Politik

Felix Fechenbach (links) mit Kurt Eisner (Mitte) im Revolutionsjahr 1918. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

10.08.2018

"Wer für die Revolution ist, mir nach!"

Vor 85 Jahren wurde Felix Fechenbach ermordet: Ohne ihn würde es den Freistaat Bayern nicht geben

Am 9. August 1933 bestätigt der stellvertretende Chef der bayerischen Polizei Reinhard Heydrich dem bayerischen Innenminister schriftlich, dass ein gewisser Felix Fechenbach „auf dem Transport in das Konzentrationslager Dachau erschossen worden“ ist – „bei einem Fluchtversuch“. So steht es auch in der Zeitung. Doch jeder, der nicht hinter dem Mond lebt, weiß 1933, was „auf der Flucht erschossen“ bedeutet: staatlicher Mord an einem Oppositionellen. Felix Fechenbach war den Nationalsozialisten aus mehreren Gründen verhasst: Er betätigte sich die letzten Jahre seines Lebens journalistisch als vehementer Nazi-Gegner, er war Sozialdemokrat, Jude, und, das war wohl sein größtes Verbrechen: Fechenbach war im November 1918 maßgeblich am Sturz der bayerischen Monarchie beteiligt, er war der Sekretär des revolutionären Ministerpräsidenten Kurt Eisner.

Man könnte es auch so sagen: Fechenbach war Leiter der bayerischen Staatskanzlei in den ersten hundert Tagen des Freistaats. Und genau das war der Hauptgrund, warum ihn die Nazis, kaum dass sie an die Macht gekommen waren, ermordeten.

Warum aber ist der Name Felix Fechenbach in Bayern dann so wenig bekannt? Warum führen diejenigen, die den Freistaat ausriefen und dafür mit ihrem Leben bezahlten (Kurt Eisner wurde bereits am 21. Februar 1919 ermordet), im Geschichtsbewusstsein der Bayern so ein Schattendasein? Im Grunde kann man diese Frage nur so beantworten: Die Nazis haben das Andenken von Kurt Eisner, Felix Fechenbach und all den anderen, die den Freistaat Bayern aus der Taufe hoben, derart in den Schmutz gezogen und auszulöschen versucht, dass es bis zum heutigen Tag wirkt. Im Fall Fechenbach hat es zwar immer wieder Bemühungen gegeben, den von den Nazis als „Novemberverbrecher“ geschmähten wenigstens posthum zu rehabilitieren. Doch wer kennt schon zum Beispiel den Aufsatz, den Robert Kempner über Fechenbach als „Märtyrer der Justizgeschichte“ geschrieben hat. Der Jurist Kempner, bekannt durch seine Tätigkeit als stellvertretender amerikanischer Chefankläger bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, vertrat die Hinterbliebenen von Fechenbach als Nebenkläger, als das Landgericht Paderborn 1969 gegen den SS-Mann Friedrich Grüttemeyer wegen Mittäterschaft an Fechenbachs Ermordung verhandelte. Der 76-jährige einstige SS-Scherge wurde lediglich wegen Beihilfe zum Mord zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.

Anlässlich dieses Prozesses wirft Kempner die Frage auf, ob der Mord an Fechenbach nicht mit den Morden der frühen Nazis Anfang der Zwanzigerjahre in einer Linie zu sehen sei: „War es eine Art Fememord, wie ihn die SA schon während der Zeit der Weimarer Republik verübt hatte?“ Und er verweist darauf, dass Fechenbach „schon 1920 vor solchen illegalen paramilitärischen Organisationen gewarnt hatte und deshalb bestraft worden war“.

Kempner stellt auch einen Zusammenhang her zu dem Landesverratsprozess vor dem Volksgericht München I, bei dem Fechenbach 1922 zu elf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Fechenbach wurde vorgeworfen, 1919 angeblich geheime Dokumente zur Kriegsschuldfrage an einen französischen Journalisten weitergereicht zu haben – was nach Presserecht indes 1922 längst verjährt gewesen wäre. Doch es ging darum, die Dolchstoßlegende auch gerichtlich zu verankern. Sie besagt, Deutschland habe den Ersten Weltkrieg nur deshalb verloren, weil Kriegsgegner an der „Heimatfront“ mit Streiks den Soldaten an der Front in den Rücken gefallen seien. Der zum Verräter gestempelte Fechenbach kam da gerade recht.

