Als sich die Eltern scheiden ließen, war der Sohn gerade 18 Jahre alt. Ein paar Monate hielt der Vater noch losen Kontakt zu ihm, dann herrschte Schweigen. Jegliche Kontaktversuche seines Sohnes lehnte der Friseur ab. 40 Jahre lang. 1998 verfasste er sein Testament. Darin bedachte er seine neue Lebensgefährtin, den Sohn enterbte er. Dieser solle, so legte der Vater fest, nur den „strengsten Pflichtteil“ erhalten. Einige Jahre später kam der Friseur in ein Pflegeheim, konnte selbst nicht alle Kosten tragen. Darüber wurde auch der Sohn informiert. Allerdings nicht vom Vater, sondern vom Sozialamt Bremen. Ingesamt 9000 Euro Elternunterhalt forderte das Amt, die der Sohn nach mehreren Gerichtsprozessen auch zahlen musste. So hat es vor zwei Jahren und in letzter Instanz der Bundesgerichtshof entschieden. Es war ein Urteil, das in ganz Deutschland für Aufsehen sorgte. „Kinder müssen auch für Rabeneltern zahlen“, lauteten damals die Schlagzeilen in den Zeitungen, gefolgt von heftigen Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Die Politik versprach, sich des Themas anzunehmen und das Urteil zu überprüfen. Dabei ist es bisher geblieben.Einen grundsätzlichen Vorstoß unternimmt jetzt jedoch die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). „Wir wollen mehr Sicherheit für die Angehörigen von Pflegebedürftigen vor finanzieller Überforderung“, sagte Huml der Staatszeitung. „Deshalb wird derzeit eine entsprechende Bundesratsinitiative vorbereitet.“ Ziel sei es, dass sich Kinder von Pflegebedürftigen künftig erst ab einem Jahreseinkommen von mehr als 100 000 Euro an den Pflegekosten beteiligen müssen.
„Mit meinem Vorschlag“, so die Ministerin, „unterstützen wir Familien darin, tragfähige Pflegearrangements zu schaffen, indem wir sie von belastenden Fragen des möglichen Sozialregresses und damit verbundenen familieninternen Diskussionen und Sorgen entlasten. Auch Eltern können wir so die Sorgen nehmen, dass sie – sollten sie finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen müssen – ihren Kindern auf der Tasche liegen.“
Kinder sind verpflichtet, für ihre pflegebedürftigen Eltern zu bezahlen, wenn deren Einkommen oder Vermögen für die Pflege und Heimkosten nicht ausreichen. Die rechtliche Grundlage hierfür ist der Paragraph 1601 des BGB, nach dem Verwandte in gerader Linie den Eltern Unterhalt gewähren müssen, sobald diese bedürftig sind.
Fast immer werden Schenkungen an Kinder zurückgefordert
Das BGB sowie die Leitlinien der Oberlandesgerichte legen fest, wie der Elternunterhalt zu berechnen ist. „Alles in allem“, sagt jedoch der Regensburger Rechtsanwalt und Elternunterhaltsexperte Mathias Klose, „lässt die Rechtssprechung hier einen großen Interpretationsraum.“ Das erkläre auch die hohe Anzahl der Urteile zu diesem Thema.
Ob und wie viel Kinder für ihre pflegebedürftigen Eltern zahlen müssen, hängt vom Einkommen und Vermögen der Kinder ab. Beim Einkommen hat sich Anfang 2015 der sogenannte Selbstbehalt erhöht. Bei Alleinstehenden liegt er bei jetzt 1800 Euro, bei Verheirateten bei 3240 Euro. Der Selbstbehalt wird vom bereinigten Nettoeinkommen (Nettoeinkommen minus Aufwendungen wie etwa Kindesunterhalt, Versicherungen, vermögenswirksame Leistungen) abgezogen. Aus der Restsumme berechnet sich dann der zu zahlende Elternunterhalt.
