Politik

Ein Buchstabe zu wenig im Impressum – schon flattert die Abmahnung ins Haus. Der Bund will das jetzt eindämmen. (Foto: Getty Images)

22.06.2018

Wenn Tippfehler zur Pleite führen

Abmahn-Anwälte werden immer erfinderischer - der Bund will jetzt gegensteuern

Schon kleinste Formulierungsfehler können Onlinehändler um ihren Jahresumsatz bringen. Andrea Gabler (Name geändert) betreibt einen kleinen Shop bei einem Internetauktionshaus. Dort gab sie die Versanddauer mit „1-2 Tagen nach Zahlungseingang“ an – ein großer Fehler wie sich herausstellte. Weil Verbraucher nicht wissen können, wann die Zahlung auf dem Konto des Händlers gutgeschrieben wird, wurde Gabler vom Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen (IDO) abgemahnt. Und musste 3000 Euro für Anwälte und Gerichtskosten zahlen – der Umsatz eines gesamten Jahres. „Jetzt bin ich pleite “, klagt sie.

So wie Gabler ergeht es vielen Kleinunternehmern. Schon kleinste Fehler im Impressum, unvollständige Widerrufsbelehrungen oder ungenaue Angaben der Produktmaterialien können zu einer Abmahnung führen. Laut einer Studie des Händlerbunds wurde 2017 jedes dritte Unternehmen abgemahnt – viele sogar mehrfach. 2015 war es nur jedes fünfte. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Der jährliche Schaden pro Onlinehändler durch Abmahnungen beträgt im Schnitt 5300 Euro. Jeder zweite Händler sieht sich dadurch in seiner Existenz bedroht. Seit 25. Mai kommen weitere Abmahnungen wegen Verstößen gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hinzu.

Oftmals steckt die Konkurrenz hinter den Abmahnungen, die sich in ihrem Wettbewerbsrecht verletzt sieht. Natürlich soll sich kein Unternehmen durch unfaire Geschäftspraktiken einen Vorsprung verschaffen. Warum es aber ein Wettbewerbsvorteil sein soll, wenn sich ein Einzelunternehmer versehentlich als „Geschäftsführer“ bezeichnet, erschließt sich nicht. Offiziell ist es verboten, jemanden abzumahnen, nur um daran zu verdienen. Es gibt aber Anwaltskanzleien und Vereine, die sich genau darauf spezialisiert haben – so wie IDO. „Es handelt sich dabei aber nicht um ein ‚Geschäftsmodell’, sondern um schlichte Gesetzesanwendung“, wehrt sich der Verband. Ihm gehe es um Verbraucherschutz.

CDU/CSU forderten bereits, das "Abmahnunwesen" zu  unterbinden - die SPD lehnte ab. Sie will eine umfassende Reform

Die IHKs sind alarmiert: „Es darf nicht sein, dass Unternehmer wegen jedem Tippfehler in die Haftung genommen werden können“, kritisiert Tatjana Neuwald von den bayerischen IHKs. Besonders dreist sind laut IHK Abmahnungen, in denen angebliche Verstöße nach der DSGVO gerügt werden, die gar keine sind. So müssten Unternehmen der Informationspflicht nicht zwingend auf der Firmen-Webseite nachkommen – genau in diesem Bereich häuften sich aber die Abmahnungen.

Das bayerische Justizministerium beobachtet mit Sorge, dass Kleinunternehmer immer häufiger aufgrund „systematischer Abmahnungen“ an den Rand ihrer Existenz gedrängt werden. Allein in Bayern haben im ersten Quartal 2018 rund 5500 Händler ihr Geschäft aufgegeben. „Es sind effektive gesetzliche Regelungen erforderlich, um vor allem kleinere und mittlere Unternehmen besser vor dubiosen Abmahnpraktiken zu schützen“, heißt es aus dem Ministerium.

E-Commerce-Verbände fordern schon lange, das Abmahnwesen zu reformieren. Nur in Deutschland können für Rechtsverletzungen die Anwaltskosten in Rechnung gestellt werden. CDU und CSU wollten jetzt zumindest teure Abmahnungen wegen angeblicher DSGVO-Verstöße einschränken. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) forderte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) auf, das „Abmahnunwesen“ etwa wegen einer unzureichenden Datenschutzerklärung „deutlich zu minimieren und zurückzufahren“. Doch die SPD lehnte ab. „Das Justizministerium strebt eine umfassende Abmahnreform an“, begründet ein Ministeriumssprecher die Absage. Damit solle allen missbräuchlichen Abmahnungen der Boden entzogen werden – nicht nur solchen wegen Datenschutzverstößen. Unverständlich, warum eine Reform trotz der jahrelang bekannten Missstände so lange auf sich warten lässt.

Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, den sogenannten fliegenden Gerichtsstand abzuschaffen. Unseriöse Anwälte und Verbände klagen wegen der hohen Reisekosten gern vor Gerichten, die weit vom Wohnort des Betroffenen entfernt sind. Geändert hat sich daran bisher nichts.

Die verbraucherschutzpolitische Sprecherin der Grünen in Bayern, Rosi Steinberger, setzt sich für eine Deckelung der Abmahngebühren ein. Ihr SPD-Kollege Florian Ritter verlangt, DSVGO-Verstöße komplett aus dem Bereich der Abmahnmöglichkeiten herausnehmen: „Die Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes sind für Datenschutzverstöße zuständig und dürfen auch sanktionieren.“ Und die bayerischen IHKs fordern, Vertragsstrafen der Staatskasse zukommen zu lassen, um die finanziellen Anreize zu reduzieren. Zudem solle die Klagebefugnis auf solche Mitbewerber und Verbände reduziert werden, die ein nachgewiesenes Aufklärungsinteresse haben.

Immerhin: Das Bundesjustizministerium hat versprochen, seine Abmahnreform „zeitnah“ vorzulegen. (David Lohmann)

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