Der berühmte Jurist (und kurzzeitige Justizminister) Gustav Radbruch nannte das Urteil im Reichstag „voll eitler Geschwätzigkeit, so voll von falschem Pathos, so voll von geschraubter Rabulistik – wie ich nie ein Urteil gesehen habe.“ Der öffentliche Druck gegen das offensichtliche Fehlurteil war so groß, dass Fechenbach Ende 1924 begnadigt wurde. Ende 1926 wurde auch das Urteil in einem Wiederaufnahmeverfahren zumindest teilweise revidiert. 1925 erschien das Buch, das Fechenbach über seine Zeit im Zuchthaus schrieb: Im Haus der Freudlosen. Zu Beginn heißt es darin: „Lest dies Buch und gleitet dann noch gedankenlos über Nachrichten von Zuchthausurteilen in Zeitungen weg – wenn Ihr es könnt.“

Sturm auf die Kasernen

Die beste Beschreibung Fechenbachs stammt von Oskar Maria Graf. Das liegt auch daran, dass beide im Jahr 1894 geboren wurden und in einer Bäckerei aufwuchsen, Graf in Berg am Starnberger See, Fechenbach in Würzburg. Graf zufolge war es nicht Eisner, der am 7. November 1918 auf der Theresienwiese das Kommando zum Sturm auf die Kasernen gab, sondern der 24-jährige Fechenbach. „Plötzlich schwingt einer neben Kurt Eisner eine rote Fahne und schreit: „Genossen und Genossinnen! Wir wollen nicht mehr lange reden! Die Revolution ist da! Wer dafür ist, mir nach, uns nach!“ Doch gleich bei der ersten Kaserne: verschlossene Tore. Die Fenster werden eingeschlagen, Fechenbach und einige andere steigen ein – und gewinnen die Soldaten für den Umsturz.

Über Nacht ist die Monarchie hinweggefegt, Bayern ist eine Republik, ein Freistaat. Graf: „Fechenbach zog als Sekretär Eisners ins Ministerium, er saß in der Leitung der Münchner USPD, mancher wesentliche Erlaß stammt von ihm, seine Zeitungsartikel und Flugblätter hatten Schwung und wurden gelesen und beachtet, wo immer er in Versammlungen auftauchte und sprach, schlug ihm echte Begeisterung entgegen.“ Mit anderen Worten: Der erste Leiter der Staatskanzlei des Freistaats Bayern hat einen durchschlagenden Erfolg, von dem seine Nachfolger bis heute nur träumen können.

Doch dann kommt der 21. Februar 1919, Kurt Eisner wird auf offener Straße erschossen, der unbewaffnete Felix Fechenbach wirft den Attentäter zu Boden, zwei Stunden nach Eisners Tod erscheint ein von Fechenbach mitunterzeichnetes Flugblatt, das die „Arbeiter und Soldaten“ dazu aufruft, die Revolution zu verteidigen. „Man will euch wieder unter das alte militaristische Joch beugen!“

Der jähe Tod Kurt Eisners hat bei dessen Sekretär das genaue Gegenteil einer Lähmung zur Folge. Graf: „Fechenbach arbeitete Tag und Nacht. Er war überall, im Arbeiterrat, in den besetzten Redaktionen, auf den Funktionärssitzungen seiner Partei...“ – es ist alles umsonst. Nach zwei Monaten wird der Freistaat von rechtsextremen Freicorps und Reichswehrverbänden liquidiert. Allein das schöne Aushängeschild hat sich bis zum heutigen Tage erhalten: „Freistaat Bayern“.
(Florian Sendtner)

Kommentare (1)

  1. Miiich am 12.08.2018
    Welchen Fortschritt hat die "Revolutiom" vom 8. November 1918 für Bayern gebracht, wenn man ihre Errungenschaften mit der bereits am 2. November 1918 beschlossenen Verfassungsreform vergleicht?

    Letztendlich nur die ersatzlose Abschaffung des Staatsoberhauptes als Sinnbild und Wahrer der Eigenstaatlichkeit Bayerns gegenüber dem Reich, was sich 1919 mit der Entmachtung der Bundesstaaten und des Bundesrates durch die Weimarer Reichsverfassung letztendlich als ungewollter, aber nichts desto weniger großer Fehler herausstellen sollte. Denn Bayern und seine Regierung waren in der für Bayerns staatliche Zukunft entscheidenden Phase während die Nationalversammlung in Weimar tagte und vollendete Tatsachen schuf, durch die inneren Wirren mehr als nur geschwächt, sondern teilweise handlungsunfähig.
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