Reicht das Einkommen nicht aus, kann es aber auch sein, dass Kinder ihr Vermögen einsetzen müssen, dass sie Aktien verkaufen müssen oder die Ferienwohnung. Tatsächlich geschützte Vermögenswerte sind nur das selbstbewohnte Eigenheim, das Auto und fünf Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens als Altersvorsorge. „Alles andere“, sagt Klose, „steht zur Debatte. Das geht beim Zweitauto los und endet beim Familienerbstück.“
Gleiches gilt für Schenkungen der Eltern an ihre Kinder. Liegen diese nicht bereits zehn Jahre zurück, kann das Sozialamt grundsätzlich darauf bestehen, dass sie zurückgezahlt werden. Auch hier ist das geschenkte, selbstbewohnte Eigenheim eine Ausnahme. Oder aber der Geldbetrag, der für eine sogenannte Luxusaufwendung wie etwa eine Kreuzfahrt von Sohn oder Tochter bereits ausgegeben wurde. „Schenkungen sind aber immer ein Thema“, sagt Klose. „Ich habe kaum einen Fall, in dem das Sozialamt nicht eine Schenkung zurückfordern würde.“
2014 kamen 10,2 Millionen Euro für die Pflege von Angehörigen
In der Gesamtsumme ist der Anteil des Elternunterhalts jedoch gering. 2014 gaben Bayerns Bezirke 452,3 Millionen Euro für Pflegebedürftige aus. 10,2 Millionen mussten die Angehörigen bezahlen.
Mathias Klose hat jedoch die Beobachtung gemacht, dass in den vergangenen Jahren die Sozialhilfeträger immer „nachdrücklicher und intensiver“ auf ihren Forderungen bestehen. Dass sie es immer öfter auf einen Gerichtsprozess ankommen lassen, anstatt sich, wie früher, gütlich mit den Betroffenen zu einigen. Diese Tendenz erkennt auch Michael Baczko, Erlanger Fachanwalt für Sozialrecht. Seit ungefähr fünf Jahren, sagt er, würden Sozialhilfeträger zu hohe Forderungen beziehungsweise unberechtigte Forderungen mit allem Nachdruck, welcher bis zur Nötigung reicht, geltend machen.
Hintergrund sind leere Sozialkassen und steigende Pflegekosten. Die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt seit Jahren stetig zu. 2,63 Millionen pflegebedürftige Menschen gab es laut Statistischem Bundesamt Ende 2013 in Deutschland, das sind fünf Prozent mehr als im Jahr 2011. In Bayern gibt es derzeit rund 330 0000 Pflegebedürftige. Ihre Zahl wird sich laut Prognosen bis zum Jahr 2050 nahezu verdoppeln. Bundesweit wird bis zu diesem Zeitpunkt mit 4,7 Millionen Pflegebedürftigen gerechnet.
Dazu kommt, dass Pflegebedürftige selbst im Schnitt weniger Vermögen haben als die übrige Bevölkerung. Sie kommen laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf ein mittleres Vermögen von 9000 Euro im Vergleich zu 60 000 Euro in der übrigen Bevölkerung ab 60 Jahren. Fast 40 Prozent der Pflegebedürftigen haben kein Vermögen oder sind verschuldet. In der übrigen Bevölkerung sind das nur knapp 20 Prozent.
40 Prozent der Pflegebedürftigen haben kein Vermögen oder sind verschuldet
Angesichts dieser Zahlen werden die Sozialämter künftig noch hartnäckiger versuchen, die Fehlbeträge bei den Kindern zurückzuholen, davon ist Baczko überzeugt. „Umso mehr lohnt es sich für die Betroffenen, sich von unabhängiger Seite beraten zu lassen“, sagt er. Und zwar möglichst bevor die Fragebögen zu Einkommen und Vermögen an die Sozialhilfeträger zurückgeschickt werden. „Die Fragebögen sind so verfasst, dass die Unterhaltspflichtigen eine Reihe von Ausgaben, die unterhaltsmindernd geltend gemacht werden könnten, nicht angeben, da die Möglichkeit, diese Ausgaben geltend zu machen, aus den Fragebögen nicht ersichtlich ist“, sagt er. Wer sich nicht genau auskennt, zahlt mehr, als er eigentlich müsste.
Baczko ist ein Gegner des Elternunterhalts, den er schlicht für verfassungswidrig hält. Die Initiative von Melanie Huml wertet er als einen „Schritt in die richtige Richtung. „Nach meiner Schätzung würden zirka 80 Prozent der Betroffenen nicht mehr mit dieser auch emotional belastenden Problematik konfrontiert.“
Die Bundesregierung hat der Forderung Humls jedoch bereits widersprochen. Der Pflegebeauftragte der Regierung, Karl-Josef Laumann (CDU), begründete dies mit der viel zu hoch angesetzten Grenze von 100 000 Euro Jahresverdienst. Dadurch wären sogar Menschen mit einem monatlichen Einkommen von 8333 Euro brutto vom Elternunterhalt freigestellt.
Die CSU-Ministerin will dennoch einen entsprechenden Bundesratsantrag einbringen. „Die Erfahrung zeigt, dass es bei grundlegenden Reformen erforderlich ist, Ausdauer zu zeigen“, sagt Melanie Huml. „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ (Beatrice Oßberger)
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