schweiz waren es mit 378 Euro sechsmal so viel – auch die meisten anderen EU-Staaten wie Großbritannien (151 Euro pro Kopf) und Österreich (198 Euro) nahmen deutlich mehr Geld in die Hand.

In Bayern ist nicht einmal jeder zweite Streckenkilometer elektrifiziert. Nicht selten tuckern auch auf den Verbindungen von München in europäische Hauptstädte alte Dieselloks. In der Schweiz sind 100 Prozent der Bahnstrecken elektrifiziert, selbst Dörfer verfügen oft über einen Bahnanschluss. Jede Ortschaft mit mehr als 200 Einwohnern hat einen gesetzlichen Anspruch auf einen Bahn-, Bus- oder Seilbahnanschluss.

Autofahrer werden bevorzugt


Längst fordern vielerorts in Bayern Anwohner die Wiederbelebung stillgelegter Strecken. „Doch die Landesregierung ist hier noch immer zu zögerlich“, kritisiert Iffländer.

Klar ist auch: Im Vergleich zu Nutzern anderer Verkehrsmittel werden Bahnfahrer von der Politik benachteiligt. Auf Bahntickets muss man für Fahrten über 50 Kilometer die vollen 19 Prozent Umsatzsteuer zahlen, für eine Übernachtung im Luxushotel aber nur 7 Prozent. Auch zählte die Bahn 2016 zu einem der größten Einzahler in das EEG-Umlagesystem; energieintensive und klimaschädliche Industrien sind dagegen in weiten Teilen von den Ausgleichszahlungen für die Förderung des Ökostroms befreit. Auch das Mineralöl für die Dieselloks wird versteuert, während das weit klimaschädlichere Flugbenzin steuerfrei ist. Im Vergleich zu Autofahrern werden Zugfahrer benachteiligt. In Deutschland ist die Nutzung der Autobahnen kostenlos, während Bahnanbieter im Fernverkehr Trassengebühren zahlen müssen – zugleich presst der Staat der DB Gewinne ab. Auch das Absetzen einer BahnCard100 von der Steuer sei noch immer weit schwieriger als das Absetzen eines spritfressenden Dienstwagens, so Iffländer.

Deutschland ist noch immer ein Autoland, Bayern ganz besonders. Die von der Staatsregierung in diesem Jahr beschlossenen zusätzlichen Millionen für den ÖPNV sind aus Sicht von Verkehrsexperten nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Noch immer ziehen auch wegen der schlechten Bahnanbindung viele Menschen in die Großstädte und treiben dort die Mieten in die Höhe. Am Ende verlieren viele, nur Autoindustrie und Immobilienkonzerne reiben sich die Hände.
(Tobias Lill)

Kommentare (3)

  1. kinderreich am 10.09.2018
    Ich war zum zweiten Mal im Urlaub in Lohals, an der Nordspitze der dänischen Insel Langeland. Ein strukturschwaches Gebiet, das von Abwanderung betroffen ist. Das Dorf hat 450 Einwohner und trotzdem fährt von dort stündlich (!) ein Bus in die 30 km entfernte Stadt Rudköbing (4500 Einw.), von wo es weitere Anschlüsse in größere Städte auf der Nachbarinsel Fünen gibt. Sonntags verkehren die Busse alle zwei Stunden. Das sind Zustände, von denen wir in Deutschland nicht einmal zu träumen wagen. Ohne Autolobby scheint sich so etwas leichter realisieren zu lassen.
  2. Asterix am 09.09.2018
    Dieser Artikel spricht mir aus der Seele, nachdem ich viele Leute im oberbayr. Umland kenne, die permanent auf einen PKW angewiesen sind und ansonsten, besonders an den Wochenenden versauern können! Es gibt genügend Personen, die aus Altersgründen oder z.B. Augen- bzw. anderer Krankheiten gerne mit dem Bus fahren würden, allerdings nicht nur zweimal am Tag (morgens hin, abends zurück) In Bayern wird z. B. sehr viel Geld für Straßenneubau-bzw. Ausbau ausgegeben, aber eine Aktivität i. S. öffentlicher Verkehr vermisse ich! Wobei der Großraum Rosenheim noch sehr gut wegkommt und ich froh bin, hier leben zu können!
  3. Zitrone am 07.09.2018
    Wen wunderts, wenn BMW, AUDI, SIEMENS und andere Lobbyisten besonders über die Verkehrs- und damit auch über die enorm wichtige Gesellschaftspolitik bestimmen? Es wird Zeit, dass die CSU Mehrheit fällt und andere Parteien mitregieren. Aber bitte nicht die FDP. Die hat es schon einmal noch schlimmer gemacht und ist deshalb auch Lieblingspartner der CSU.
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